Forschung:Tumore zum Leuchten bringen

Prof. Vasilis Ntziachristos, Helmholtz-Zentrum

Freizeit? "Die gibt es eigentlich nicht", sagt Vasilis Ntziachristos. Und auch zum Deutschlernen blieb ihm bisher viel weniger Zeit als ihm lieb wäre.

(Foto: Florian Peljak)

Vasilis Ntziachristos hat ein neues Diagnose-Verfahren entwickelt, das Röntgen eines Tages überflüssig machen könnte. Eine Hoffnung für viele Krebs-Patienten

Von Martina Scherf

Eine Denkfabrik auf der grünen Wiese: Das ist das Helmholtz-Zentrum im Münchner Norden. Vor acht Jahren hat die nationale Helmholtz-Gemeinschaft die Einrichtung in Neuherberg übernommen, vorher war sie jahrzehntelang als Deutsche Gesellschaft für Strahlenforschung bekannt. Längst wird dort viel mehr als der Einfluss von Radioaktivität auf Mensch und Umwelt untersucht. Diabetes, Lungen- und Atemwegs-Erkrankungen, Humangenetik, Stammzellen - das Münchner Helmholtz-Zentrum ist eines der größten deutschen Forschungszentren. 2300 Wissenschaftler und Mitarbeiter aus mehr als 30 Nationen arbeiten in den 45 Instituten, die sich in einer Brache zwischen Allianz-Arena und Panzerwiese ausdehnen und Ableger rund um München gegründet haben.

Haus Nummer 56 sieht mit seinen acht Ecken und blechverkleideten Fassaden aus wie ein umfunktioniertes Raumschiff. Im Erdgeschoss hängen wandhohe bunte Bilder. Moderne Kunst? Nein, zigtausendfache Vergrößerungen von menschlichen oder tierischen Zellen, wunderschön und geheimnisvoll. Hier hat Vasilis Ntziachristos sein Büro und zahlreiche Labore. Sein Spezialgebiet: bildgebende Verfahren. Seine bahnbrechende Erfindung: Er bringt Tumore zum Leuchten und macht das Licht hörbar.

Bildschirme, Rechner, Pressluftflaschen, Schraubenzieher und dazwischen eine Maus, vorsichtig platziert in einem Diagnosegerät. Ein pulsierender Laser bringt ihre Gehirnzellen in Schwingung, auf dem Bildschirm leuchten die Neuronen in bunten Farben. Die Maus stammt aus den USA und dient der Erforschung neurodegenerativer Erkrankungen wie Parkinson oder Alzheimer. Nur am lebenden Körper lassen sich die Vorgänge in den Zellen beobachten. Das Tier wurde vorsichtig betäubt, ein Detektor überwacht ständig seine Herzfrequenz. Es wird durch die Untersuchung keinen Schaden nehmen.

Schwache Laserimpulse erwärmen das Gewebe und lassen die Zellen - für Mensch oder Tier nicht wahrnehmbar - vibrieren. Ein hochempfindlicher Sensor erfasst diese Vibrationen, der Computer verwandelt sie in hochaufgelöste dreidimensionale Bilder. Diese als "Optoakustik" bezeichnete Methode ist die Pionierleistung von Vasilis Ntziachristos, dafür erhielt er neben dem renommierten Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft schon zwei Mal den höchsten europäischen Forschungspreis.

Mit den Fördermitteln wollen er und sein Team nun die Übertragung von der Grundlagenforschung in die klinische Anwendung schaffen. Patienten könnten in vielfacher Weise davon profitieren: bei der Früherkennung von Hautkrebs oder anderen Tumoren, aber auch von Herz-Kreislauferkrankungen, von Entzündungsprozessen oder Stoffwechselfehlfunktionen.

Der große Vorteil des Verfahrens, das der 45-jährige Grieche entwickelt hat: "Es ist nichtinvasiv, kommt ohne Strahlenbelastung und ohne Kontrastmittel aus", betont er. Trotzdem könnten Ärzte damit krankes Gewebe schneller und besser erkennen, als das mit bisherigen Verfahren wie Röntgen möglich ist. Weil die Methode völlig unschädlich ist, kann sie jetzt schon an Freiwilligen und Patienten erprobt werden. Erste klinische Studien sind vielversprechend. Medizin und Industrie weltweit sind interessiert.

Vasilis Ntziachristos ist Elektroingenieur, ein Außenseiter in einer Umgebung von Physikern, Chemikern und Biologen. Immer wieder schlug ihm auf seinem Weg zum Gipfel der Wissenschaft deshalb auch Skepsis entgegen, wenn er Kollegen von seinen Versuchen berichtete. Aber sein Sinn für Technik, so meint er und räumt schnell ein paar Kabel im Labor zur Seite, sei auch ein Vorteil: Er hat schon immer nicht nur höchst komplexe Modelle durchdacht, sondern auch gern mit Maschinen hantiert - und dabei kommen ihm Ideen, die auf den ersten Blick kurios erscheinen. Wie eben Laserstrahlen in Töne zu verwandeln, um Tumore zu erkennen.

Aufgewachsen in Griechenland, haben ihn Apparate von klein auf fasziniert. Kein Wunder: Der Vater und sein Bruder sind ebenfalls Ingenieure. Ntziachristos hat in Thessaloniki studiert, ging dann an die Uni nach Kopenhagen, von dort in die USA. Aus Harvard kam er 2007 nach München, als Direktor des Instituts für Biologische und Medizinische Bildgebung am Helmholtz- Zentrum und Professor an der Technischen Universität. Da galt er schon als einer der hundert bedeutendsten Innovatoren weltweit und war mit Ehrungen überhäuft, inzwischen hat er auch in Europa alle wichtigen Wissenschaftspreise erhalten. "Ich bin einfach unendlich neugierig", sagt der Grieche in perfektem Englisch, während er von Labor zu Labor eilt. "Könnt ihr mal den Laser kurz abschalten?", ruft er seinen Mitarbeitern zu und zieht den dunklen Vorhang zurück, der die Versuchsanlage abschirmt, damit die Besucher einen besseren Überblick haben.

Mehr als 100 Mitarbeiter in elf verschiedenen Gruppen koordiniert der Forscher an der TU und am Helmholtz-Zentrum. Es ist ein ständiger Fluss von Diskussionen und Verbesserungen an den Verfahren. Den einen "Heureka"-Moment, den sein Landsmann Archimedes einst erlebte, als er angeblich in der Badewanne in Syrakus das Archimedische Prinzip entdeckte, "nein, den hat es bei mir nicht gegeben", sagt Ntziachristos mit einem Lächeln, "es gibt eher viele kleine Heureka-Momente über die Jahre, und sie sind Ergebnis von ständiger, harter Arbeit." Seine Woche ist randvoll mit Terminen, zu Forschung und Lehre kommen Kongresse, Reisen und Meetings. Gleich muss er noch seine Vortragsfolien für den Besuch von Ilse Aigner zusammenstellen. Die bayerische Staatsministerin will über die Bedeutung seiner Forschung für den Wirtschaftsstandort Bayern informiert sein.

Freizeit? "Die gibt es eigentlich nicht", sagt er, und auch zum Deutschlernen blieb ihm bisher viel weniger Zeit als ihm lieb ist. Ist aber auch nicht nötig: In seinem Kosmos sprechen alle Englisch, sowohl am Institut, wo mehr als 25 Nationen vertreten sind, als auch an der Uni. Seine Frau ist Griechin, die drei Töchter wachsen dreisprachig auf. Sie sehen den Papa allerdings selten. "Ich bin froh, wenn ich mal ein paar Stunden mit der Familie habe", sagt er.

Ntziachristos lebt für seine Forschung, er will "Signale messen, die niemand zuvor gemessen hat". Er hofft, dass seine Erkenntnisse schon in wenigen Jahren dazu führen, dass man Therapien auf den jeweiligen Patienten zuschneiden und Kranke so schneller, schonender und sogar preisgünstiger behandeln kann.

Seit der Ingenieur vor mehr als 20 Jahren Griechenland mit dem Diplom in der Tasche verlassen hat, ist er Kosmopolit, wie er selbst sagt. Aber natürlich verfolgt er die Krise, die sein Heimatland erschüttert. Und sieht sogar etwas Positives darin: Die Regierung habe gemerkt, dass sie etwas tun müsse, um die Jugend im Land zu halten, und investiere in Forschung. "Seither habe ich wieder verstärkt Kontakte zu griechischen Kollegen. Das freut mich. In jeder Krise steckt eben auch ein Potenzial zum Fortschritt."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: