Flüchtlingsunterkünfte:Abgeschottet in der Traglufthalle

Flüchtlingsunterkünfte: Wie ein Luftkissen wirkt die Traglufthalle in Karlsfeld von außen.

Wie ein Luftkissen wirkt die Traglufthalle in Karlsfeld von außen.

(Foto: Toni Heigl)

Fenster gibt es keine, nur künstliches Licht: Mehr als 250 Männer leben in Karlsfeld wie in einer Blase. Enge und fehlende Privatsphäre machen die Einrichtung zu einer Brutstätte für Aggressionen.

Von Gregor Schiegl

Still ist es am Rande des Karlsfelder Gewerbegebiets, sehr still. Hier gibt es nicht viel, ein paar Firmengebäude nur, Lagerräume und Büros, die Straßen sind fast leer, hinter dem angrenzenden Acker liegt schon die Stadt München. Doch seit einigen Wochen geht es hier laut zu, sehr laut. Immer wieder rücken Einsatzwägen der Polizei an, Sanitäter, manchmal die Feuerwehr, ganze Kolonnen rasender Fahrzeuge mit Blaulicht und Martinshorn. Dann wissen die Karlsfelder: Es gibt wieder Ärger in der Traglufthalle. Den gibt es ständig, seitdem der Landkreis Dachau im November die Notunterkunft für bis zu 300 Flüchtlinge in Betrieb genommen hat.

Erst sind es kleinere Vorfälle, ein gestohlenes T-Shirt, Ärger wegen Handyfotos, die jemand gegen den Willen eines Mitbewohners geschossen hat. Es gibt Streit mit Mitarbeitern der Sicherheitsfirma, die im Auftrag des Landratsamts für Ruhe und Ordnung sorgen sollen. Von innen versucht jemand, mit einem Feuerzeug die Folienhülle anzuzünden; sie brennt nicht, zum Glück. Ein betrunkener Flüchtling randaliert, ein andermal eskaliert ein Streit über einen Tischkicker.

Am Dienstag dann wieder ein Großeinsatz: Zwei Flüchtlinge geraten in Streit, andere mischen sich ein, vier Menschen werden verletzt, es gibt drei Festnahmen. Als die Halle evakuiert wird, kommt die Decke runter. Das Gebäude sieht nicht nur aus wie ein riesiges Luftkissen, es funktioniert auch wie eines. Die Flüchtlinge müssen eine Schleuse passieren, wenn sie rauswollen. Erst wenn eine Tür zu ist, darf man die dahinterliegende aufmachen, sonst fällt der Druck ab.

Sechs Männer teilen sich einen Raum - drei Stockbetten, keine Tür

Die Menschen leben in einer riesigen Blase, man kann nicht reinschauen, man kann nicht rausschauen. Fenster gibt es keine, nur künstliches Licht. Und so abgeschottet sie nach außen leben, so wenig Rückzugsraum haben sie drinnen. "Es ist schwierig für uns, es hier auszuhalten", sagt ein Pakistaner, "ohne Privatsphäre." Sechs Männer teilen sich einen Raum, drei Stockbetten auf knapp zwölf Quadratmetern, dazu einen Spind. Türen zu den winzigen Pressspan-Parzellen gibt es nicht, eine Decke auch nicht. Der Brandschutz erlaubt es nicht.

Asylbewerber

Vor dem Fernsehgerät geht es nicht immer so friedlich zu, weil es wegen des Programms schon mal Streit geben kann.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

"Wenn einer nur atmet, hört man das", erzählt ein Nigerianer. Und hier atmen und schnarchen mehr als 250 Männer auf engstem Raum. Die Gerüche ziehen ungehindert in die Kabinen. Essensdämpfe vermengen sich mit den Gerüchen der Toilettencontainer und den Ausdünstungen der anderen. Dazu kommt der Lärm. Viele versuchen nachts gar nicht erst zu schlafen. Sie reden, sie telefonieren, sie gehen sich auf die Nerven. "Wir zoffen uns um Kleinigkeiten, ums Fernsehprogramm, um Zigaretten", erzählt ein Kurde. Ihm tut das furchtbar leid, dieser ganze Ärger, weil die Deutschen sich wirklich sehr um sie bemühten. So reden viele hier. Streit gibt es trotzdem, immer und immer wieder.

Die Traglufthalle ist eine Brutstätte für Aggressionen. "Es ist schwer, hier keine schlechten Gedanken zu haben", sagt ein Flüchtling aus Uganda. "Die ganze Zeit denke ich an die Vergangenheit. Ich denke an die Zukunft. Ich denke an meine jetzige Situation. Die Gedanken gehen immer im Kreis."

"Wir warten darauf, dass unser Leben beginnt, aber wir stecken in der Halle fest."

Viele haben schreckliche Dinge auf ihrer Flucht erlebt, Gewalt, Massenlager und Polizeiwillkür, sie haben gesehen, wie andere im Mittelmeer ertranken. Sie haben es geschafft bis nach Karlsfeld. Viele wollen endlich auch in Deutschland ankommen. "Wir warten darauf, dass unser Leben beginnt, aber wir stecken in der Halle fest", sagt ein Pakistaner.

Traglufthalle

In der Traglufthalle geht es eng her, die Schlafkabinen für sechs Menschen stehen dicht an dicht.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Die Karlsfelder tragen die geringste Schuld an der Misere der Menschen in der Traglufthalle. Es gibt einen engagierten Helferkreis in der 20 000-Einwohner-Gemeinde. Viele kennen das Thema Flucht und Vertreibung aus der eigenen Familiengeschichte. Mehr als 150 Aktive bemühen sich, den Flüchtlingen das Leben in der Traglufthalle einigermaßen erträglich zu machen. Aber die Sicherheitsauflagen sind streng. Mehr als zwanzig Helfer auf einmal dürfen nicht rein, und dann nur mit Ausweis des Landratsamts.

Die Caritas hat einen Bürocontainer in der Halle, es gibt einen sogenannten Kümmerer, der sich aber vor allem darum kümmert, dass die Halle funktioniert, die Belüftung, die Heizung, der Innendruck der Wände. Nur der Sicherheitsdienst, der ist immer da, drinnen und draußen. Manchmal kommen sie gut miteinander klar, die Flüchtlinge und die Security, manchmal fliegen die Fetzen.

Der Dachauer Landrat glaubt, dass einige Bewohner Randale als Druckmittel einsetzen

Nun hat Dachaus Landrat Stefan Löwl (CSU) einen pensionierten Polizisten als "Asyl-Sicherheitsbeauftragten des Landkreises" installiert. Ein Novum in Bayern. Und sichtbares Zeichen, dass Zivilgesellschaft, Wohlfahrtsverbände und der obligatorische Sicherheitsdienst die Probleme alleine anscheinend nicht mehr bewältigen können.

Dachaus Landrat glaubt, dass einige Bewohner in der Karlsfelder Traglufthalle bewusst Randale als Druckmittel einsetzen, um in eine bessere Unterkunft verlegt zu werden. Aber die Containerdörfer sind voll. Nicht nur Dachau, auch viele andere bayerische Landkreise lassen eben deswegen Traglufthallenaufbauen, weil sie nicht mehr wissen, wie sie die Flüchtlinge sonst noch warm und trocken über den Winter bringen sollen. "Deutschland ist ein guter Ort", sagt der Mann, der aus Uganda geflohen ist. "Aber wenn ich hier bin, habe ich nicht das Gefühl, in Deutschland zu sein."

Von den Helfern aus Karlsfeld hört man, dass es angesichts der Lebensverhältnisse in der Halle ein Wunder sei, dass nicht noch mehr passiere. Andere schlachten jeden Vorfall als vermeintlichen Beleg dafür aus, dass die Flüchtlinge nur Unfrieden ins Land brächten. Und wer sich über Enge, Schlaflosigkeit und schlechtes Essen beschwere, könne der einen echten Fluchtgrund haben? Die Konflikte in der Halle, längst finden sie auch Niederschlag in der Haltung der Bürger. Das macht die Eingliederung der Flüchtlinge für Kommunalpolitiker wie Stefan Löwl nicht einfacher. "Für uns als Landkreis ist das eine große Herausforderung", sagt er. "Größer als die Wiedervereinigung."

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