Ausstellung "100 Portraits of Munich"Für jedes Jahr ein Mensch

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Fast hundert Münchnerinnen und Münchner im Alter zwischen einem und 100 Jahren stellt die Fotografin Ann-Katrin Lang vor. Nur die 99 muss noch gefunden werden.
Fast hundert Münchnerinnen und Münchner im Alter zwischen einem und 100 Jahren stellt die Fotografin Ann-Katrin Lang vor. Nur die 99 muss noch gefunden werden. (Foto: Stephan Rumpf)

Da ist der 35-Jährige mit dem Wunsch nach einem Pflegekind oder die 51-Jährige, die das Leben in Schleifen denkt: Die Fotografin Ann-Katrin Lang stellt in einem Projekt Menschen aus München zwischen einem und hundert Jahren vor. Nur ein Alter ist schwer zu finden.

Von Patrik Stäbler

Der Einjährige ist nach einer turbulenten Schwangerschaft auf die Welt gekommen - in München und damit dort, wo die 100-Jährige dereinst in der Nachkriegszeit einen Bombenkrater in der Au kaufte, um an seiner Stelle ein Häuschen zu bauen. Er hatte im Bauch seiner Mutter einen Schlaganfall, musste daher früher geholt und seither mehrfach operiert werden; sie hat Zeit ihres Lebens "auch geraucht und gedudelt", wie sie sagt, war viel in den Bergen und in der Natur. Er freut sich in den nächsten Jahren auf eine "abenteuerliche Reise", wie seine Eltern sagen, während sie nur noch einen Wunsch hätte: "Mit meinen Erfahrungen noch mal durchs Leben gehen." Dann würde sie vieles anders machen. Denn ihr langes Leben hat sie eines gelehrt: "Man wird schon gescheiter."

Er, das ist der Einjährige aus Untergiesing; sie, das ist die Hundertjährige aus der Au. Und zwischen diesen beiden, deren Lebensgeschichten jeweils auf spezielle Art und Weise mit dieser Stadt verbunden sind, spannt sich ein "Mosaik von München" auf - so nennt das Ann-Katrin Lang. Die 48-jährige Fotografin meint damit ihr Kunstprojekt "100 Portraits of Munich", für das sie 100 Menschen abgelichtet und interviewt hat. Das Besondere daran: Vom Ein- bis zur 100-Jährigen ist jedes Alter einmal vertreten. "Ich wollte vor allem Menschen porträtieren, die sonst nur selten zu Wort kommen", sagt Ann-Katrin Lang, die sich selbst als "Geschichtensammlerin" bezeichnet. "München ist bunt. Und mein Ziel war es, die Bewohnerinnen und Bewohner dieser Stadt in ihrer ganzen Vielfalt zu zeigen - mit all ihren Facetten, und das generationenübergreifend."

Das Ergebnis ist von Mittwoch an im Kulturhaus Milbertshofen zu sehen. Dort hängen großformatige Porträts aller 100 Beteiligten dem Alter nach nebeneinander. Dazu ist jeweils ein Zitat der oder des Abgelichteten auf einer Tafel zu sehen beziehungsweise bei kleineren Kindern ihrer Eltern. Klappt man diese auf, so kann man die komplette Geschichte der Person lesen - nicht aber ihren Namen.

Beispielsweise erzählt ein 18-Jähriger, wie er unter seiner alkoholabhängigen Mutter gelitten hat. Ein 35-Jähriger berichtet, wie sein Partner und er sich um ein Langzeitpflegekind bemühen. Eine 51-Jährige legt ihre Theorie vom Leben in Schleifen dar. Und eine 93-Jährige bekennt: "Mich interessiert nichts mehr, ich muss mit einem Rollator umeinanderrollen, und ich kann nichts mehr schmecken. Da komme ich mir vor, wie wenn ich schon hundert wäre."

Eine Zufallsbegegnung mit einer jungen Frau mit Bärenmütze war die Initialzündung für ein Fotoprojekt von Ann-Katrin Lang, aus dem dann die Idee zu den 100 Porträts entstand.
Eine Zufallsbegegnung mit einer jungen Frau mit Bärenmütze war die Initialzündung für ein Fotoprojekt von Ann-Katrin Lang, aus dem dann die Idee zu den 100 Porträts entstand. (Foto: Stephan Rumpf)

Sie habe alle Interviews stets mit der gleichen Frage begonnen, sagt Ann-Katrin Lang. Nämlich: "Was beschäftigt Sie?" Anschließend habe sie die Menschen erzählen lassen, mitunter mehrere Stunden lang. "Es war mir wichtig, dass ich mir Zeit für die Gespräche nehme", sagt die Mutter zweier Kinder, die in der Au lebt und als freiberufliche Fotografin arbeitet. "Jedes Gespräch war anders und jede Person auf ihre Weise unglaublich interessant." Entsprechend könne sie auch nicht die eine Lieblingsgeschichte benennen. "Ich denke, dass gerade die Vielfältigkeit der Lebensgeschichten den Reiz ausmacht."

Auf die Idee zu "100 Portraits of Munich" kam Ann-Katrin Lang - "es klingt fast schon kitschig", schickt sie voraus - in New York. Dort lebte sie 2013 und sei begeistert gewesen von "all den bunten und verrückten Menschen", die ihr dort tagtäglich begegneten. Zurück in der Heimat kam ihr München erst mal grau und trist vor. Doch dann stand eines Abends in der U-Bahn eine junge Frau vor ihr, auf dem Kopf eine Bärenmütze. "Ich habe sie spontan gefragt, ob ich sie fotografieren darf", erzählt Ann-Katrin Lang. Diese Begegnung war der Startschuss für ihren Blog "Portraits of Munich", für den sie fortan Hunderte Menschen auf der Straße fotografierte und interviewte. Vor zwei Jahren kam ihr dann die Idee, das Konzept weiterzuentwickeln und für ein Kunstprojekt gezielt 100 Münchnerinnen und Münchner aller Altersklassen zu suchen.

Über ihren Bekanntenkreis, Aushänge, soziale Medien und zwei städtische Alten- und Service-Zentren gelangte sie an ihre Protagonistinnen und Protagonisten. Lediglich an einer Stelle klafft bis heute eine Lücke - und das ist auch der Grund, weshalb im Kulturhaus Milbertshofen nur 99 Bilder zu sehen sind. Denn eine 99-Jährige habe sie bislang vergeblich gesucht, sagt Ann-Katrin Lang. "Zweimal hatte ich schon jemand, doch beide Male ist die Person wieder abgesprungen." Deshalb hängt in der Ausstellung zwischen der 98- und der 100-Jährigen kein Foto, sondern ein Aufruf: Wer 99 Jahre alt ist und an dem Projekt mitwirken will, der kann sich mit Ann-Katrin Lang in Verbindung setzen.

Die Ausstellung "100 Portraits of Munich" ist bis 14. Juli im Kulturhaus Milbertshofen zu sehen. Dessen Öffnungszeiten sind dienstags bis freitags von 9 bis 22 Uhr sowie am Wochenende während der Veranstaltungen. Am 28. Juni um 18 Uhr stellt Ann-Katrin Lang ihr Kunstprojekt im Rahmen einer Midissage vor. Im Herbst soll die Ausstellung dann im "Fat Cat" im Gasteig zu sehen sein.

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