Fotografie:Als München nach dem Krieg bunt wurde

Sebastian Winkler sammelt Farbfotos von München aus den Nachkriegsjahrzehnten und präsentiert sie nun in einem Bildband und einer Ausstellung.

Von Evelyn Vogel

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(Foto: Sebastian Winkler und Verlag Franz Schiermeier)

Wer Fotos von früher anschaut - wie weit zurück dieses "früher" auch immer gelegen sein mag - sieht die Abbildungen nicht nur als dokumentarisches Material, sondern als emotionale Projektionsfläche. Ein Gebäude in Trümmern ist eben nicht nur eine architektonische Ruine, sondern ruft Erinnerungen an Zerstörung und Verlust, an Entbehrung und Leid hervor. Mode und Kleidung abgebildeter Personen oder auch Geschäftsauslagen und Kino- und Werbeplakate dienen als kulturelle Folie, um das Lebensgefühl eines bestimmten Jahrzehnts lebendig werden zu lassen. Und Fotos vom Stadtverkehr mit einer alten Tram oder mit Oldtimern lassen bei vielen Kindheitserinnerungen wach werden - und Sammlerherzen höher schlagen. (im Bild: Wiederaufbau in München im Mai 1948: Blick von der Sonnenstraße nach Nordosten mit Frauenkirche und der Ruine der Kreuzkirche)

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(Foto: Sebastian Winkler und Verlag Franz Schiermeier)

All dies geschieht auch, wenn man die Fotografien anschaut, die Sebastian Winkler in jahrelanger Suche zusammengetragen und nun gemeinsam mit dem Verleger Franz Schiermeier in dem Bildband "München farbig 1946-1965" veröffentlicht hat. Die Sammlung Winklers umfasst mittlerweile etwa 3000 Bilder, in Farbe sind es vor allem Dias, denn farbige Papierabzüge aus dieser Zeit stellen eine Seltenheit dar. Im Buch geben 270 Abbildungen einen Eindruck "Vom Trümmerfeld zum U-Bahnbau", wie die Publikation im Untertitel heißt. Wobei man vom U-Bahn-Bau nicht viel mitbekommt. Eine Auswahl von etwa 50 Bildern ist derzeit in der Architekturgalerie zu sehen. (im Bild, aufgenommen um 1950: Ein Lieferfahrzeug steht auf der noch unbebauten Fläche am Marienplatz, die wie viele andere Trümmergrundstücke auch als Parkplatz genutzt wurde.)

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(Foto: Sebastian Winkler und Verlag Franz Schiermeier)

Sebastian Winkler ist "eigentlich Antiquar", wie er die Frage nach seinem Beruf beantwortet. Aber Winkler ist auch zeitlebens ein Sammler. "Und der Sammler muss sammeln", stellt er lakonisch fest. Begonnen, Fotos zu seinem Sammlungsschwerpunkt zu machen, hat er in den Siebzigerjahren. Damals beherrschte noch Schwarzweiß das Medium. Als er vor zehn Jahren auf eine Taschen-Publikation von Josef Darchinger mit Farbfotos aus der Nachkriegszeit stieß, war er sofort fasziniert. Fortan spezialisierte er sich auf farbige Impressionen aus dem München der Nachkriegszeit. Die gab es vor allem als Dias von Agfa und Kodak und stammten, wie er bald feststellte, nicht von Profis, auch nicht von deutschen Amateurfotografen, sondern überwiegend von amerikanischen Militärangehörigen und Touristen. (im Bild: Die Neuhauser Straße um 1953. In der Bildmitte die östliche Seitenwand des Akademiegebäudes vor dem Wiederaufbau. Aus statischen Gründen wurde sie komplett abgerissen und neu errichtet. Im Hintergrund der Neubau des Kaufhofs am Stachus.)

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(Foto: Sebastian Winkler und Verlag Franz Schiermeier)

So begann für Winkler die Suche. Einiges fand er auf Floh- oder Trödelmärkten. Am meisten fündig wurde er aber im Internet. Da konnte es aber mitunter geschehen, dass sich Aufnahmen mit der Angabe "München" als solche aus Heidelberg oder anderswo aus Europa herausstellten. Oder er stieß bei einem Konvolut amerikanischer Provenienz mit der Ortsangabe "Europa" überraschend auf einen Schatz, weil sich viele Aufnahmen aus München dahinter verbargen. So genau nahmen es Touristen und GIs, die sich auf Urlaub durch Europa befanden, halt nicht mit den Ortsangaben. (im Bild: Tankstelle in Nymphenburg, Hirschgartenallee 122, um 1955.)

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(Foto: Sebastian Winkler und Verlag Franz Schiermeier)

Im Internet bekam Winkler auch den Konkurrenzdruck zu spüren. Oft kam es darauf an, die Sachen früher zu entdecken, als beispielsweise die Münchner Trambahnfreunde. "Wenn irgendwo eine alte Tram drauf zu sehen ist, hat man kaum noch eine Chance", erzählt er, "die bieten enorm hohe Preise". Ein Dia, das ansonsten vielleicht für ein paar Cent zu bekommen wäre, steigert sich dann ganz schnell auf bis zu 100 Dollar hoch. So hat ihn das Foto mit der Tram vor dem Pini-Haus am Stachus, entstanden etwa um 1955, viel mehr gekostet als erwartet. Aber das wollte er unbedingt haben. Und zu seinen Lieblingsbildern zählt auch das Foto vom September 1953, auf dem eine Tram, mehrere hinreißende alte Autos, qualmende Motorräder und einige Fahrradfahrer vor der Kulisse des Stachus-Rondells einen Verkehrspolizisten umkreisen. Ein herrliches Foto voll pulsierenden Lebens! (im Bild: Der verkehrsreiche Stachus im September 1953)

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(Foto: Sebastian Winkler und Verlag Franz Schiermeier)

Im Wesentlichen liebten die GIs und Touristen aber die typischen Münchner Postkartenmotive: Marienplatz, Alter Peter, Stachus, Nationaltheater, Hauptbahnhof, Odeonsplatz, Dom, Hofbräuhaus, Viktualienmarkt, Lenbachplatz, Königsplatz, Maximilianeum, Deutsches Museum und Oktoberfest. Von letzterem wie auch von der Auer Dult (im Bild: ein Geschirrstand auf der Auer Dult um 1965), vom Tierpark und vom Sechzigerstadion sowie von "Wintervergnügen und Fasching" gibt es etliche Aufnahmen im Buch. Aber für Winkler interessanter war oft der Bildhintergrund, der "Beifang", der die städtebauliche Situation jener Zeit verdeutlicht. Hier lassen sich die Veränderungen nach der Zerstörung und während des Wiederaufbaus ablesen. Neben den oft mangelnden Orts- und Zeitangaben bei den Aufnahmen, ganz zu schweigen von Angaben über Rechteinhaber, war der Erhaltungszustand eine weitere Herausforderung für die Publikation. Je nach Quelle und Aufbewahrungsort stand es hier nicht immer zum Besten. Feuchtigkeit und Bakterien, aber auch chemische Reaktionen verursachten mitunter Farbveränderungen.

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(Foto: Sebastian Winkler und Verlag Franz Schiermeier)

Auch ist die Farbbrillanz je nach Hersteller unterschiedlich. Deshalb entschieden sich Sammler und Verleger, die Fotos nach dem Einscannen einer digitalen Farbkorrektur und Fehlerbeseitigung zu unterziehen und zum Teil per Hand nachzubessern. So fehlt den Bildern eine vielleicht erwartete Patina, die Bildstrecken wirken farblich mitunter wie aus einem Guss. Das kann man mögen, muss man aber nicht. Dafür freut man sich aber über die knallig roten Geranien und Verkehrsschilder, eine Bluse, ein Kleid oder einen Hut, die wie Farbkleckse aus dem Nachkriegsgrau herausleuchten. Und dem Foto von der Tankstelle in Nymphenburg hat das Reinigen sogar womöglich gut getan. So Stephen-Shore-mäßig sehnsüchtig, wie das im Buch rüberkommt, dient es perfekt als Projektionsfläche für eine schöne, neue Zeit. (im Bild: Die Einmündung der Elisenstraße in die Dachauer Straße um 1955. Um einen fließenden Übergang zur Marsstraße herzustellen wurde die leicht nach Süden geknickte Elisenstraße später begradigt.) Sebastian Winkler und Franz Schiermeier: München farbig 1946-1965, Ausstellung bis 16. September, Architekturgalerie, Türkenstraße 32, Mo.-Fr. 9-19 Uhr, Sa. 9-18 Uhr; das Buch ist erschienen im Franz Schiermeier Verlag, München

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