Süddeutsche Zeitung

Flughafen:Polizei stoppt mutmaßliche Entführung in letzter Minute

  • Die Polizei hat am Münchner Flughafen verhindert, dass ein 51-Jähriger mit seinen beiden Kindern nach Tunesien ausreist. Die Mutter hatte dem nicht zugestimmt.
  • Die Staatsanwaltschaft ermittelt nun. Für die sogenannte Kindesentziehung kann es bis zu fünf Jahre Gefängnis geben.
  • Ähnliche Fälle gab es in den vergangenen Jahren am Münchner Flughafen immer wieder.

Von Martin Bernstein

Bundespolizisten am Münchner Flughafen haben am Freitag buchstäblich in letzter Minute verhindert, dass ein 51 Jahre alter gebürtiger Tunesier seine beiden zwei und fünf Jahre alten Kinder gegen den Willen der Mutter in sein Heimatland mutmaßlich entführen konnte. Immer wieder gelingt es den Beamten am Flughafen, versuchte Kindesentziehungen aufzudecken. Vor allem, wenn Kinder mit nur einem Elternteil oder gar ohne Eltern ins Ausland reisen, schauen die Bundespolizisten nach Angaben ihres Sprechers Christian Köglmeier ganz genau hin.

Bei der Ausreisekontrolle des Nachmittagsflugs nach Tunis war den Beamten am Freitag ein 51-Jähriger mit zwei Kleinkindern aufgefallen. Der österreichische Staatsbürger, offensichtlich der Vater des fünfjährigen Mädchens und des zweijährigen Buben, erzählte den Polizisten von einem plötzlichen Todesfall in der Familie. Deshalb sei er mit den Kindern unterwegs in sein Geburtsland Tunesien. Die Mutter der beiden Kinder sei bereits dort, behauptete der Mann. Sie könne telefonisch allerdings nicht erreicht werden. Eine schriftliche Einverständniserklärung der Mutter hatte er nicht.

Die Beamten wurden hellhörig. Als sie der Angelegenheit nachgingen, erwiesen sich die Angaben des Vaters als Lüge. Die Mutter hatte die angebliche Reise nach Tunesien nie angetreten. Mehr noch: Von ihren Kollegen vom Polizeikooperationszentrum in Passau erfuhren die Bundespolizisten, dass die 29-Jährige im selben Augenblick bei der Polizei an ihrem Wohnort in Leonding in Oberösterreich vorstellig geworden war. Ihr Mann wolle angesichts der bevorstehenden Scheidung die gemeinsamen Kinder nach Tunesien verschleppen, befürchtete die Frau - offenbar zu Recht. Der 51-Jährige hatte die beiden nach Angaben der Frau aus dem Kindergarten abgeholt, war dann aber nicht mit ihnen nach Hause gekommen. Außerdem stellte die 29-Jährige zu ihrem Entsetzen fest, dass alle Pässe und eine größere Menge Geld verschwunden waren.

Die Bundespolizisten am Münchner Flughafen nahmen daraufhin den 51-Jährigen fest und seine beiden Kinder vorerst in Obhut. Die Mutter der Kinder setzte sich sofort in den Zug und traf kurz vor Mitternacht am Münchner Flughafen ein, wo sie die beiden Kinder wieder in ihre Arme schließen konnte.

Die Staatsanwaltschaft in Landshut prüft jetzt, ob sich der 51-Jährige rechtlich verantworten muss. Für Kindesentziehung sieht Paragraf 235 des Strafgesetzbuchs Geld- oder Freiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren vor. Das Delikt wird in der Regel nur auf Antrag verfolgt, "es sei denn, dass die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält". Immer wieder hat es in den vergangenen Jahren am Münchner Flughafen ähnliche Fälle gegeben, bei denen Bundespolizisten den "Albtraum" (Köglmeier) für den hintergangenen Elternteil gerade noch rechtzeitig beenden konnten.

Im April 2013 versuchte ein 37 Jahre alter Vater nach einem Familienstreit, seine beiden Kinder via Istanbul nach Bengasi im Bürgerkriegsland Libyen mitzunehmen. Angeblich wollte er aber wieder zurückkommen. Im Dezember vor zwei Jahren wollte eine 27 Jahre alte gebürtige Irakerin mit deutschem Pass zusammen mit ihrem Bruder und ihrem minderjährigen Sohn ohne Wissen ihres geschiedenen Mannes über Amman in den Irak fliegen.

Ein besonders perfider Fall ereignete sich vor genau zwei Jahren. Ein in Deutschland lebender gebürtiger Türke stattete seine 22 Jahre alte Frau mit Drogen aus, schickte sie zum angeblichen Familienurlaub in die Türkei voraus und gab dann der Bundespolizei am Flughafen einen anonymen Tipp. Während die Frau wegen der Drogen im Gepäck Schwierigkeiten bekam, setzte sich ihr Mann mit den Kindern in seine Heimat ab. Die Einverständniserklärung hatte er sich zuvor von seiner Frau geben lassen - um bei der Ausreise nicht in den Verdacht der Kindesentziehung zu geraten.

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SZ vom 24.01.2017/bhi
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