Flüchtlingsdrama in München:Jedes Dach zählt

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Eine der vorrübergehenden Unterkünfte für Asylbewerber befindet sich im Kapuzinerhölzl. (Foto: Catherina Hess)

Grundschule, altes Firmengelände, Zelte im Kapuzinerhölzl: Die Behörden nutzen jede Möglichkeit, um Flüchtlinge in München unterzubringen. Wiesnzelte kommen nicht mehr infrage, wohl aber Container-Siedlungen.

Von Bernd Kastner, Frank Müller, Otto Fritscher und Gerhard Eisenkolb, München

Staat und Stadt suchen weiterhin fieberhaft nach zusätzlichen Unterkünften für Flüchtlinge - Wiesnzelte werden aber nicht genutzt, da sie nicht beheizbar seien. Dafür will der Krisenstab im Rathaus nun diverse feste Gebäude näher prüfen: Neben den bereits bekannte Standorten Olympiastadion und Event Arena nun auch die Landesschule für Gehörlose in der Fürstenrieder Straße, die Landwirtschaftsschule in der Berg-am-Laim-Straße und den Siemens-Sportpark.

Anders als von Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) am Montag angekündigt, werden nun generell keine Zelte aufgestellt, stattdessen Container. Mögliche Standorte seien das Tollwoodgelände im Olympiapark, Freiflächen an der Messe, Kapuzinerhölzl, ein Areal an der Zschokkestraße und zwei Freibäder der Stadtwerke. Auch die Theresienwiese werde geprüft. Insgesamt will die Stadt rasch Plätze für bis zu 1000 Flüchtlinge schaffen.

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Auch außerhalb Münchens werden Asylsuchende auf die Schnelle einquartiert: Am Mittwoch wurde ein aufgelassenes Firmengelände in Feldafing zum Notquartier umfunktioniert, in einer alten Fürstenfeldbrucker Schule sollten noch am Abend 100 Flüchtlinge aus der Bayernkaserne unterkommen. Ein Ende der Misere ist nicht in Sicht: Die Zahl der Flüchtlinge werde in Bayern auch in den nächsten Monaten dramatisch steigen, kündigte Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) im Landtag an. Der neue Krisenstab der Staatsregierung verständigte sich bei seiner Sitzung darauf, dorthin keine neuen Flüchtlinge mehr zu schicken. Dazu hatte es am Vortag noch Unklarheiten gegeben.

Die Lage in der Bayernkaserne solle stabilisiert werden, erklärten die beiden Chefs des Krisenstabs, Staatskanzleichef Marcel Huber und Sozialministerin Emilia Müller (beide CSU). Ministerpräsident Horst Seehofer sagte, nun gehe es darum, "professionell mit einer Krisensituation umzugehen". Streitereien über deren Ursache hülfen nicht weiter. "Sie werden mit uns politische Scharmützel nicht erleben."

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Sich selbst in der Bayernkaserne ein Bild der Lage machen, will der CSU-Chef nicht. Er wolle "nicht in Aktionismus" verfallen, sagte Seehofer. Die Zahl der neu ankommenden Flüchtlinge habe seinen Höhepunkt noch nicht erreicht, fügte Seehofer hinzu. Das Thema werde das Land noch jahrelang beschäftigen.

Besorgt zeigte sich der Ministerpräsident wegen der kommenden kälteren Temperaturen. "Es ist notwendig, dass wir einen Notfallplan für den Winter vorbereiten." Derzeit werden Flüchtlinge an der Wache der Bayernkaserne weiterhin erstregistriert. Ein Sprecher der Regierung von Oberbayern sagte: "Wir arbeiten fieberhaft an einer Anschlusslösung." Nach SZ-Informationen soll schon in Kürze in einem Gewerbeobjekt in der Lotte-Branz-Straße im Euro-Industriepark ein neu organisiertes Registrierungszentrum entstehen. Die Regierung wollte dies nicht bestätigen. Das Gebäude wollte die Behörde ohnehin vom kommenden Jahr an für mehrere hundert Flüchtlinge nutzen.

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Das Jugendzeltlager im Kapuzinerhölzl wird nicht, wie eigentlich vorgesehen, diesen Donnerstag abgebaut, sondern soll auf bitten der Stadt bis mindestens nächsten Dienstag 210 Flüchtlinge beherbergen. Dies kündigte Gerhard Wagner vom Camp-Betreiber Kreisjugendring (KJR) an und kritisierte zugleich die Regierung von Oberbayern für deren missglücktes Management. Der KJR habe Aufgaben der Behörden übernommen, etwa eine provisorische medizinische Erstuntersuchung oder eine Familienzusammenführung organisiert. Dafür habe der KJR eine "Volkszählung" in den Zelten vorgenommen, um sich einen Überblick zu verschaffen.

Derweil hat die Regierung von Oberbayern ein weiteres Notquartier außerhalb Münchens eröffnet: Auf dem ehemaligen Firmengelände von "Diamant Müller" in Feldafing am Starnberger See hat sie am frühen Mittwochmorgen 86 Menschen aus Eritrea, Syrien, Afghanistan und Somalia und anderen Ländern untergebracht. Um vier Uhr morgens brachten zwei Busse die Asylbewerber nach Feldafing, auch zur Überraschung von Starnbergs Landrat Karl Roth (CSU). Er fühle sich von der Regierung überrumpelt und zudem schlecht informiert. So sei am Mittwochabend auch noch nicht abzusehen gewesen, ob in der Nacht zum Donnerstag weitere Flüchtlinge nach Feldafing gebracht werden.

In Fürstenfeldbruck hat Landrat Thomas Karmasin (CSU) am Mittwochnachmittag die leer stehende Grundschule am Niederbronner Weg in der Kreisstadt beschlagnahmt, um dort hundert Flüchtlinge aus der Bayernkaserne einzuquartieren. Bis 19 Uhr sollten in Zusammenarbeit mit dem Technischen Hilfswerk und dem Roten Kreuz Betten aufgestellt und bis zum Eintreffen der Asylbewerber auch die Verpflegung sichergestellt werden.

Die Münchner CSU will es Privatleuten ermöglichen, Flüchtlinge zu Hause aufzunehmen. OB Reiter solle sich dafür einsetzen, die Vorschriften zu ändern. "Angesichts der Überforderung in den staatlichen Einrichtungen kann ich nicht nachvollziehen, weshalb Privatpersonen keine Flüchtlinge aufnehmen dürfen", erklärt Stadtrat Richard Quaas. Zudem will die CSU leer stehende städtische Gebäude in der Müller- und Pilotystraße nutzen. Der Bezirksausschuss Altstadt fordert, das zum Abriss vorgesehene Haus in der Pestalozzistraße herzurichten.

© SZ vom 16.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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