Forschung im Weltraum:Alleine mit Rosetta

Neubiberg, Bundeswehruni, Raumfahrt-Forscher Tom Andert

Thomas Andert in seinem Büro an der Universität in Neubiberg. Er gehört einem Forscherteam an, aber seine Kollegen arbeiten in Stanford oder Köln.

(Foto: Angelika Bardehle)

Der Geophysiker Thomas Andert wertet die Daten jener Raumsonde aus, die auf einem Kometen gelandet und am Mars vorbei geflogen ist. Es geht um nichts weniger als um Erkenntnisse über den Ursprung des Lebens

Von Jakob Wetzel

Es sind eindrucksvolle Fernsehbilder gewesen: Am 30. September landete nach zwölf Jahren im All die Raumsonde Rosetta auf dem Kometen Tschurjumow-Gerassimenko. Es war eine Pionierleistung, die Sender warteten mit spektakulären Bildern vom Raketenstart in Französisch-Guyana auf sowie vom Vorbeiflug der Sonde am Mars. Sie zeigten Aufnahmen von jubelnden Forschern im Europäischen Satellitenkontrollzentrum in Darmstadt, die hoffen, Erkenntnisse zu gewinnen über den Ursprung des Lebens. Und sie zeigten hochauflösende Computersimulationen vom Flug der Sonde und ihrer Landung auf dem Kometen, Hunderte Millionen Kilometer von der Erde entfernt. Ein Büro wie das von Thomas Andert, wenige Kilometer von München entfernt, zeigten sie nicht. Doch wer die Forschung im Weltraum verstehen will, der muss eigentlich hierher.

Andert ist Geophysiker und arbeitet als ziviler wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Universität der Bundeswehr in Neubiberg. Er ist einer der vielen Köpfe hinter der Rosetta-Mission. Und auch wenn diese nun abgeschlossen ist: Für ihn hat die Arbeit erst richtig begonnen.

Der Forscher empfängt in einem grauen Zimmer, das in keiner Hinsicht mithalten kann mit den Hochglanzbildern der Europäischen Weltraumorganisation ESA. Das ganze Uni-Gebäude fühlt sich an wie eine Schule nach Unterrichtsschluss: Die Luft riecht verbraucht, die Gänge sind lang und leer, die Zimmer sind eng, die Wände farblos. Hinter Anderts Schreibtisch steht ein Kühlschrank, darauf eine Kaffeemaschine. Der 43-Jährige verbringt hier viel Zeit. Er ist Teil eines Forscherteams, aber seine Kollegen sitzen in Stanford, in Brüssel, in Köln, in Japan oder auch auf Tahiti. Hin und wieder treffen sich die Wissenschaftler, um sich gegenseitig Ratschläge zu geben. Aber meistens sind sie allein.

Es gibt ein kleines Modell von Rosetta in diesem Raum, außerdem von Tschurjumow-Gerassimenko, dem Kometen, der entfernt so aussieht wie eine vier Kilometer dicke Badeente. Auf dem Fensterbrett lebt eine Topfpflanze, daneben hat Andert zwei Spielfiguren von Darth Vader gestellt, dem Bösewicht aus der Krieg-der-Sterne-Reihe. Doch ansonsten erreicht der Weltraum das Büro nur in Gestalt von Zahlenkolonnen. Die Daten, die Rosetta in den vergangenen Jahren gesammelt hat, müssen ausgewertet werden. Es geht um so viele Zahlen, dass der Computer eine Vorauswahl trifft, bei welchen es sich lohnt, sie anzusehen. Andert ist kein Informatiker, die Programme dazu schreibt er aber selbst. Das sei kein Problem, sagt er. "Es kostet nur Zeit."

Es steckt überhaupt viel Zeit und Rechenarbeit hinter den spektakulären Bildern aus der Weltraumforschung. Bei der Rosetta-Mission ging es um Erkenntnisse darüber, wie das Sonnensystem entstanden ist; Kometen sind Überbleibsel aus dessen Anfangszeit. Thomas Andert und sein Team waren dabei zuständig für eine von elf Experimentier-Vorrichtungen auf der Sonde; auf dem Kometen-Lander Philae gab es zehn weitere. Für den Neubiberger Forscher und sein Team ging es darum, die Anziehungskraft des Kometen zu messen, um herauszufinden, wie homogen er ist und welche genaue Form er hat. Es ist nur ein kleiner Schritt auf dem Weg zur Erkenntnis - aber schon der hat es in sich.

Grundsätzlich nutzten die Forscher den Dopplereffekt des Kommunikationssignals, das die Sonde aussandte: Sie maßen die Frequenz, mit der dieses Signal auf der Erde ankam. Weil diese Frequenz davon abhing, wie sich die Sonde relativ zur Erde bewegte, können sie berechnen, welche Beschleunigungskräfte auf die Sonde wirkten, welche Gravitationskraft also von dem Kometen ausging - und daraus wiederum erlauben sich Rückschlüsse auf dessen Struktur.

Freilich: In Wahrheit ist alles etwas komplizierter. Denn zunächst müssen aus den empfangenen Signalen sämtliche Störfaktoren herausgerechnet werden, zum Beispiel die Anziehungskraft der Sonne. Auch diese beeinflusst die Bewegung der Sonde. Dasselbe gilt für die Schwerefelder aller Planeten, für Eruptionen des Kometen, sogenannte Ausgasungen, für den Druck der Sonnenstrahlen und für die Bewegung der Erde, für deren Drehung und für den Einfluss unter anderem ihrer Atmosphäre sowie der Gezeiten. Die seien auf auch Landflächen messbar, sagt Andert. Dazu kommen weitere Faktoren. Auch hier übernimmt eine Software Arbeit; Andert hat sie zu großen Teilen selbst geschrieben, es war eine Komponente seiner Doktorarbeit. Zuallererst aber mussten die Wissenschaftler einen speziellen Apparat entwickeln, der das Signal der Sonde überhaupt erst stabilisierte. Jede Erschütterung von Rosetta hätte sonst das Experiment gestört.

Einmal wagten sich Andert und seine Kollegen an ein noch komplizierteres Experiment mit Rosetta: Sie ließen die Sonde so lange rotieren, bis ihr Signal zu einem genau berechneten Zeitpunkt in einem bestimmten Winkel auf einen speziellen Bereich des Kometen traf, von dem es dann exakt so reflektiert wurde, dass es zur Erde strahlte und dort eine bestimmte Empfangsstation erreichte, die dem Kometen gerade zugewandt war und mit 70 Metern Durchmesser über eine ausreichend große Radarschüssel verfügte, um das reflektierte Signal auch auffangen zu können. Die Bodenstation mieteten sie eigens an, weil die ESA selbst keine so großen Radarschüsseln betreibt. Eine solche Messung sei noch nie versucht worden, sagt Andert. Und wozu das alles? Die Wissenschaftler erhofften sich Aufschluss über die sogenannte Dielektrizitätskonstante des Kometen. So können sie Aussagen zum Beispiel darüber treffen, wie gut die elektrische Leitfähigkeit des Kometen ist, wie porös er ist oder wie rau seine Oberfläche ist, zumindest an dem angestrahlten Punkt. "Es ist zum großen Teil Grundlagenforschung", sagt Andert.

Geplant wurde dieses Experiment bereits vor Beginn der Raum-Mission. Spannend wurde es dann im September 2014. Thomas Andert reiste extra in das Kontrollzentrum nach Kalifornien, an dem das Signal ankommen sollte - und blickte dort mit anderen Wissenschaftlern auf einen Monitor. Er sah, wie das Signal der Sonde abriss, als die Drehung begann. Dann wartete er: Das Manöver sollte 20 Minuten dauern, danach würde das reflektierte Signal eintreffen, vorausgesetzt, niemand hatte sich vertan. "Wir hatten nur einen Versuch", sagt Andert. Die Minuten schienen ihm endlos. Doch dann kam das Signal tatsächlich an.

Ein Bildschirm, ein Signal, endlose Zahlenreihen: Thomas Andert hat sich diesen Blickwinkel auf die Forschung nur halb ausgesucht. Eigentlich wäre er gerne Astronaut geworden, sagt er. Er stammt aus Bad Staffelstein am Main in Oberfranken. Immer schon habe er Wissenschaftler werden wollen und sich für den Weltraum interessiert, sagt er. Nach der Schule lernte er den Beruf des technischen Zeichners, später holte er das Abitur nach und studierte in Köln. Dort fand er über einen Privatdozenten zur Weltraumforschung, zu Mars-Missionen und zu Rosetta. 2007 kam er nach München. Im selben Jahr bewarb er sich auch bei der ESA, er wollte ins Weltall. Aber Andert ist farbenblind - und so sei er gleich wieder aussortiert worden, sagt er.

Seine Leidenschaft gibt Andert mittlerweile weiter: Einmal in Jahr geht er für einen Vormittag in einen Münchner Kindergarten, den derzeit noch einer seiner beiden Söhne besucht, aber er werde das fortsetzen, sagt er. Gemeinsam mit den Vorschulkindern baut er dort Raketen aus Plastikflaschen und Tennisbällen. Mit Wasserdruck können diese schon einmal 30 Meter in die Höhe fliegen; es ist Wissenschaft zum Anfassen, ganz anders als das, was der Forscher sonst tut. Die Kinder, sagt er, seien immer begeistert.

Er selbst plant bereits in die Zukunft. In mehreren Jahren solle sich eine Sonde der ESA auf den Weg zum Jupiter machen, erzählt er; bei dieser Mission namens "Juice" sei er erneut als Teil eines Teams dabei. Bis dahin aber hat er gut damit zu tun, die Rosetta-Daten auszuwerten. Das werde noch etwa zwei Jahre dauern.

Konkret heißt das, Voraussagen zu überprüfen. Die Forscher haben Modelle des Kometen entwickelt und daraus Annahmen abgeleitet. Diese gleichen sie nun mit den Daten ab, die Rosetta geschickt hat, und passen die eigenen Modelle an. Je näher die Sonde an dem Kometen war, desto genauer sind die Daten der Sonde, desto exakter können sie ihr Bild von Tschurjumow-Gerassimenko modellieren. Andert sitzt in seinem grauen Zimmer und deutet auf einen von drei Bildschirmen. Der Apparat zeigt nur eine geschwungene Kurve, die sich durch mehrere Punkte bewegt, aber Andert sieht darin die Schwerkraft des Kometen. Die Linie zeigt, dass seine Vorhersagen gut waren, der Forscher ist stolz. "Die Kurve ist so ziemlich perfekt."

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