Flughafenumzug:Neustart am Erdinger Moos

Vor genau 25 Jahren nahm der neue Münchner Flughafen seinen Betrieb auf. Sieben Mitarbeiter erzählen, wie sich ihre Arbeit am Flughafen seitdem verändert hat.

Von Clara Lipkowski

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Motorsägen statt Pelzmäntel

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Quelle: Marco Einfeldt

Josef Rankl leitet das Flughafen-Fundbüro

Josef Rankl, 55, erinnert sich noch genau, wie er als "Loader" früher mit seinen Kollegen 500 Koffer von Hand verladen hat. "Das war ein Knochenjob", sagt er. Heute gehe das alles maschinell. Auch die Fluganzeige läuft längst auf Bildschirmen und nicht mehr wie früher auf per Hand gesteuerten Tafeln. Früher, das war noch in Riem, als Rankl im Passagierdienst war. Nach dem Umzug wechselte er zur Fundstelle in Terminal 1 und wurde später deren Leiter. Vom Auszug aus Riem ist er heute noch begeistert, "das gab's ja noch nie, in einer Nacht umzuziehen, das war pure Euphorie. Und als die Lichter in Riem ausgingen, saßen wir gemeinsam vorm Fernseher und es herrschte Totenstille."

Am neuen Standort änderte sich vieles, auch die Fundstücke: "Fliegen war ja früher was Besonderes, die Passagiere trugen Anzug und Krawatte, nicht wie heute Jogginghose." Also waren auch die Fundstücke hochwertiger. "Damals hatten wir Pelzmäntel und echten Goldschmuck." Heute ist von allem etwas dabei. In einem fensterlosen Raum öffnet er die Tür eines Metallschranks, Benzingeruch entweicht, und da liegen - Tatsache - ein halbes Dutzend Motorsägen, ölig und verrostet. Im Raum nebenan stecken in Kunststoffboxen Handys, daneben zig Tablets, teils nagelneu, Schlüssel, E-Bikes und Scooter. Auch Goldfische und entlaufene Katzen seien schon abgegeben worden, sagt Rankl. Ihn überrascht nichts mehr. Bis zu 70 000 Habseligkeiten sammeln sich im Jahr an, bald kämen wieder viele dazu, schließlich stehe die Hauptreisezeit an. Auf der Suche nach dem rechtmäßigen Besitzer gerate man durchaus in persönliche Lebensgeschichten, "auf RTL2-Niveau", sagt er. Ein Mann hatte sein Handy verloren, man konnte die Ehefrau kontaktieren. Es stellte sich heraus, dass der Mann nicht in München, sondern in Barcelona hätte sein sollen. Die Frau war wenig begeistert, das Handy aber bekam der Mann zurück. In 48 Prozent der Fälle bekommen die Besitzer ihr Fundstück wieder, der Rest wird versteigert. Die Motorsägen übrigens, sagt Rankl, seien dann begehrt.

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Steuermann am Boden

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Quelle: Marco Einfeldt

Vorfeldmeister Alfred Ertl organisiert den reibungslosen Ablauf auf dem Gelände

An die Umzugsnacht erinnert sich Alfred Ertl noch genau. Aber nicht, weil er damals gearbeitet, sondern weil er geheiratet hat. Den Umzugswahnsinn habe er aber schon vorher miterlebt, sagt der 50-Jährige, der seit 28 Jahren im Flughafendienst ist und noch drei Jahre Riem miterlebt hat. "Riem war in allem spartanischer, die Technik, die Wege, das Verkehrsaufkommen, alles war übersichtlich." Heute ist er mit den gelben Fahrzeugen täglich auf etwa 500 Hektar Flughafengelände unterwegs, stets auf Patrouille zwischen den ein- und ausrollenden Fliegern und den anderen Fahrzeugen, Koffertransportern und Caterern, gerne auch quer übers Rollfeld, über die roten Linien am Boden, er darf das, er ist der Vorfeldmeister. Er muss dafür sorgen, dass auf dem Parkplatz der Flieger Ordnung herrscht, Öl oder Müll auf dem Boden müssen sofort weg, eine Folie etwa, die in ein Triebwerk gesogen wird, kann die Airline viel Geld kosten. Ist eine Fahrgastbrücke defekt, organisiert Ertl einen Bus, um die Passagiere sicher vom Rollfeld zu bringen.

Über die Jahre sei der Flughafen enorm gewachsen, auch dadurch, dass das Fliegen für immer mehr Menschen erschwinglich wurde, sagt Ertl. Die Digitalisierung der Abläufe seit Mitte der Neunzigerjahre verlangte eine speziellere Ausbildung, Ertl machte ein Sprechfunkzeugnis und Schulungen in IT und Navigation. Heute hat er alle wichtigen Flug- und Passagierdaten im Auto auf dem Tablet oder in der Zentrale auf dem Computer. Händisch arbeitet er aber immer noch. Hin und wieder winkt er mit roten Leuchtstäben Piloten in die Parkposition - wenn die Maschine auf dem offenen Rollfeld parken soll. "Aber die Technik ist heute überall präsent", sagt er und zeigt am Rollfeld vor Terminal 1 auf einen Airbus aus Montréal, der gerade heranrollt, per Laser erfasst und gemessen wird. "Der Pilot weiß so genau, wo er halten muss." Vorfeldmeister Ertl ist immer ganz nah dran an den Maschinen, auch dann, wenn Prominente das Rollfeld betreten, Staatsgäste oder Musiker. "Ich hatte auch schon Paul McCartney, Bruce Springsteen und die Stones".

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Eine Frau für alle Fälle

25 Jahre MUC

Quelle: Clara Lipkowski

Anneliese Herrmann ist die Verkehrsleiterin vom Dienst

Lässt im Terminal 2 ein Passagier seinem Frust mal so richtig freien Lauf, oder bilden sich lange Schlangen vor den Schaltern, ist Anneliese Herrmann zur Stelle, beschwichtigt die Fluggäste und organisiert mehr Personal. Im Terminal ist sie so etwas wie der Problembeseitiger der Lufthansa, Verkehrsleiterin vom Dienst heißt das im Fachjargon. Angefangen hat sie 1984 als Check-in-Agent. "Ich bin noch ein Riemer Kind, Riem war wie ein kleines Haus, hier ist alles viel lichter und größer", sagt sie. Mit der Vergrößerung kam auch die Technisierung der Abfertigung. Als es irgendwann hieß, es werde künftig nur noch elektronische Tickets geben, da sei sie zuerst skeptisch gewesen. "Aber nach einem halben Jahr hatten wir keine Papiertickets mehr", sagt die 56-Jährige, "das hat die Arbeit enorm erleichtert. Kam dann noch jemand mit Papierschein, haben wir gelacht, wo der denn her sei."

Insgesamt sei die Arbeitsbelastung trotzdem mehr geworden - weil es mehr Flugbewegungen gebe. In zehn Jahren als Verkehrsleiterin vom Dienst ist ihr der Ausbruch des isländischen Vulkans Eyjafjallajökull im Jahr 2010 besonders in Erinnerung geblieben. "Wir hatten eine Woche Ausnahmezustand, Busse gechartert, Gäste weggebracht und uns um die gekümmert, die im Terminal übernachtet haben." Mitunter wird es auch rührig in Herrmanns Job. Eine Moskauerin landete einmal in München zwischen, auf dem Weg zu ihrer Tochter nach Rom. Sie flog zum ersten Mal und ihr Visum war erst vier Tage später gültig. Weiterreisen ging nicht, also organisierte Herrmann Schlafplatz und Verpflegung im Transit. Und bekommt dafür bis heute jedes Jahr eine Dankespostkarte.

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Wächter der Ruhezeiten

25 Jahre MUC

Quelle: Clara Lipkowski

Christian Herrmann ist der Flugbetriebsleiter im Erdinger Moos

Aus Sicht eines Piloten hatte der Umzug von Riem ins Erdinger Moos einen ganz praktischen Vorteil: "Durch den Längenunterschied der Start- und Landebahnen haben wir einen enormen Sicherheitsgewinn", sagt Christian Herrmann. In Riem seien dies 2800 Meter gewesen, im Erdinger Moos vier Kilometer. Er nennt sich selbst "Amphibienpilot", weil er laut Vertrag bei der Lufthansa-Tochter Cityline nur noch zu 51 Prozent fliegt und zu 49 Prozent im Flugmanagement arbeitet. Als kommissarischer Flugbetriebsleiter ist er für die Crews und damit für etwa 1600 Personen verantwortlich. Er überwacht etwa die Einhaltung von Ruhezeiten und Sicherheitsbestimmungen. Er selbst fliegt seit 1980, seine Faszination für die Luftfahrt hatte er mit 22 entdeckt, während eines Flugs mit einem Freund in einer kleinen Maschine. Zuletzt flog er Langstrecken nach Übersee, in die USA. "Ich bin in Riem fliegerisch groß geworden", sagt der 59-Jährige, aber Riem sei eben ein Dorfflugplatz gewesen im Vergleich zum neuen Standort.

Kurz nach dem Umzug habe es noch "Confusion" gegeben, sagt Herrmann, der wie viele Piloten gerne englische Begriffe einstreut. Auf den neuen Rollbahnen standen nun Abbiegezeichen nicht mehr hinter der Spur, sondern davor. "Heißt das jetzt davor oder dahinter abbiegen, haben wir uns gefragt", erzählt er. Der Umzug aber habe die Verkehrslage erheblich entzerrt. Der Stau im Anflug etwa sei besser organisiert worden. "Flieger müssen nicht mehr mit jeweils 1000 Fuß Höhenunterschied zueinander Warteschleifen drehen, sondern bereiten sich auf dem "Race-Track" hintereinander wie in einer Perlenkette auf die Landung vor."

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Der Aufpasser vom Dienst

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Quelle: Marco Einfeldt

Rainer Gottwald sorgt für Sicherheit in Terminal 1

Es war in den Neunzigerjahren. Die Bestimmungen, wie viel Bargeld man mitführen darf, waren noch nicht besonders streng, da stellte ein Reisender dem Bundespolizisten Rainer Gottwald eine Sporttasche voller Geld auf den Tisch und sagte: "Nehmen Sie sich, so viel Sie brauchen, wenn ich gehe, nehme ich die Tasche wieder mit und zähle auch nicht nach." Der Mann wollte mit ungültigem Visum einreisen. Rainer Gottwald hatte etwas dagegen. Das gehört zu seinem Job. Unter den Menschen, mit denen er es zu tun hat, sind eben auch die, die nichts Gutes im Schilde führen: Geiselnehmer, Menschen, die drohen, Bomben in Flugzeugen hochgehen zu lassen oder mit ihrem Kind ohne den zweiten Elternteil ausreisen wollen.

Zum Flughafendienst kam der heute 50-Jährige schon vor der Eröffnung des neuen Standorts im Erdinger Moos, nicht weil er wollte, sondern weil er musste. Die Bundespolizei, damals noch Grenzschutz, übernahm den neuen Flughafen und arbeitete in Riem Personal ein. Gottwald hatte sich eher als "Polizist der Straße" gesehen, in Wackersdorf als Bereitschaftspolizist habe er die "Demokratie verteidigen" wollen. Nach dem Pflichtjahr beim Grenzschutz blieb er, es gefiel ihm, obwohl vieles mühsam war. "Es gab Schreibmaschinen, keine PCs, und regelmäßig haben wir in Fahndungsbüchern geblättert." Heute sucht er Namen von Verdächtigen per Computer. Zudem kümmert er sich um Asylsuchende: Muss der Einreisegrund geklärt werden, macht er Erstbefragungen. Als stellvertretender Inspektionsleiter ist er außerdem Mentor und Motivator für etwa 300 Nachwuchspolizisten. Verlässt er sein Büro im ersten Stock, um in Terminal 1 nach dem Rechten zu sehen, ist er immer acht Kilo schwerer. So viel wiegt seine schusssichere Weste.

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"Geschmuggelt wird immer"

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Quelle: Marco Einfeldt

Walter Bachmayer ermittelt in Zivil

Läuft Walter Bachmayer seine Runden durch den Flughafen, könnte er auch als Reisender durchgehen. Er ist stets in Zivil gekleidet, Hemd, Weste, Jeans. Kontrolliert er eine Person, zückt er Ausweis und die messingfarbene Marke, die er in einem kleinen Portemonnaie mit sich führt. "Wir suchen gezielt Transitpassagiere raus", sagt der 49-jährige Zollbeamte. Er ist auf Drogen- und Waffenschmuggel spezialisiert und seit 27 Jahren im Dienst. Er weiß, worauf er achten muss. Taucht bei der Zollkontrolle jemand mit einem unplausiblen Fluggrund auf, der zum Vater ins Krankenhaus will, aber gar nicht sagen kann, in welches? Oder erscheint ein Mann im Anzug, hat aber zerschundene Hände? Dann, sagt Bachmayer mit ruhiger Stimme, "befragen wir die Person intensiv und öffnen das Gepäck. Im schlimmsten Fall muss sich jemand ausziehen." Je nach Verdacht werde die Person auch geröntgt, Drogen können nicht nur am, sondern auch im Körper versteckt sein.

Viel geändert habe sich über die Jahre nicht, "geschmuggelt wird immer", sagt er. Seit München zum Drehkreuz wurde, hätten sich die Schmuggel-Routen verlagert. Seit ein paar Jahren werde die Droge Kath aus Nordafrika eingeschleust. Schockiert sei er über manche, die er auffliegen sehe, Frauen mit Kind an der Hand etwa. Mitleid aber habe er nicht, wenn Drogen und Waffen perfide in Receivern verbaut oder in Damenschuhen versteckt würden. Unwissenheit spiele aber auch eine Rolle, sagt er. "Eine 83-jährige Großmutter wollte ihrem Enkel aus Bulgarien einen Wurfstern mitbringen." Die Waffe ist hierzulande verboten. Der Enkel bekam keinen Wurfstern, die Oma dafür eine Anzeige.

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Ein Händchen für die Gäste des Aeroporto

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Quelle: Marco Einfeldt

Hildegard Wenzl ist Besucher-Betreuerin am Flughafen

Als sich Hildegard Wenzl nach der Realschule entschloss, am Flughafen zu arbeiten, entschied sie sich für ein ungewöhnliches Bewerbungsschreiben: Bei der Zeile "Bewerbung für" hat sie geschrieben: "Irgendwas." Diese Unbekümmertheit brachte ihr erst einen Job im Souvenir-Geschäft ein, kurze Zeit später übernahm sie die Leitung der Rundfahrten über das Flughafengelände, das sich damals noch in Bau befand. "Wir mussten mit unserem Bus vor jeder Tour schauen: Wie fahren wir heute an Löchern und Hügeln vorbei?", erinnert sich die 59-Jährige.

Mit Eröffnung des neuen Standorts seien nicht nur deutlich mehr Interessierte gekommen - von da an mussten auch Besucher, die eine Rundfahrt machen wollten, durch die Sicherheitskontrolle. Aussteigen dürfen sie während der Tour nicht. Das ist besonderen Gästen vorbehalten, dem Fachpublikum oder bestimmten Kindergruppen etwa. Kommen blinde Kinder zu Besuch, erzähle sie eben alles, was sie zeige, sagt Wenzl, die Männer der Flughafenfeuerwehr nähmen die Kinder an die Hand.

Wenzl bietet Touren auf Deutsch und Englisch an, derzeit paukt sie Vokabeln und Grammatik, um künftig auf Italienisch den "Aeroporto" zu erklären. "Schoki-Job" nenne sie ihre Tätigkeit, "denn meine Aufgabe ist es, Gäste zu unterhalten". Manchmal sorgen diese Gäste schon allein für das Programm. Eine Gruppe junger Männer etwa hatte sich vor der Tour den ein oder anderen Drink zu viel genehmigt. "Ich habe schon vorher überlegt, ob ich die Fahrt wirklich machen will", sagt Wenzl. "Sie endete dann in einer Luftfahrthalle. Danach musste nicht nur die Halle, sondern auch der Bus gereinigt werden."

© SZ vom 17.05.2017/vewo
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