Süddeutsche Zeitung

Flüchtlinge:Wie Münchner Neonazis die Asyldebatte nutzen

  • Demonstrationen an prominenten Orten, Flugblatt-Verteilaktionen vor Schulen: Neonazis in München sind merklich aktionistischer geworden.
  • Sie versuchen, die Flüchtlingsdebatte für ihre Zwecke zu nutzen.
  • Für ein Verbot zweier relativ neuer Gruppen von gewaltbereiten Rechtsextremisten sieht der Freistaat aber derzeit keine Handhabe.

Von Sebastian Krass

Theatinerstraße, Münchner Freiheit und vor dem Mira-Einkaufszentrum an der Dülferstraße - drei Kundgebungen an einem Tag. Am vergangenen Samstag präsentierte der Neonazi Philipp Hasselbach sich und seine Partei "Die Rechte" wieder einmal an belebten Stellen Münchens. Es war derselbe Tag, an dem er nach Protesten von anderen Gästen den Hirschgarten verließ.

Öffentliche Aufmerksamkeit hat "Die Rechte" in diesem Jahr auch schon mit Demos gegen den NSU-Prozess und während der Eröffnung des NS-Dokuzentrums erregt. Am diesem Samstag geht es weiter: Eine andere Neonazi-Partei namens "Der Dritte Weg" ruft zu einer Demo auf, ebenfalls vor dem Mira-Einkaufszentrum. Gut in Erinnerung sind auch noch die Aufmärsche von bis zu 200 Rechtsextremisten im Schlepptau von Pegida Anfang des Jahres.

Karl Richter von der "Bürgerinitiative Ausländerstopp" sitzt seit Jahren im Stadtrat - hat München aber darüber hinaus ein wachsendes Nazi-Problem? Muss man sich Sorgen machen, dass die Rechtsextremen auch hier Stimmung gegen Flüchtlinge schüren?

Miriam Heigl beobachtet im Auftrag von OB Dieter Reiter (SPD) die Szene. Sie leitet die Fachstelle für Demokratie - gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Menschenfeindlichkeit. Und ja, sie hat Veränderungen bemerkt: "Der Umgang mit Geflüchteten ist der Diskurs der Stunde in unserer Öffentlichkeit. Und Neonazis versuchen mit Macht, auf den Zug aufzuspringen." Auch in München.

Provokation als Strategie

"Die Rechte" ist in Nordrhein-Westfalen entstanden und hat am 20. April 2014, Hitlers Geburtstag, in München ihren ersten bayerischen Kreisverband gegründet, Vorsitzender wurde Hasselbach - zu der Gelegenheit sprach auch Karl Richter. Heigl sagt über "Die Rechte": "Ihre Strategie ist Provokation, und das versuchen sie zu perfektionieren." Auf Facebook berichtet der Kreisverband von mehreren Flugblatt-Verteilaktionen vor Schulen, der Slogan: "Asylflut stoppen".

Im Mai gründete sich ein bayerischer Landesverband, Vorsitzender ist auch hier Hasselbach, der bis Februar 2014 eine dreieinhalbjährige Haftstrafe, unter anderem wegen schwerer Körperverletzung, absitzen musste. In einer Rede auf jenem Landesparteitag sagte er: "Bei uns ist der Nationalsozialist in unseren Reihen genauso willkommen wie der Nationalkonservative oder der Nationalliberale." Dass seine Partei für Menschen mit konservativem oder liberalem Politikverständnis sicher keine Anlaufstelle ist, dürfte ihn kaum stören.

Wie gefährlich ist eine Bewegung wie "Die Rechte"? "Sie sind aktionistischer geworden, das heißt aber nicht unbedingt, dass sie auch gewichtiger oder stabiler sind", sagt Heigl. "Es handelt sich bei der ,Rechten' um eine klassische Kleinstgruppe mit einem Anführer." Der bayerische Verfassungsschutz beziffert die Zahl der Mitglieder des Münchner Kreisverbands auf 15 - eine Splittergruppe, auch an den Kundgebungen nehmen stets nur etwa zehn Personen teil. Die Behörde warnt aber, dass deren Hetzkampagnen "Rechtsextremisten ermutigen können, sich weiter zu radikalisieren oder gewalttätige Aktionen durchzuführen". Zudem ist es schwerer, eine solche Gruppe zu verbieten, wenn sie den Status einer Partei hat.

Hasselbach hat in der Naziszene Feinde. Er soll vor Jahren bei der Jugendorganisation der NPD Geld veruntreut haben. Die ebenfalls seit 2014 in Bayern aktive Gruppe "Der Dritte Weg" jedenfalls will mit ihm nichts zu tun haben. Darin haben sich vor allem Leute aus dem verbotenen Freien Netz Süd versammelt, darunter der verurteilte Rechtsterrorist Karl-Heinz Statzberger. Die Zahl der Mitglieder und Sympathisanten in München beziffert der Verfassungsschutz auf etwa 20.

"Der Dritte Weg" tritt zwar an diesem Samstag öffentlich auf - auch mit Unterstützung von Karl Richter, der offenbar versucht, beide Parteien für sich einzuspannen. Ansonsten ist die Gruppe im Straßenbild der Stadt weniger sichtbar. "Es gibt aber", sagt Miriam Heigl, "eindeutige Hinweise, dass diese Bewegung sich mit anderen gewaltaffinen Szenen, etwa Hooligans von der ,Brigade Giesing' und Rockern, verknüpft und diese an sich eher unpolitischen Strömungen möglicherweise politisch auflädt."

Für Verbote sind der Bund und Karlsruhe zuständig

"Der Dritte Weg" veröffentlichte Anfang des Jahres einen Leitfaden, wie man angeblich die Einrichtung von Flüchtlingsunterkünften in der Nachbarschaft verhindern könne. Auf der Homepage der Partei tauchte auch eine Deutschlandkarte mit Standorten solcher Unterkünfte auf, die von Google erst spät abgeschaltet wurde, inzwischen aber andernorts online zu finden ist. Ermittlungsbehörden sehen Bezüge zwischen der Nazi-Gruppierung und dem Brandanschlag auf die Unterkunft in Reichertshofen (Landkreis Pfaffenhofen) im Juli.

Marcus Buschmüller von der Antifaschistischen Informations-, Dokumentations- und Archivstelle (Aida) stellt sich beim Blick auf die Aktivitäten die Frage: "Wie viel Zeit gibt man denen, sich zu organisieren und zu festigen, bevor man sie verbietet?"

OB Reiter schrieb im Juni einen Brief an den bayerischen Innenminister Joachim Herrmann (CSU), in dem er ihn bittet, "dieses Thema auch in Bayern auf die Tagesordnung zu heben". Reiter bezweifelt auch, dass "Die Rechte" tatsächlich eine Partei ist.

Ein Sprecher Herrmanns sagt aber, beide Gruppen seien bundesweit aktive Parteien. Für ein Verbot seien das Bundesinnenministerium und das Bundesverfassungsgericht zuständig. Zudem müsse man auf den Ausgang des Verbotsverfahrens gegen die NPD schauen. Vorerst dürfen "Die Rechte" und "Der Dritte Weg" also weiter hetzen.

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SZ vom 14.08.2015/bica
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