Schlangen, Schlangen, überall Schlangen – die sich herumwinden, um Absperrgitter, hinter Absperrbändern. Bereits am Samstag konnte man nicht durch die Münchner Innenstadt laufen, ohne irgendwo auf eine Reihe von Menschen zu stoßen, die sich voll Vorfreude anstellten. Jede Schlange führte zur National Football League (NFL), der amerikanischen Profiliga, die am Sonntag zum zweiten Mal ein Pflichtspiel in München angesetzt hatte. Und am Spieltag war das natürlich nicht anders: Schon vier Stunden vor dem Anstoß (im Fachjargon: Kick-off) warteten Hunderte Fans in der Kälte, ehe die Partyzone nördlich der Fröttmaninger Arena öffnete. Einmal drin, musste man eine Stunde vor dem Stand für Erinnerungsfotos einrechnen.
Nach der Premiere zwischen den Tampa Bay Buccaneers und den Seattle Seahawks vor zwei Jahren gastierten nun die Carolina Panthers und die New York Giants in München. Wie 2022 hatte die Liga mit ihren Teams die Stadt für ein Wochenende in Beschlag genommen – und erneut Tausende Fans angelockt.
Aus der Glockenstadt Gescher im Münsterland war zum Beispiel Simon gekommen. Mit seinen Freunden – „grundunterschiedliche Fans von allen möglichen Teams“, wie er sagt – hat er sich am Freitagmorgen um vier Uhr in den Zug gesetzt, um teilzuhaben am Erlebnis NFL. Am Samstagmittag haben sie Bierkrüge ergattert mit dem Logo der Panthers; 500 davon hatte das Team verschenkt im Augustiner-Stammhaus, dem Treffpunkt seiner Anhänger.
Am Nachmittag stand die Gescher Gruppe dann mit den inzwischen leeren Masskrügen auf dem Viktualienmarkt, wo die Kansas City Chiefs ein Wurfspiel aufgebaut haben. Neben der Schlange, die sich davor gebildet hatte, erzählte Simon, wen sie schon getroffen haben: „Fans aus Boston und South Carolina, einen gebürtigen Ghanaer aus Düsseldorf.“ Die NFL bringt die Welt zusammen.
Auch in der Arena war das zu beobachten: „From Holland“, sagte ein Fan mit Panthers-Mütze. Rich, der aus New York stammt, aber westlich von München lebt, hatte die Gelegenheit genutzt, um mit seinem 13-jährigen Sohn einmal ein Spiel der Giants zu besuchen. Doch die Tribünen waren nicht nur in Blau getaucht, der Farbe beider Teams – sie waren bunt. Jeder und jede, der und die schon einmal ein Produkt der NFL erstanden hat, trug es am Wochenende stolz zur Schau: Mützen, Schals, Trikots und Jacken fast aller 32 NFL-Teams waren auch im Stadion zu sehen. Wobei: Als die Panthers auf den Rasen liefen, hörte sich das zumindest ein wenig nach einem Heimspiel an. Sie waren formal ja auch Gastgeber der Partie.
Die war für die vielen angereisten Fans Anlass, sich fleißig mit weiteren Fan-Utensilien einzudecken. Vor dem für drei Tage aufgemachten Pop-up-Store der NFL im ehemaligen Galeria Kaufhof am Stachus reichte die Schlange der wartenden Interessenten am Samstagnachmittag zurück bis zum Eingang des Mathäser-Kinos. In der Arena musste man tags darauf aufpassen, nicht den Kick-off zu verpassen: Wer an einem der sechs NFL-Shops einkaufen wollte, musste mindestens eine halbe Stunde Wartezeit einrechnen. Die Wellenbrecher, die allein für den Weg zum Shop aufgestellt wurden, waren 1900 Meter lang. Schlangen, Schlangen, überall.
Auch beim Fan-Fest der Panthers auf dem Wittelsbacherplatz, wo sich die Menschen nicht nur brav vor dem Fanartikel-Stand einreihten, sondern ebenso vor den Mitmachaktionen. Da konnten sie ihr Können beim Kicken oder Werfen des eiförmigen Footballs testen. Oder am Platzl, wo sich zwischen Hofbräuhaus und Hard Rock Cafe die Schlangen kreuzten: Eine wollte zum ausgewiesenen Treff der Giants, die andere zu dem der Seattle Seahawks.
American Football:Alle Infos zum NFL-Spiel in München
Am 10. November spielen die Carolina Panthers gegen die New York Giants. Gibt es noch Tickets? Welche Veranstaltungen rund um die Partie sind sonst noch geplant? Fragen und Antworten zum zweiten „Munich Game“.
Selbst dort, wo sich in der bayerischen Landeshauptstadt sowieso immer eine lange Menschenschlange bildet, war die NFL vertreten – bei der Münchner Tafel an der Großmarkthalle. Dort halfen am Samstagvormittag mehrere Dutzend Büroangestellte der Carolina Panthers bei der Essensausgabe für Bedürftige. „Wir wollen der Gesellschaft auch etwas zurückgeben“, sagte die Klubpräsidentin Kristi Coleman, die eigenhändig Babynahrung verteilte. Panthers und Giants hatten zusammen 10 000 Euro für Lebensmittel gespendet.
Das Engagement der Panthers erklärte deren Marketing-Direktorin Kalen Karahalios später damit, dass sich Deutschland „wie eine zweite Heimat“ anfühle, seit der Klub 2021 Vermarktungsrechte der NFL gesichert hat. Nicht umsonst hat der Klub aus Charlotte im US-Bundesstaat North Carolina das Augustiner-Stammhaus ausgeflaggt mit dem Slogan: „Das ist unser Bau“. Man werde „unsere Marke hier ewig sehen“, kündigte Karahalios launig an.
Die Panthers gehörten zu den ersten vier Klubs, die Marketing-Rechte in Deutschland besaßen. Seit der Punktspiel-Premiere 2022 ist deren Zahl inzwischen auf zehn angestiegen. Die meisten davon waren am Wochenende auch auf die eine oder andere Weise zu Werbezwecken präsent in der Stadt, mit Fan-Aktivitäten oder Team-Pubs. Der aus Berlin angereiste Ale Santoz zum Beispiel schaute sich das Spiel am Sonntag in einer Gaststätte am Platzl an, die als Nest der Atlanta Falcons gekennzeichnet war; dort wurde danach noch eine Partie der Mannschaft aus den USA übertragen. Als „Alesantoz“ hat der 46-Jährige den deutschen Fanklub der Falcons aufgebaut, er ist dafür als „Internationaler Fan des Jahres“ ausgezeichnet worden und versteht sich als Botschafter. „Ich versuche, Amerikaner und Deutsche zusammenzubringen“, sagt er, „ich bin für die Fans und die Community hier.“
Um deren Pflege kümmerten sich die Teams auf unterschiedliche Weise. So deklarierten die Tampa Bay Buccaneers das Ned Kelly’s hinter der Frauenkirche zur „Botschaft“, wie die für Medien und Marketing zuständige Vizepräsidentin Christi Bedan erklärte: „Ein permanenter Ort für Bucs-Fans, um Football-Spiele zu sehen.“ Den haben die New England Patriots bereits seit Saisonbeginn in der Gaststätte „Herrschaftszeiten“ im Tal eingerichtet, wie der für die deutschsprachigen Länder zuständige Manager Chris Knower betont. Patriots-Partien, die am frühen Sonntagabend hiesiger Zeit stattfinden, sind dort in einem Nebenraum zu verfolgen. Wenn der große NFL-Tross aus der Stadt abgezogen ist, wird man dort auch wieder ohne Schlangestehen hineinkommen.
Die überdimensionalen Helme mit den Team-Logos, die vor zwei Jahren prominent auf dem Odeonsplatz gestanden hatten, säumten diesmal im Übrigen die Esplanade vor dem Stadion. Höhepunkt vor dem Spiel war eine Choreografie über die Tribünen hinweg, mit überdimensionalem NFL-Logo und deutscher Fahne. Während des Spiels sorgte der Gesang zu „Sweet Caroline“ und dann John Denvers „Take me home, country roads“ für Emotionen – da sangen die Fans sogar noch weiter, als die Partie schon wieder lief. Es ist nach nur vier Spielen in Deutschland fast schon Tradition, dass der Country-Klassiker im Schlussabschnitt eingespielt wird.
In diesem wurde die Partie dann sogar richtig spannend. Vor 70 132 Zuschauern ging es erstmals bei einem NFL-Gastspiel auf deutschem Boden in die Verlängerung: Die Panthers siegten 20:17.