Flughafen-Ausbau:Abflug in neue Sphären

Die britische Regierung beschließt trotz Protesten den Bau einer neuen Startbahn in Heathrow. Die Londoner Debatte ähnelt der Münchner: Die beiden Airports sind in Westeuropa die einzigen, die noch expandieren könnten - während die Konkurrenz in Asien gewaltig aufrüstet

Von Jens Flottau

Akbar Al Baker ist ein mächtiger Mann und ungeduldig dazu. "Die verdammte Startbahn wird ja frühestens in zehn Jahren fertig," hat der Chef von Qatar Airways jüngst öffentlich geflucht. Er hat dabei aber nicht den Münchner Flughafen gemeint, sondern London Heathrow, wo er im Aufsichtsrat sitzt. Gerade hatte die britische Regierung eine grundsätzlich, aber doch vorläufige Entscheidung getroffen, eine dritte Startbahn nach jahrzehntelangen Debatten, Vorbereitungen und Bürgerprotesten zu bauen. Die Bauzeit aber könnte Al Baker mit zehn Jahren sogar noch unterschätzt haben, gut möglich, dass es länger dauert.

München ist also nicht der einzige Ort in Europa, der eine langwierige Debatte über die Expansion seines Flughafens führt. In London gibt es seit Jahrzehnten eine fast identische Debatte wie rund um das Erdinger Moos. Auch dort will die Regierung die Expansion trotz des erbitterten Widerstands von Anwohnern, anders als in Bayern hat sie diese aber vor Kurzem ohne Rücksicht auf einen Bürgerentscheid beschlossen.

Die Diskussionen in London und München sind sich auch deshalb so ähnlich, weil deren Flughäfen eine der wenigen in Europa sind, bei denen die Betreiber überhaupt noch die Chance auf einen Ausbau und mehr Kapazitäten sehen. Flughäfen werden weltweit viele gebaut, aber fast alle Großprojekte finden sich in Asien und vor allem in China, wo die Airlines wegen der wirtschaftlichen Entwicklung viel stärker wachsen als in Europa. Dort streiten Politik, Ausbaugegner und Wirtschaft nicht um die Zahl der Flugbewegungen, dort gibt es keine Bürgerentscheide. Während sich Ministerpräsident Horst Seehofer und Oberbürgermeister Dieter Reiter Ende November das nächste Mal treffen wollen, um sich über einen Ausbau zu unterhalten und vielleicht sogar über einen neuen Bürgerentscheid im Jahr 2018 zu einigen, peitschen Regierungen in Asien ihre Großprojekte einfach durch.

Wenn der Münchner Flughafenchef Michael Kerkloh also immer wieder von einem "Megatrend" hin zu mehr Flugverkehr und von einem "signifikanten Bedeutungsverlust" ohne eine dritte Startbahn spricht, dann hat er vor allem die aktuellen Bauprojekte in Istanbul, Doha, Abu Dhabi und Dubai im Blick. Sie liegen geografisch am nächsten zu Europa und sind für die hiesigen Flughäfen daher am gefährlichsten. Denn sie drohen Umsteigepassagiere abzuziehen, für die es keine Rolle spielt, wo sie auf ihrer Reise zwischenlanden: in München oder eben in Istanbul.

Dort platzt der Hauptflughafen Atatürk aus allen Nähten, große Verspätungen sind daher die Regel, auch der zweite Flugplatz (Sabiha Gökcen) ist nahezu voll. Schon 2018 soll der neue Großflughafen eröffnet werden, der nördlich der Stadt an der Küste des Schwarzen Meeres gebaut wird. Gerade wurde der Grundstein für den Tower gelegt, der Stufenplan sieht vor, dass hier einmal sechs Start- und Landebahnen genutzt werden können, also vier mehr als in München. Mit rund 200 Millionen Passagieren wäre Istanbul dann der größte Flughafen der Welt. Allerdings ist die Türkei nach dem Putschversuch und den staatlichen Repressalien wirtschaftlich schwer angeschlagen. Der Ausbau soll kommen, wie realistisch er ist, ist aber unklar. Es könnte also sein, dass andere die Europäer und damit auch München mehr ärgern.

Doha, die Heimatbasis von Al Bakers Qatar Airways, hat gerade einen neuen Flughafen bekommen, dieser wird nun ausgebaut. Eine knappe Flugstunde weiter entsteht in Abu Dhabi, Drehkreuz von Air Berlin-Anteilseigner Etihad Airways, ein riesiges neues Terminal. In Dubai wird der aktuelle Flughafen Dubai International immer weiter ausgebaut, während rund 50 Kilometer weiter westlich "World Central" entsteht, ein Airport ähnlicher Dimensionen wie der von Istanbul. Seit einigen Jahren landen dort schon Frachter und Billigfluglinien, wenn er einmal groß genug ist, soll auch die Dubaier Fluggesellschaft Emirates umziehen.

In ferneren Regionen wie China ist die Zahl der Aus- und Neubauprojekte kaum mehr zu überblicken. Die Zentralregierung und auch die Provinzen sind sich einig darin, dass Luftfahrt gut ist für die wirtschaftliche Entwicklung, also stampfen sie in Rekordzeit neue Airports aus dem Boden. Der größte davon entsteht derzeit südlich von Peking, denn Beijing Capital ist schon wieder überlastet, obwohl auch dort erst vor wenigen Jahren riesige neue Terminals entstanden sind. Die Fluggesellschaften diskutieren schon mit den Behörden, wer welchen Flughafen benutzen darf.

Eine auch für die Münchner Debatte spannende Entwicklung betrifft den Flughafen von Singapur. Jahrzehntelang war Singapur der beste Umsteigeknoten zwischen Europa, Asien und Australien. Doch so gut der Flughafen Singapur ist, Dubai, Abu Dhabi und Doha wachsen auch auf seine Kosten. Der Stadtstaat hat daraus Konsequenzen gezogen, die Flughafenchef Kerkloh in München auch gerne sehen würde: Die Investitionen in den Flughafen werden massiv ausgeweitet. Ein viertes Terminal soll 2017 eröffnet werden, eine weitere Start- und Landebahn kommt ein paar Jahre später hinzu. Und Terminal 5 soll in gut zehn Jahren fertig sein - Singapur wäre dann ungefähr doppelt so groß wie heute.

In Südamerika dagegen sind die Bauvorhaben oft ähnlich langwierig wie in Europa. In Lima (Peru), einem der am schnellsten wachsenden Märkte, versucht der deutsche Flughafenbetreiber Fraport, den zum Konzern gehörenden Lima Airport schnell zu erweitern. Doch Engpässe gibt es in vielen Städten, vor allem den Wirtschaftszentren wie São Paulo oder Bogotá, wo die Anlagen längst nicht mehr mit der ökonomischen Entwicklung Schritt halten können und immer wieder notdürftig erweitert werden. Immerhin hat Mexico City ein extravagantes Konzept für einen neuen Flughafen präsentiert.

Das einzige Neubauprojekt in Deutschland, der Berliner Flughafen, ist wegen der fünfjährigen Verspätung längst Objekt des Spotts. Doch wenn er irgendwann doch eröffnet wird, stellt sich ein ganz neues Problem: Weil im Gegenzug aller Voraussicht nach der Vorgänger Tegel dichtgemacht wird und der Luftverkehr in die Hauptstadt in den vergangenen Jahren stark gewachsen ist, dürfte der neue Flughafen Berlin schon zum Start viel zu klein sein.

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