Flughafen München:Klappbetten im Sicherheitsbereich, lange Schlangen vor den Schaltern

Nach Polizeieinsatz am Flughafen in München

Passagiere mussten im Terminal 2 auf Klappbetten nächtigen.

(Foto: dpa)

Nach der Sicherheitspanne am Samstag sitzen noch immer Tausende Passagiere am Münchner Flughafen fest. Viele harren stoisch aus, andere sind wütend über die schlechte Informationspolitik.

Von Isabel Bernstein, Fabian Heckenberger und Andreas Schubert

Noch am Sonntagmorgen sind die Nachwirkungen des Chaostages am Samstag überall zu sehen. Schon auf der Zufahrt zum Terminal 2 stauen sich die Autos. Urlauber steigen aus und laufen die letzten 400 Meter zu Fuß die Straße entlang. Bevor sie die Drehtür des Terminals erreichen, wartet der nächste Stau: die Schlange derjenigen, die an den Service-Schaltern anstehen, zieht sich bis hinaus auf die Straße.

"Dieselbe Sch... hab ich schon vor zwei Wochen in München erlebt", sagt Torben Eggert. Der Osnabrücker wartet seit Sonntagmorgen auf seinen Flug nach Madrid. Jetzt steht er am Ticketschalter der Lufthansa im Terminal 2 und hofft, dass er noch irgendeinen Flieger erwischt. Inzwischen ist es Sonntagmittag, 13 Uhr. Und ob er noch drankommt - Torben Eggert weiß es nicht. Vor zwei Wochen war es für ihn noch vergleichsweise harmlos, da wurde er umgebucht und musste nur vier Stunden warten. Jetzt könnte es länger dauern. Und eigentlich, sagt Eggert, wäre er gar nicht so früh zum Airport gekommen, wenn die Auskunft der Lufthansa am Morgen nicht gesagt hätte, dass sein Flug sonntags um 8.25 Uhr regulär starten sollte. Was dann aber nicht passierte. Wie so oft an diesem Wochenende.

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Alles hatte seinen Anfang genommen mit einer kleinen Flasche im Handgepäck, die bei der Kontrolle moniert wird. Eine 40-jährige Frau nahm daraufhin ihre Tasche, ging wieder zurück und kam nach etwa 20 Minuten wieder - diesmal ohne Gepäck. Ohne erneut gescannt zu werden, passierte sie die Kontrollstelle und verschwand im Terminal. Das Chaos nahm seinen Lauf: Als der Fehler auffiel, wurden zwei Abfertigungshallen geräumt und das größere der zwei Terminals am Münchner Flughafen über Stunden gesperrt. Bis Sonntag wurden von den 800 geplanten Flügen weit mehr als 300 gestrichen das ist mehr als jeder dritte geplante am Terminal 2, mehr als 32 000 Passagiere sind betroffen.

Im Sicherheitsbereich nach der Gepäckkontrolle stehen am Sonntagmorgen noch Dutzende Metallgerüste mit Matratzen, denen man ansieht, dass sie am Samstag in aller Eile aufgestellt wurden: Bettbezüge mit Schlumpfmuster, Sonnenblumenkissen und natürlich FC-Bayern-Bettdecken. Die Hälfte der Feldbetten lehnt an der Wand, auf den übrigen liegen noch Menschen und lesen, schlafen, telefonieren. Gereizt ist die Stimmung nur vereinzelt, stoisch starren die meisten Menschen in ihre Smartphones. Etwa 700 Menschen hatten die Nacht auf einem Feldbett verbracht.

Neben den Fluggästen, die im Sicherheitsbereich warten, türmen sich Getränkekisten an der Wand. Im Minutentakt fahren Flughafenmitarbeiter neue Kisten mit Wasserflaschen heran und verteilen Kissen. Sobald alle Flaschen vergriffen sind, schnappt sich irgendjemand aus der Warteschlange vor dem Info-Schalter die Kiste, legt ein Kissen darauf und kann nun wenigstens sitzend statt stehend dem Lufthansa-Mitarbeiter entgegen rücken, der ihm vielleicht einen neuen Anschlussflug vermitteln kann. Die Chancen darauf? Na ja. Aus den Lautsprechern wiederholt eine Stimme in brüchigem Englisch, dass Umbuchungen bitte direkt auf der Homepage der Fluggesellschaften vorgenommen werden sollten.

"Wir sind wegen gestern noch immer ziemlich unterbesetzt", sagt das Bodenpersonal am Boarding-Gate. Neben ihr steht ein Mann mit gelber Warnweste und der Aufschrift "Medical Staff" und fragt herum, ob einer der Passagiere Italienisch spreche. Wegen eines medizinischen Notfalls brauche man dringend einen Dolmetscher. Ein Kollege von ihm klebt einem älteren Mann, der ausgerutscht ist, ein Plaster auf den Arm. Eine Frau in gelber Weste fährt einen Infusionsständer hinüber zu den Feldbetten.

Einige Passagiere warten bereits seit mehr als 24 Stunden auf ihren Flug, der sie eigentlich in den Urlaub bringen sollte. Vor allem, dass sie stundenlang nicht richtig informiert wurden, macht viele wütend. Ein Mann, der am Samstagnachmittag nach Dublin fliegen wollte, erzählt, wie er zwei Stunden vor Abflug im überfüllten Terminal 2 ankam und das Gepäck noch aufgeben konnte - obwohl da schon klar war, dass der Flieger nicht starten würde. Das hat er nach eigener Aussage erst am Schalter erfahren. Wie es weitergeht, diese Auskunft habe er erst um 19 Uhr bekommen. Der verhinderte Irland-Reisende hat den Flug nach Dublin umgebucht. Am Montag, so hofft er, sollte es vorbei sein mit Flugausfällen und Verspätungen.

Viele Passagier stehen auch am Sonntagnachmittag noch geduldig Schlange, Senem Kurt zum Beispiel. Die Münchnerin wollte ursprünglich mit Mann und Kind Samstagfrüh nach Ankara. Erst hieß es, sie könnten um 14 Uhr fliegen, am Gate erfuhr die Familie dann, dass der Flug ausfällt. Also fuhr die Familie zurück nach München, zum Anstehen am Sonntag ist Senem alleine gekommen. Und gibt sich zuversichtlich: "Wenn ich was bekomme, rufe ich zu Hause an, dann fährt mein Schwager meinen Mann und das Kind zum Flughafen."

"Mein Sohn hat sein Lufthansa-Logbuch in die Ecke gepfeffert"

Einer, der die Hoffnung aufgegeben hat, ist Carsten Matthäus, Mitarbeiter des Süddeutschen Verlags. Er schreibt über seine Odyssee am Flughafen:

Wir wollten mit einer kleinen Gruppe nach Lappland. Wir waren gut vorbereitet auf Mücken, hatten uns wegen der Waldbrände informiert und zwei von uns sind mit dem Auto hochgefahren. Morgens um halb sieben freuten wir uns, dass alle Reisenden rechtzeitig da waren. Unser Sohn hatte sogar sein Lufthansa-Logbuch gefunden, wo er seinen dritten und vierten Flug eintragen wollte. Als wir unser Gepäck auf das Band legten, hörten wir die Ansage, die wir zunächst für eine kurze Unterbrechung hielten: "Wegen einer polizeilichen Maßnahme findet derzeit keine Abfertigung statt."

Wir freuten uns, dass das Gepäckband nicht anhielt. Uns erwartete die erste Menschenschlange. Alles hoffnungsvolle Menschen, die sich gut zuredeten, dass es gleich weitergehen würde. Obwohl sich vorne nichts tat, rutschte man immer etwas vor, sobald die Vorderleute sich bewegten. So entstand das Gefühl, nicht ganz still zu stehen. Die Schlange verdichtete sich und wuchs und wuchs.

Dann begann der unschöne Teil und er sollte bis abends um 23 Uhr dauern. Die immergleiche Ansage wurde nur durchbrochen von dem anderen immergleichen Flughafen-Hinweis, man solle sein Gepäck nicht unbeaufsichtigt lassen. Es wurde schwüler, unser Sohn wurde unleidiger und wollte heim. Wir fingen an uns zu ärgern, als eine Flughafen-Bedienstete vorbeilief und meinte, wir sollten doch Fluchtwege freihalten. Gerüchte machten die Runde, es wurde von einer nackten Frau gesprochen, die durch die Sicherheitskontrolle gerannt sei. Ein Spürhund (einer!) wurde durch die Absperrung geleitet. Die komfortable Zeit bis zum Einsteigen ins Flugzeug war weg, irgendwann kam dann die Meldung aufs Smartphone, unser Flug sei annulliert.

Dann wurde es erst richtig nervig. Niemand anders als die paar Leute am Ticketschalter konnte helfen, wenn man einen neuen Flug buchen wollte. Unser Reiseleiter stellte sich rund sieben Stunden an, um herauszufinden, dass wir auf Wartelisten kommen würden. Ein Teil noch am Abend (mit schlechten Plätzen auf der Liste) ein anderer Teil am nächsten Morgen (mit guten Plätzen). Die am Abend warteten weiter, quälten sich durch die Sicherheitskontrolle und sahen zu, wie Feldbetten aufgestellt wurden. Auf einen Platz im Flieger hatten sie nicht den Hauch einer Chance. Um die wenigen freien Sitze entstand ein handfester Streit am Gate, in den auch eine Familie mit drei kleinen Kindern verwickelt war. Unsere Leute gingen heim. Am nächsten Morgen waren wir gerade aus der Tür, als auch der Morgenflieger annulliert wurde.

Wir kehrten um und suchten Alternativen. Montagfrüh von Frankfurt abzufliegen war eine Option. Wir bereiteten alles vor, waren wieder hoffnungsvoll. Bis sich auch diese Möglichkeit zerschlug. Wir hätten dann vielleicht am Mittwoch fliegen können. Dann wäre nicht einmal die Hälfte unserer Reise übrig geblieben. Wir haben es aufgegeben.

Uns ist nichts passiert. Es gibt viel wichtigere Gründe, sich zu ärgern. Was aber bleibt: Der Flughafen hat sehr viele Wege gefunden, an seinen Gästen Geld zu verdienen, lässt sie aber im Stich, wenn sie Hilfe brauchen. Lufthansa hat sehr viele Wege gefunden, Tickets zu verkaufen, lässt die Passagiere aber im Stich, wenn der Flugplan durcheinandergerät. Mein Sohn hat sein Lufthansa-Logbuch in die Ecke gepfeffert. Wann er sein Geschenk fürs Jahreszeugnis bekommt, weiß er nicht. Es ist im Koffer, der ist im Flughafen. Wann wir unser Gepäck wiederbekommen, sagt uns niemand. Die Hotlines sind überlastet.

Die Lufthansa-Mitarbeiter verteilen kostenlose Getränke

Die Menschen sind ratlos, aber erstaunlich ruhig. Das mag auch an den Lufthansa-Mitarbeitern liegen, die beruhigend auf die Leute in der Schlange einreden und kostenlos Getränke verteilen. Draußen stehen Feuerwehr und Sanitäter bereit, um bei eventuellen Problemen schnell beim Patienten zu sein. Und die Hilfe wird durchaus gebraucht. Immer wieder bekommen Menschen Kreislaufprobleme, weil sie zu wenig getrunken haben. Immerhin ist die Luft an diesem Sonntagnachmittag nicht mehr ganz so stickig wie tags zuvor, als sich noch Tausende in der Abfertigungshalle drängten. Von draußen bläst die Feuerwehr noch immer mit einem riesigen Ventilator Frischluft in den Terminal, alle Türen, auch die Notausgänge sind geöffnet.

Und die Lage scheint sich zu entspannen: Gegen 15 Uhr stehen nur noch wenige vor dem Lufthansa-Ticketschalter. Auf Feldbetten lagert noch immer eine siebenköpfige Reisegruppe aus Bremen, junge Männer, die sich in Barcelona ein paar schöne Tage machen wollen. Auch ihre Bilanz: Acht Stunden Schlange stehen, dann fast einen ganzen Tag auf den Ersatzflug warten. Sie haben Samstagabend noch spontan ein Hotel im Münchner Norden gefunden; ob sie die 150 Euro fürs Doppelzimmer erstattet bekommen, wissen sie noch nicht. Dass sie nun zwei Urlaubstage verloren haben, ärgert sie mehr.

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