Flüchtlingspolitik in München:Neues Ankerzentrum zieht Kritik auf sich

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Platz für bis zu 340 Menschen: Die Regierung von Oberbayern hat nahe dem S-Bahnhof Johanneskirchen eine neue Anker-Dependance eröffnet. (Foto: Robert Haas)

Die Regierung von Oberbayern schafft am S-Bahnhof Johanneskirchen Platz für 340 Asylbewerber. Politiker und Sozialberater vermissen Rückzugsräume und sehen durch derartige Massenunterkünfte die Integration erschwert.

Von Thomas Anlauf

Die Regierung von Oberbayern hat am Freitag erneut eine in der Politik umstrittene Anker-Dependance in München eröffnet. In der neuen Asylbewerber-Unterkunft an der Musenbergstraße nahe dem S-Bahnhof Johanneskirchen werden künftig bis zu 340 Menschen untergebracht, die auf ihre Asylbescheide warten. Vor allem Familien sollen in dem ehemaligen Hotel bis zu sechs Monate bleiben, alleinstehende Geflüchtete müssen laut Regierung bis zu eineinhalb Jahre in der Massenunterkunft ausharren, bevor sie in dezentrale Einrichtungen umziehen können oder in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden.

Noch bevor die ersten Geflüchteten am kommenden Montag einziehen werden, gibt es deutliche Kritik an der Eröffnung. "Meines Erachtens wird die Unterbringungsform den Bedürfnissen der geflüchteten Menschen nicht gerecht", teilte Bürgermeisterin Verena Dietl (SPD) am Freitag der SZ mit. "Die Konzentration vieler Menschen in großen Einrichtungen über einen längeren Zeitraum gefährdet nicht nur die Gesundheit der sehr oft traumatisierten Geflüchteten, sondern behindert auch die Integrationsbemühungen, indem der Zugang zu Schule, Arbeit und dem Sozialraum erschwert ist."

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Politiker beanstanden ein Zweiklassensystem

Auch die Grünen im Münchner Stadtrat kritisieren die Praxis der staatlichen Anker-Einrichtungen ("Anker" steht für Ankunft, Entscheidung, Rückführung). Die Eröffnung der mittlerweile vierten Anker-Dependance in der Stadt zeige, "dass die Staatsregierung bei der Aufnahme und Unterbringung von Geflüchteten offenkundig ein Zweiklassensystem anstrebe. Aber Gewalt, Krieg und unerträgliche Lebensbedingungen herrschen nicht nur in der Ukraine", sagt Grünen-Stadträtin Nimet Gökmenoglu. Alle Menschen, die nach Deutschland geflüchtet seien, hätten das Recht auf eine menschenwürdige Unterbringung. "Die Massenquartiere im Freistaat Bayern können dies nicht zuverlässig gewährleisten und ähneln oft eher Gefängnissen. Wir fordern daher für alle Geflüchteten die Möglichkeit dezentraler Unterbringung."

Die Regierung von Oberbayern sieht die Situation freilich anders. Der neue Regierungspräsident Konrad Schober betont, der neue Standort an der Musenbergstraße biete Schutz suchenden Eltern und Kindern "gute Voraussetzungen für ihre Ankunft und eine gelingende Integration wie beispielsweise eine eigene Kinderbetreuung in der Unterkunft und gut erreichbare schulische Einrichtungen". In dem ehemaligen Hotel, das die Regierung für eine Laufzeit von 15 Jahren für jährlich 2,5 Millionen Euro netto angemietet hat, gibt es insgesamt zehn Zweibett-, 104 Dreibett- und 16 Sechsbettzimmer für größere Familien. Im Erdgeschoss gibt es drei barrierefreie Räume mit Duschen, die auch Behinderte nutzen können.

Vorübergehendes Zuhause: An der Musenbergstraße sollen vor allem Familien unterkommen. (Foto: Robert Haas)

Dort gibt es auch spezielle Räume für Geflüchtete, die lesbisch, schwul, inter, trans oder queer sind. Ebenfalls im Erdgeschoss liegt die Essensausgabe mit Speisesaal für alle Bewohner, dort gibt es dreimal am Tag Mahlzeiten. Im ersten Stock werden vor allem allein reisende Frauen mit Kindern untergebracht, im dritten Stockwerk befindet sich ein Raum, in dem die Geflüchteten ihre Wäsche zum Reinigen abgeben können. Im ganzen Haus gibt es Wlan, auf jedem Stockwerk Gemeinschaftsräume zum Treffen oder Spielen. Vor dem Haus ist ein kleiner Spielplatz gebaut worden.

Die Asylsozialberatung sowie die Unterstützung für die geflüchteten Kinder und Jugendlichen übernimmt wie in sämtlichen staatlichen Aufnahmeeinrichtungen Münchens die Diakonie München und Oberbayern. Für die Unterkunft an der Musenbergstraße plant die Diakonie ein Mini-Familiy-House, in dem geflüchtete Kinder altersgerecht intensiv betreut werden. Doch auch die Diakonie-Vorständin Andrea Betz sieht das Konzept der Anker-Einrichtungen problematisch: "In den Einrichtungen muss es möglichst wohnungsähnliche Bedingungen geben, in denen die Privatsphäre der Menschen gewahrt ist und sie ihren Alltag selbstbestimmt organisieren können. Besonders Kinder und Jugendliche brauchen Rückzugs- und Lernorte", so Andrea Betz. Die sozialpolitische Sprecherin der CSU-Fraktion Andrea Gaßmann hingegen betont, sie sei für jede Unterstützung Münchens in der derzeitigen Flüchtlingssituation dankbar: "Das ist eine Herkulesaufgabe, die wir nur Schulter an Schulter mit der Regierung leisten können."

Ukrainer, die am Hauptbahnhof ankommen, werden direkt zur Messe gefahren

Unterdessen ist am Freitag in der Messe München ein zentrales Ankunftszentrum für Geflüchtete aus der Ukraine eröffnet worden. Die Menschen, die am Hauptbahnhof ankommen, werden direkt zur Messe gefahren. Dort werden sie auf Corona getestet und bei akuten Gesundheitsproblemen auch notärztlich betreut. Hier erfolgt auch die Registrierung der Menschen. Wer Asyl beantragen will oder muss, wird schließlich zur Regierung von Oberbayern vermittelt. In der vergangenen Woche sind 4700 Menschen aus der Ukraine am Münchner Hauptbahnhof angekommen. Insgesamt 7200 Geflüchtete wurden in private Unterkünfte vermittelt, 650 Menschen befinden sich in Quarantäne, von den städtischen Interimsunterkünften sind derzeit 2200 Betten belegt, ebenso viele sind noch frei.

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