Flüchtlingsfamilie:Neue Hoffnung für taubes Mädchen aus Syrien

Flüchtlingsfamilie: Rukaia kann nicht hören. Nun hofft das Mädchen auf eine Operation im Rechts der Isar.

Rukaia kann nicht hören. Nun hofft das Mädchen auf eine Operation im Rechts der Isar.

(Foto: privat)

Die zehnjährige Rukaia soll nach einer Operation am Klinikum rechts der Isar endlich hören können. Doch bisher ist nur ihr Vater in Deutschland.

Von Stephan Handel

Spät am Abend beginnt das Handy zu vibrieren und hört nicht mehr auf: Rukaia auf der Schaukel, Rukaia als Prinzessin verkleidet, Rukaia fröhlich, Rukaia nachdenklich - fast 30 Fotos sind es schließlich. Die Fotos kommen aus Grabenstätt am Chiemsee, aber eigentlich kommen sie aus Istanbul. Und aus Damaskus.

In einer Flüchtlingsunterkunft in Grabenstätt nämlich hat Ali Ramadan die Bilder losgeschickt, Ali Ramadan, der sagt: "Ich kann nicht mehr denken." Seit fünf Monaten ist er in Deutschland, und so lange versucht er, seine Familie nachzuholen, Salwa Hannan, die Frau, Ghadeer, den 15-jährigen Sohn, die Tochter Ameneh, 14 Jahre alt, und natürlich Rukaia, die 10 ist und das Sorgenkind der Familie.

Rukaia kam taub zur Welt, aber Syrien hatte ein gutes Gesundheitssystem, bevor der Krieg begann. Ärzte in Damaskus operierten ein Ohr, sie bekam ein Hörgerät, alles schien einigermaßen gut zu werden. Bis zu jenem Tag im November 2012. Da schlug eine Bombe ein neben dem Haus der Ramadans.

Alle blieben unverletzt, bis auf Rukaia. Zuerst glaubten sie, das Hörgerät sei beschädigt worden durch den Druck der Explosion, aber das war es nicht - Rukaia konnte nicht mehr hören. Da machte sich die Familie Ramadan auf die Flucht.

Drei Jahre bleibt die Familie in Istanbul

22 Stunden brauchte der Bus bis zur türkischen Grenze, noch einmal zwei Tage waren sie unterwegs, bis die Familie in Istanbul angekommen war, in Sicherheit, vorerst. Ali arbeitete in seinem Beruf als Schneider, die beiden älteren Kinder halfen ihm; drei Jahre blieben sie da, zu fünft in einem Zimmer. Aber für Rukaia wurde es immer schwieriger, es gab keine vernünftige medizinische Versorgung, ganz zu schweigen von der Aussicht, der Tochter das Gehör zurückzugeben. Also brach der Vater auf nach Deutschland.

Das war vor fünf Monaten. Jetzt lebt Ali Ramadan, der Schneider, 42 Jahre alt, in einer Unterkunft in Grabenstätt, er hat das Glück, sein Zimmer nur mit einem Mann teilen zu müssen, alle anderen wohnen zu dritt oder zu viert.

Alle zwei, drei Tage ruft er an in Istanbul - die Nachrichten, die er überbringt, sind besser als die, die er erfährt: Es ist schwierig ohne Mann in der Türkei, die Frau darf nicht arbeiten und könnte es auch nicht, weil sie Rukaia nicht allein lassen kann, die beiden anderen Kindern versuchen, Geld zu verdienen, aber sie arbeiten illegal, und wenn der Chef ihnen nach der Arbeit kein Geld gibt, können sie nichts machen.

Beschleunigte Familien-Zusammenführung für die Ramadans

Die Anrufe vom Chiemsee bringen wenigstens ein bisschen Hoffnung zu der Familie in die Türkei. Denn: Rukaia könnte in Deutschland, in München operiert werden. Sie könnte ein Cochlea-Implantat, ein CI erhalten, das es Gehörlosen ermöglicht, Sprache zu verstehen. Dazu werden, grob gesagt, Schallwellen in elektronische Reize umgewandelt, die dann direkt in den Hörnerv eingespeist werden, ohne den Umweg über Trommelfell und Ohrschnecke.

Vor die Medizin hat deutsche Gründlichkeit die Verwaltungsbürokratie gestellt. Andererseits gibt es - nicht nur in Grabenstätt - Menschen wie Margot Wingruber. Sie ist eine Frau, die Böswillige vielleicht als "Gutmensch" bezeichnen würden - mit dem Unterschied, dass Margot Wingruber nicht auf Gutmenschen-Demonstrationen Schilder hochhält. Sondern dass sie etwas tut.

Im Fall Ramadan hat sie erreicht, dass die Asylbehörde der beschleunigten Familien-Zusammenführung zustimmt. Das - die ganze Familie Ramadan in Bayern - war die Voraussetzung dafür, dass die AOK die Kosten von Rukaias Behandlung übernimmt.

Die Operation ist gesichert

Thomas Stark, der am Klinikum rechts der Isar das CI-Team leitet und das Mädchen operieren würde, hat darauf aufmerksam gemacht, dass anschließend eine längere Therapie nötig sein würde, um die kleine Patientin an das Gerät in ihrem Kopf zu gewöhnen - eine Logopädin also musste her, und zwar eine, die arabisch spricht. Auch die hat Margot Wingruber mittlerweile gefunden.

Und dass das deutsche Konsulat in Istanbul, das den vier Ramadans die Ausreise nach Deutschland ermöglichen soll, sich hinter Überlastung verschanzt, das wird sie auch noch hinbekommen.

Die Operation also ist gesichert, immerhin kostet das Gerät allein rund 25 000 Euro. Aber: Wer bezahlt die Logopädin? Wo soll die Familie wohnen? In Grabenstätt nicht, das wäre viel zu aufwendig, wenn sie dann immer nach München zu den Behandlungen fahren müssten.

Und schließlich, das ist eigentlich das erste Problem: Woher die 2000 Euro für die Flugtickets nehmen? Margot Wingruber will nun, über ihren Verein "Drahdiwaberl und Springinkerl" Spenden sammeln, um die Familie zusammenzubringen und Rukaias Behandlung zu ermöglichen. Damit sie wieder hören kann. Und ihr Vater mehr von ihr hat als 30 Fotos auf dem Handy.

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