Als Europas Rand zum ersten Mal spürbar wird, ist es halb drei Uhr früh. Der kleine Bus hat es bis an die slowenisch-kroatische Grenze geschafft. "Passports", sagt die Frau in der dunkelblauen Jacke mit der Aufschrift "Policija", ein prüfender Blick ins Auto. Sie stapelt die Pässe. "Seven?" Ihre Finger zeigen sieben an. Ja, seven, die Fahrerin nickt. Die Polizistin gibt die Pässe zurück. Weiter geht's. Die Temperaturtafel über der Autobahn zeigt minus 0,3 Grad an.
Der Sprinter ist auf dem Weg von München nach Serbien. Es ist die erste Kontrolle, nach Österreich ging es ohne Probleme, nach Slowenien auch, hier aber endet der Schengenraum und die sieben Menschen im Kleinbus spüren zum ersten Mal die prüfenden Blicke der Grenzpolizisten. Es sind Blicke, die Abertausende jenseits der Schengen-Marke längst gewohnt sind. Flüchtlinge, die auf ihrem Weg nach Europa an den Grenzen stehen und warten.
Der Bus aus München ist unterwegs nach Preševo, kurz vor Mazedonien. In Preševo befindet sich eine Registrierungsstelle, hier müssen sich die Flüchtlinge in Serbien melden, dann haben sie 72 Stunden Zeit, das Land wieder zu verlassen. Stundenlang stehen die oft völlig entkräfteten Menschen für die Registrierung an, versorgt würden sie nicht - gäbe es nicht die Freiwilligen. Auch die Münchner wollen helfen, dafür fahren sie in den Süden, Balkanroute reverse.
Die einen standen schon in München am Hauptbahnhof, andere hatten bisher noch gar nicht mit Flüchtlingen zu tun
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Der Jüngste im Sprinter ist 21, die Älteste ist 70 Jahre alt, sie alle kennen sich erst seit ein paar Stunden. Über die unterschiedlichsten Wege haben sie zusammengefunden. Das meiste läuft über Facebook, aber auch über Bekannte, Mails, Telefonate, ja sogar Briefe. Die einen standen schon in München am Hauptbahnhof, halfen in den Notunterkünften in der Messe und der Richelstraße, die anderen hatten bisher noch gar nicht mit Flüchtlingen zu tun.
Oliver Balthesen, 23, Student, war schon in Ungarn und in Kroatien, er kommt aus Bonn und traf in München zur Gruppe. Alexander Möller, 37, drei Kinder, langer Bart, haben sie bei Traunstein aufgesammelt, er stand in Freilassing an der Grenze, als die Flüchtlinge kamen.
Sie haben die Bilder gesehen von Menschen in der Kälte, Menschen im Regen, Menschen im Schlamm, und wussten, dass sie etwas tun wollten. In München kommen ja seit dem Oktoberfest kaum noch Flüchtlinge an.
Manuela Richter, 39, hatte ihren ersten Einsatz als Helferin in der Richelstraße Ende August. Ein Spendenaufruf auf Facebook am frühen Sonntagmorgen, sie lag noch im Bett, das Smartphone in der Hand. Nur kurz Sachen vorbeibringen wollte sie - und blieb dann vierzehn Stunden, "ohne Kaffee, ohne Zähneputzen", sagt sie und lacht rau. Richter ist selbstständig und hat sich für die Fahrt eine Woche freigeschaufelt.
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"Am Ende kriegst du mit, wie ein Kind erfriert"
Ob sie Angst hat? "Am Ende kriegst du mit, wie ein Kind erfriert. Ich habe mich auch auf so etwas eingestellt." Sie hat selbst einen Sohn, fast sechs, der diese Woche beim Papa bleibt. Über die Kinder sprechen sie und Möller öfter auf dem Weg, die Flüchtlingskinder und die eigenen. Wie man ihnen erklärt, was man da tut, und wie das wäre, säße man selbst nicht mit dem sicheren deutschen Pass im Transporter, sondern stünde ohne auf der anderen Seite.
Die Fahrer wechseln sich ab. Jonathan Schaufler, der Jüngste, hat als Erster verstanden, dass man die Kupplung langsam kommen lassen muss. Für ihn ist es der erste Einsatz mit Flüchtlingen. In München studiert der 21-Jährige Umweltingenieurswesen an der Technischen Universität (TU). Daheim in Merklingen in Baden-Württemberg hat er einen Freund, der an der kroatischen Grenze war. "Das hat mir gezeigt: Jeder kann etwas tun, jemand wie ich, jeder", sagt er, den Blick auf die Straße gerichtet.
Die Straße wird verschlungener und holpriger, je näher es dem Ziel geht. Die streunenden Hunde auf den Rastplätzen werden mehr, alte Menschen zuckeln auf vollbepackten Fahrrädern die Landstraße entlang, ein Mopedfahrer ohne Helm, ein alter weißer Renault, einen riesigen roten Koffer auf dem Dach festgeschnallt. Vor dem Fenster ziehen Hügel, Herbstlaub, Äcker und Wiesen vorbei, viele mit Stacheldraht, und man fragt sich, ob die der Minen wegen da sind, die es hier immer noch gibt.
Im Sprinter wird geschlafen und immer wieder gelacht. Manches an dieser Gruppe wirkt chaotisch. Der Besitzer des Busses war einen Tag vor Abfahrt erst mal nicht zu erreichen, kurz sah es so aus, als gäbe es nur zwei, die fahren, auf den letzten Drücker sprang jemand ab, dann fanden sich neue Mitfahrer. Winfried Frömmel, der bei einem Münchner Unternehmen in der Logistik arbeitet und sich für die Fahrt Urlaub genommen hat, sagt: "Dazu brauche ich die Politik nicht." Wie die einen auf Pegida-Demos gingen, so fahre er nun eben auf den Balkan. "Ich stimme mit meinen Füßen ab."
Manchmal, sagt er, müsse er sich schon rechtfertigen. Als Gutmenschen sind die meisten von ihnen schon bezeichnet worden, als naiv, als blauäugig. Auch die Gruppe aus München verwendet die Begriffe "naiv" und "blauäugig" - für andere Gruppen, die nun tatsächlich vorhaben, nach Syrien zu fahren oder zumindest an die Grenze. Nach Kobanê zum Beispiel. Dass das leichtsinnig sei, darin sind sie sich einig im Sprinter. Und Lesbos, die griechische Insel, wo die Lage gerade besonders schlimm ist - aber sicher für Europäer? Darüber nachgedacht, ja, das hat der ein oder andere. "Aber alles hat Grenzen."
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Sie wollen "einfach machen"
Die Gruppe bringt keine Hilfsgüter nach Serbien. Auch wenn die Flüchtlinge Decken, Schuhe, Wintermäntel bräuchten - seit 1. November darf nichts Gebrauchtes mehr importiert werden, haben sie gehört. Ein Transporter ist ein paar Stunden früher von München nach Preševo gefahren, mit Regenstiefeln, alle neu, um den Vorschriften zu genügen.
Die Helfer in diesem Sprinter bringen ihre Arbeitskraft. Sie werden Tee verteilen, Informationen und ein Lächeln, nachts an der Grenze. "Einfach machen", so beschreibt Richter das, was sie vorhat. Als sie ankommen, sehen sie erst die langen Reihen von Bussen, die die Flüchtlinge über die Grenze karren und dann weiter in Richtung Kroatien. Und dann sehen sie die Schlange, in der die Menschen stehen und auf ihre Registrierung warten.
Die Freiwilligen vor Ort begrüßen die Gruppe, ein paar kennen sich schon aus München, einer trägt einen Anstecker an der Mütze, ein kleines Münchner Kindl. Die sieben Helfer bekommen eine Einführung, ein Essen. Dann geht es raus.