Süddeutsche Zeitung

Forschung an der TU München:Gummibärchen unter Beschuss

  • An der Technischen Universität München wird die Struktur von Gelatine anhand von Fruchtgummi erforscht. Die Gummibärchen werden dazu mit Positronen beschossen.
  • Die Erkenntnisse sind für die Pharmaindustrie interessant, da Gelatine-Ummantelungen von Medikamenten durch sie optimiert werden können.
  • Essen kann man die Gummibärchen nach dem Versuch ohne Bedenken.

Von Jasmin Kohl, Garching

Rote Gummibärchen stehen unter Beschuss, wehrlos sind sie ihrem Schicksal ausgeliefert. Was wie nach einem gruseligen Kinderfilm klingt, beschreibt in Wirklichkeit ein Forschungsprojekt an der Technischen Universität München (TUM), das sich mit der Struktur von Gelatine beschäftigt.

Um ihre Inhaltsstoffe vor Sauerstoff zu schützen, sind viele Medikamente mit Gelatine ummantelt. Nicht nur ihre Haltbarkeit verlängert sich dadurch, auch die gezielte Freisetzung des Wirkstoffs im Körper wird so optimiert. Außerdem erleichtert die Ummantelung das Schlucken von schlecht schmeckenden Medikamenten. Eine zentrale Rolle für die Schutzleistung der Gelatine spielen Anzahl sowie Größe ihrer feinen Poren.

"Je größer die Poren und je mehr die Gelatine davon aufweist, desto eher kann Sauerstoff eindringen und den Wirkstoff schädigen", erläutert Christoph Hugenschmidt, Leiter des Fachgebiets für Physik mit Positronen an der TUM. Andererseits sei die Gelatine so weniger spröde. So wichtig die Poren für die Beschaffenheit der Gelatine sind, so schwierig sind sie zu bestimmen.

Warum die Bärchen beschossen werden

Doch Hugenschmidt gelang es nun zusammen mit seinem Kollegen Hubert Ceeh, eine geeignete Methode zu entwickeln - und da kommen die Gummibärchen ins Spiel. Denn Fruchtgummi besteht fast vollständig aus Gelatine, die Bärchen sind kostengünstig und somit das ideale Modell für die Gelatine-Ummantelung eines Medikaments.

Aber warum und womit werden die Süßigkeiten denn nun beschossen? "Positronen" heißt das Zauberwort, das mancher vielleicht noch aus dem Physik-Unterricht kennt. Positronen sind Antiteilchen von Elektronen. Treffen Positronen mit Elektronen zusammen, entsteht ein Lichtblitz. Und genau dieser Lichtblitz ist für die Forscher interessant. Um ihn zu erzeugen, wird das Gummibärchen mit einem Klebestreifen auf einem "Positronen-Lebensdauer-Spektrometer" befestigt und mit Positronen beschossen, die auf die im Fruchtgummi enthaltenen Elektronen treffen.

Die Dauer des entstehenden Lichtblitzes (zwischen 1,9 und 1,2 Nanosekunden - also unsichtbar für das menschliche Auge) gibt den Wissenschaftlern Aufschluss über die Porenanzahl und -größe des gelatinehaltigen Bärchens. Diese Erkenntnis ist besonders für die Pharmaindustrie interessant, da Gelatine-Ummantelungen von Medikamenten durch sie optimiert werden können.

"Der Versuch ist komplett zerstörungsfrei"

Gummibärchenschützer sollten die nächsten Zeilen überspringen - zu traumatisch könnten die Folgen für sie sein: Ganze drei Tage bleibt ein Gummibärchen ununterbrochen zum Zwecke der Forschung auf dem Spektrometer gefesselt und steht unter Dauerbeschuss. Einziger Trost: Den Versuch durchlaufen die Gummibärchen im Doppelpack - frei nach dem Motto "geteiltes Leid ist halbes Leid".

Anerkennung verdienen die süßen Bärchen ohne Frage: Sie helfen dabei, Studenten spielerisch an das Untersuchen von Positronen heranzuführen. Der Gummibärchen-Versuch wird von Physik-Studenten innerhalb ihrer Pflichtpraktikumsversuche regelmäßig vorgenommen.

Physische Schäden tragen die Bärchen nicht davon - auch psychische Traumata sind bisher unbekannt. "Der Versuch ist komplett zerstörungsfrei", versichert Ceeh. Sogar essen könne man die Gummibärchen nach dem Bombardement ohne Bedenken, denn Einfluss auf den Geschmack hat der Beschuss nicht. Am Ende könnten den leidgeprüften Bärchen also doch wieder ihre Fressfeinde zum Verhängnis werden: Kinder und Erwachsene.

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SZ vom 14.01.2015/mmo
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