Balkanroute:Auf der Straße des Elends

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An jeder Ecke brennen kleine Feuer, entzündet aus Müll. (Foto: Elisa Britzelmeier)

Weinende Kinder auf Gepäckhaufen, Lagerfeuer aus Müll: Was Münchner Helfer in Serbien erleben, zwingt sie zu extremen Entscheidungen.

Von Elisa Britzelmeier, Preševo

Nachts ist es am schlimmsten, wenn die Sonne weg ist und es kalt wird in Preševo. An jeder Ecke brennen dann kleine Feuer, entzündet aus Müll. Menschen liegen auf dem Boden, in Schlafsäcken, in Decken, unter freiem Himmel. Hungrige Männer kauern auf der Straße, entkräftete Frauen lehnen an der Absperrung, weinende Kinder sitzen auf Gepäckhaufen.

Ganz hinten liegen ein paar wenige Flüchtlinge in kleinen Zelten. Ein großes Zelt, wie es etwa an der deutsch-österreichischen Grenze steht, gibt es hier nicht . Eine Abkürzung auch nicht. Wer weiter will, muss in der Schlange warten, um registriert zu werden. Egal, wie spät es ist. Egal, wie kalt es ist. In dieser Nacht sollen es noch drei Grad minus werden.

Das kräftezehrende und nervenaufreibende Warten sieht und spürt man hier rund um die Uhr, im Süden Serbiens. In Preševo müssen sich die Flüchtlinge registrieren lassen, die aus Mazedonien ankommen. Sie laufen fast zehn Kilometer von der Grenze bis hierher. Nur mit den nötigen Papieren können sie weiter. 72 Stunden haben sie dann, um es nach Kroatien zu schaffen. Mit dem Bus dauert es etwa acht Stunden.

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7000 Menschen warten hier täglich

Davor aber: die Schlange. Sie ist so lang, dass man deren Ende nicht sieht, wenn man am Anfang steht. Bis zu acht Stunden stehen die Flüchtlinge hier, die meisten nachts. Am Ende der Schlange, beim Registrierungscamp, fährt ein Bus nach dem anderen ab, für 35 Euro in Richtung Norden. 7000 Menschen warten täglich auf der Straße, die sie hier die Straße des Elends nennen. Oder, wenn sie zornig sind: die Straße des europäischen Versagens.

Bevor die Flüchtlinge kamen, war das mal eine Durchgangsstraße. Jetzt warten die Taxis hier, die Fahrer versprechen den Menschen hinter den Absperrgittern, sie für viel Geld nach Kroatien zu bringen, ohne Registrierung. Einige sollen schon darauf reingefallen sein. Sie kamen an der kroatischen Grenze nicht weiter und standen einen Tag später wieder in Preševo. Neben den Fliehenden stehen die Polizisten. Und die freiwilligen Helfer in ihren neongelben Westen.

"Ich krieg' meine Erinnerung schon gar nicht mehr sortiert"

Jonathan Schaufler hat auf seine Weste einfach "Joni" geschrieben, "Johnny" rufen die anderen Freiwilligen und die Flüchtlinge in der Schlange, wenn sie eine Frage an ihn haben. Der 21-Jährige ist den zweiten Tag in Preševo. Es kommt ihm länger vor, überhaupt ist Zeit eine relative Kategorie geworden. "Ich krieg' meine Erinnerung schon gar nicht mehr sortiert", sagt er. Mit einer Gruppe aus München ist der Student nach Serbien gefahren, um zu helfen. Die erste Nacht hat er durchgearbeitet, ein bisschen Schlaf am Morgen, dann wieder raus.

Die erste Nacht hat Jonathan Schaufler durchgearbeitet, ein bisschen Schlaf am Morgen, dann wieder raus. (Foto: Elisa Britzelmeier)

Freiwillige wie er sind die einzigen, die die Flüchtlinge in der Schlange versorgen. Am Ende, im Registrierungscamp, halten große Organisationen wie UNHCR und das Rote Kreuz Tee, Suppe und Decken in provisorischen Zelten bereit, sagt UNHCR-Koordinatorin Seda Kuzuc. Sie steht vor der Absperrung zum Camp, während sie das erklärt. Hinein darf man nur mit spezieller Genehmigung der Regierung. Ohne die Freiwilligen stünden hier nur die Polizisten. Sie gehen unterschiedlich mit der Lage um: Die einen haben Mitleid mit den Flüchtlingen und holen auch mal eine Familie ins Polizeiauto zum Aufwärmen. Die anderen sitzen lieber selbst drin.

In der Nacht hat Schaufler gesehen, wie Mütter ihre Babys im Freien gewickelt haben. Ein Aufnahmeraum für Kleinkinder ist gerade im Aufbau, der Münchner muss den Familien dann sagen, dass die Väter draußen bleiben müssen. Dafür erntet er resignierte Blicke. In dieser Nacht ist Schaufler dreimal hin- und hergelaufen, um geeignete Kleidung zu finden für ein frierendes Kind. Am Ende gab es eine Jacke, die einigermaßen passte. Und er hat gehört, wie ein aufgebrachter Syrer sagte: Wenn er gewusst hätte, was hier mit ihnen passieren würde - er hätte Syrien nie verlassen.

Es gibt kein warmes Essen vor der Registrierung, das dürfen die Freiwilligen nicht verteilen, nur Tee, den sie selbst kochen auf großen Campingkochern. "Dabei haben die meisten Flüchtlinge seit fünf oder sechs Tagen nichts richtiges gegessen", sagt eine Medizinerin von Ärzte ohne Grenzen. Aus hygienischen Gründen ist nur Verpacktes und mit Schale erlaubt. Also gibt es hart gekochte Eier und Bananen - aber selten genug für alle. Nur für die Kinder? Nur für die komplett Unterkühlten? Solche Entscheidungen muss Schaufler treffen. Ist er damit überfordert? "Wir kriegen das schon hin."

Wer die Schlange verlässt, verliert seinen Platz, das müssen die Freiwilligen immer wieder erklären. Eine junge Frau wendet sich an die Helfer in den gelben Westen, sie muss auf die Toilette. Die verdreckten Dixie-Klos liegen hinter ihr, sie will sichergehen, dass sie wieder in die Schlange zurückdarf. Der Polizist nickt dem Helfer zu, sie darf.

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Um eine Entscheidung zu bereuen, bleibt keine Zeit

Wer eine gelbe Weste trägt, wird angelächelt, bekommt ein "Thank you" entgegengerufen, auch wenn er nur vorbeiläuft. Wer eine gelbe Weste trägt, wird aber auch gefragt, wo es einen Arzt gibt, und muss entscheiden, wie schnell es jetzt gehen muss. Eine Frau mit Kopftuch wickelt einen Verband von den Händen, zeigt Brandverletzungen. Als sie erfährt, dass das Team von Ärzte ohne Grenzen und Humedica am Ende der Schlange ist, wickelt sie den Verband wieder auf und stapft weiter. "Ich hasse das", sagt ein spanischer Helfer, "aber es geht nicht anders." Eigentlich ist die Entscheidung willkürlich, sagen sie, wenn sie unter sich sind. Jeder verlässt sich auf sein Gefühl. Um eine Entscheidung zu bereuen, bleibt keine Zeit.

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Nachmittags um fünf, wenn sich die Freiwilligen zur Lagebesprechung treffen, geht es um solche Situationen und wie man am besten damit umgeht. Dreißig internationale Volunteers lässt die Polizei momentan zu. Sie arbeiten mit UNHCR und dem Ärzteteam zusammen, aber organisieren sich selbst, ohne große Hilfsorganisation im Rücken und mit privaten Spendengeldern. Sie verteilen die Schichten, tauschen Informationen mit Helfern in Mazedonien und Griechenland aus, um einzuschätzen, wie viele Menschen ankommen werden. Da wird diskutiert, gelacht, improvisiert.

"Bei uns gab es einfach immer Flüchtlinge"

Immer wieder ist die Zusammenarbeit mit den Polizisten Thema. Sie werden aus ganz Serbien hierher geschickt, in einen der ärmsten Teile des Landes. Die Bevölkerung ist überwiegend muslimisch, spricht albanisch und fühlt sich vom Staat allein gelassen. "Für die Serben gehören wir eher zum Kosovo", sagt Diellza Duraku, 25, die in Preševo aufgewachsen ist und nun in ihrer Freizeit am Infopoint den Menschen den Weg zur Registrierung erklärt. Im Mai hat sie noch Flüchtlinge bei sich daheim schlafen lassen, duschen, essen, ausruhen.

Sie kennt das schon. "Bei uns gab es einfach immer Flüchtlinge", sagt Duraku. Aus dem Kosovo, aus Mazedonien. Sie kann sich noch an den Krieg zuhause erinnern. Wenn sie von ihrer Kindheit und den Polizisten auf den Pferden erzählt, bekommt sie feuchte Augen.

Sie reden, schimpfen, weinen

Jonathan Schaufler hat sich kurz ausgeruht, für die nächste Nachtschicht. Es sei schwierig, ja, aber er hat das Gefühl, etwas zu bewirken. Trotz aller Widrigkeiten hätten sie es geschafft, die Leute einigermaßen gut zu versorgen. "Immer wieder hört man, dass Europa an den vielen Flüchtlingen zusammenbricht", sagt er. "Was hier passiert, zeigt: Das stimmt nicht. Es ist das Gegenteil. Wir alle wachsen ein bisschen zusammen."

Er sitzt vor dem Haus, in dem die Helfer untergebracht sind. Man sieht die Wartenden von hier aus, und wer nachts schläft, hört sie vom Bett aus. Sie reden, schimpfen, weinen. Es sind nur wenige Meter bis zur Straße. Einer Straße, die hier alles bestimmt, aber für die Flüchtlinge nur ein kleines Stück auf einem langen Weg ist. Noch ist es warm. Aber gleich geht die Sonne unter.

Die Straße, die hier alles bestimmt, aber für die Flüchtlinge nur ein kleines Stück auf einem langen Weg ist. (Foto: Elisa Britzelmeier)
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