Syrer in München:"Wenn meine Kinder Flugzeuge hören, fangen sie an zu zittern"

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Adnan Ghnema hat es bis nach München geschafft. Seine Frau ist umgekommen. (Foto: Claus Schunk)

Adnan Ghnema lebt bei München und muss über Facebook verfolgen, wie seine Frau in Syrien ums Leben kommt und seine Kinder verletzt werden.

Ein Report von Inga Rahmsdorf

Die Bilder gehen Adnan Ghnema nicht mehr aus dem Kopf. Sie quälen ihn, Tag und Nacht. Wie sein dreijähriger Sohn und seine fünfjährige Tochter aus den Trümmern geborgen werden. Ahmad schreit, Mariam ist blutüberströmt. Dann tragen einige Männer Ghnemas Frau Jasmin heraus, sie ist im fünften Monat schwanger, ihr Gesicht mit einem Tuch verdeckt. Die Fassbombe hat sie getötet. Ebenso wie Ghnemas siebenjährige Nichte. Jemand in dem syrischen Dorf hat den Angriff mit einem Handy aufgenommen und den Film auf Facebook gestellt.

Sein Bruder Mohamed Ghnema hält den Film an und legt das Tablet auf den Wohnzimmertisch. Adnan sitzt wie versteinert daneben, die Arme vor der Brust verschränkt. Vor zwei Monaten ist der 31-Jährige bei seinem älteren Bruder angekommen, der seit Jahren in Taufkirchen bei München lebt und arbeitet. Vier Wochen später kam dann die Nachricht von dem Angriff und dem Tod seiner Frau. Seine Kinder sind immer noch in Syrien. Er will sie zu sich holen. Doch das dauert. Wie lange, weiß er nicht. Die bürokratischen Hürden sind hoch.

Der Asylantrag von Adnan Ghnema ist diese Woche genehmigt worden. Doch um seine Kinder nachholen zu können, braucht er nun Visa für sie. Die muss er in der deutschen Botschaft eines Nachbarlandes von Syrien beantragten. Dafür benötigen die Ghnemas zunächst einen Termin. Nach vielen Telefonaten haben sie eine Nummer erhalten, nun müssen sie warten.

Adnan Ghnema bangt um seine Kinder, die noch in Syrien sind. (Foto: privat)

Wann sie in der Botschaft in Ankara an die Reihe kommen, wissen sie nicht. In ein bis eineinhalb Jahren, das sei derzeit die Regel in der deutschen Botschaft, sagt Ben Rau vom bayerischen Flüchtlingsrat. Wegen der hohen Zahl von Anträgen gebe es lange Wartezeiten, heißt es auch auf der Internetseite des Auswärtigen Amtes. Problematisch beim Familiennachzug sind oft auch die Papiere, die man vorweisen muss. Adnan Ghnemas Sohn hat keine Geburtsurkunde, er ist im Flüchtlingslager geboren.

Die Ghnemas haben Briefe geschrieben, an Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD), an den bayerischen Innenminister Joachim Herrmann (CSU), an das Landratsamt München. Sie haben einen Anwalt beauftragt, sich an Pro Asyl und den bayerischen Flüchtlingsrat gewandt. Agnes Andrae vom Flüchtlingsrat begleitet die Ghnemas und sagt, sie habe vor einem Monat in einem Brief den bayerischen Innenminister gebeten, sich beim Auswärtigen Amt für eine schnelle und unkomplizierte Visa-Erteilung für die Kinder einzusetzen.

Beim Innenministerium ist der Fall bekannt. "Der Minister hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) gebeten, den Fall vorrangig zu behandeln", sagt Sprecher Stefan Frey. Und tatsächlich hat das Bamf ungewöhnlich schnell reagiert und innerhalb weniger Wochen den Asylantrag von Adnan Ghnema bewilligt. Beim Familiennachzug sei nun aber die Ausländerbehörde nicht mehr zuständig, sondern das Auswärtige Amt, sagt Frey.

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"Warum kann ich nicht einfach meine Kinder nachholen?", fragt der Vater. Immer wieder hat er sich den Film von dem Bombenangriff angeschaut und hat geweint. Vor Schmerz um seine Frau, vor Angst und Sorge um die Kinder und weil er sich Vorwürfe macht, die Familie zurückgelassen zu haben. Ein Vater, der weiß, dass seine Kinder mitten im Krieg sind, und der nichts machen kann für sie, als in Ungewissheit auszuharren. "Mein Bruder dreht langsam durch", sagt Mohamed.

Im Jahr 2012 verließ Adnan Ghnema mit seiner Familie Aleppo, wo Bomben ihr Haus zerstört hatten. Vor dem Krieg hatten sie dort ein Stickereiunternehmen, es ging ihnen gut, die Kinder sollten einmal eine gute Ausbildung erhalten, wie die Ghnemas erzählen. Mehr als drei Jahre lang waren sie auf der Flucht, sie lebten in einem Dorf an der Grenze zur Türkei. Doch als es dort gefährlicher wurde und immer öfter Bomben fielen, beschloss Adnan, sich nach Europa aufzumachen, gemeinsam mit einem anderen Bruder und einem Neffen. Der illegale Weg war die einzige Möglichkeit, einen Monat waren sie unterwegs.

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Adnan hatte zuvor gehört von gefährlichen Überfahrten auf Schlauchbooten, von Kindern, die ertrinken, von Frauen, die vergewaltigt werden. Er wollte seine Familie nachholen, auf sicherem Wege. Für seine Frau aber ist es zu spät, nun bangt er um seine Kinder. Täglich hört er, dass Bomben in der Region abgeworfen werden. "Wenn meine Kinder Flugzeuge hören, fangen sie an zu zittern", erzählt er. Die beiden wohnen seit dem Tod ihrer Mutter bei den Großeltern und der Tante. Deren siebenjährige Tochter wurde auch bei dem Angriff getötet, sie selbst schwer verletzt. Ihre Beine wurden unter einer Wand eingeklemmt.

Adnan zeigt Bilder auf dem Handy: Die Beine sind notdürftig verbunden. Es gebe dort keine Ärzte, keinen Strom, kein Wasser, kein Telefonnetz, erzählt er. Einer im Dorf habe ein Gerät, mit dem er manchmal über Satellit ins Internet komme. Zweimal konnte Adnan so mit seinen Kindern sprechen, wie er erzählt. Sie haben geweint, sie wollen zu ihrem Vater.

Adnan und Mohamed wollen auch ihre Eltern und die Schwester in Sicherheit bringen. Doch das ist noch schwieriger. Wer es bis nach Deutschland geschafft hat, darf nur seine minderjährigen Kinder oder Ehepartner holen. Es sei denn, er fällt unter die Härtefallregelung oder das Innenministerium erlaubt eine Aufnahme. Deswegen haben sie einen Münchner Rechtsanwalt eingeschaltet. Er versucht, einen Härtefallantrag zu stellen. Doch die Erfolgsaussichten dafür seien leider sehr gering, sagt Anwalt Felix Briesenick. Dabei sei es die einzige legale Möglichkeit.

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"Wenn wir in einem anderen Bundesland leben würden, dann würde meine Schwägerin noch leben", sagt Mohamed Ghnema. Es ist ein Gedanke, der ihn zusätzlich quält. Er wollte die Familie schon vor eineinhalb Jahren holen, auf legalem und sicheren Wege. Deswegen hatte er einen Antrag gestellt, am 19. Februar 2014, für ein Aufnahme-Programm der Bundesregierung. Doch weil so viele Anträge eingingen, wurden nur noch die bearbeitet, die bis Mitte Februar vorlagen. Die Ghnemas waren ein paar Tage zu spät dran. Alle Bundesländer haben daraufhin eigene Programme bewilligt, um Syrer aufzunehmen - mit Ausnahme von Bayern.

Innenminister Herrmann antwortete Mohamed Ghnema im Februar 2015. In dem Brief schreibt er, wie viel Geld Deutschland bereits für Projekte in Syrien bereitgestellt habe. Zudem habe Bayern bald mehr als 3000 Flüchtlingen aus Syrien über das Bundesprogramm Schutz gewährt. Für die Ghnemas ist das kein Trost.

© SZ vom 09.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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