Überraschungseier für Flüchtlingskinder
Und dann kommt wieder ein Sonderzug am Münchner Hauptbahnhof an, pünktlich um 18 Uhr. An Bord: angeblich 900 Flüchtlinge. Als sie aussteigen, erschöpft von der strapaziösen Anreise, strahlen sie, winken. Auf sie warten Hunderte Münchner hinter einer Absperrung, sie klatschen, reichen Schokolade, den Kindern Überraschungseier und Teddys. Einige filmen die Ankunft der Flüchtlinge sogar, sie haben das Gefühl, bei einem historischen Ereignis dabei zu sein.
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Seit dem Nachmittag geht das immer wieder so. Im Stundentakt erreichen Züge aus Österreich den Hauptbahnhof. Rund 6000 Flüchtlinge reisen bis 20.30 Uhr nach Deutschland ein. 4300 kommen in München an, sie steigen hier aus, werden hier verpflegt und betreut, bleiben in Bayern. 1700 fahren direkt weiter in ein anderes Bundesland, etwa nach Dortmund in Nordrhein-Westfalen oder Frankfurt in Hessen.
Christoph Hillenbrand, der Regierungspräsident von Oberbayern, sagt am Abend, man erwarte drei weitere Züge zwischen 0 Uhr und 1 Uhr. Insgesamt sollten dann seit Samstagmorgen 26 Züge mit Schutzsuchenden in der bayerischen Landeshauptstadt angekommen (oder weitergefahren) sein - mit insgesamt 8000 Flüchtlingen an Bord.
Flüchtlinge im Gleis? Komplettsperrung des Zugverkehrs
Die Lage am Hauptbahnhof ist am frühen Abend recht ruhig. Dann aber noch einmal Aufregung: Der Zugverkehr muss für eine Dreiviertelstunde komplett eingestellt werden - weil offenbar Flüchtlinge hinter der Donnersbergerbrücke auf den Gleisen unterwegs sind. Gegen 22.20 Uhr wird die Sperrung aufgehoben.
Von der S-Bahn am Bahnsteig abgeholt
Im ersten Sonderzug waren am Samstagmittag zwar weniger Menschen angekommen als ursprünglich erwartet. Die etwa 250 Asylsuchenden aber waren die ersten, die nicht mehr begleitet von Polizisten durch die komplette Bahnhofshalle laufen mussten. Sie wurden am Bahnsteig am gegenüberliegenden Gleis von einer S-Bahn abgeholt - und direkt zur Donnersbergerbrücke gefahren. Von dort gingen sie in eine Notunterkunft, die die Deutsche Bahn zur Verfügung gestellt hat.
Essen, schlafen, ein bisschen waschen - das sind die Dinge, die die Flüchtlinge jetzt brauchen, die zum Teil tagelang am Budapester Bahnhof ausgeharrt haben oder am Freitag 70 Kilometer auf der Autobahn Richtung Westen gelaufen sind. Auf diese Bedürfnisse stellen sich die Behörden nun mehr ein.
Mehr Humanität, weniger Bürokratie
Das Konzept sei erweitert worden, sagt Regierungspräsident Hillenbrand. Die Flüchtlinge sollten nach einer Erstversorgung am Hauptbahnhof schnellstmöglich ihre Zielunterkunft erreichen. "Da liegt auch Humanität drin", sagt er bei einer spontanen Pressekonferenz. Zuvor konnte das schon eine, zwei oder sogar drei Stunden dauern - je nachdem, wie groß der Andrang gerade war. Die Flüchtlinge kamen in München an, wurden untersucht und offiziell registriert. Erst dann konnten sie in die ihnen zugewiesenen Einrichtungen fahren.
Die Registrierung wird an diesem Wochenende nach Angaben des Regierungspräsidenten ausgesetzt. "Rechtliche Fragen sind mir im Moment nicht so wichtig", sagt Hillenbrand. Ihm gehe es vorrangig um ein "humanitäres Management". Keiner soll mehr lange warten.
Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter zeigt sich am Nachmittag zuversichtlich, dass es gelingen werde, die Situation im Griff zu behalten. "Ich bin guter Dinge, dass wir auch diese Herausforderung meistern können", sagt er der Süddeutschen Zeitung. "Wir müssen versuchen, es logistisch hinzukriegen, dass es kein Chaos gibt."
Er werde alles dafür tun, dass es aus München keine Bilder gebe wie aus Budapest. Die zuständigen Behörden, Polizei und Helfer arbeiteten gut zusammen. Am Abend lobt er gegenüber der SZ die "sensationell gute Zusammenarbeit aller Beteiligten", all die Menschen seien "vernünftig und menschenwürdig in München angekommen".
Die Behörden seien auf diese Zahlen vorbereitet, erklärt Regierungspräsident Hillenbrand. Sollten aber über einen längeren Zeitraum zwischen 5000 und 7000 Flüchtlinge am Tag zu betreuen sein, gerate man an die Aufnahmekapazitäten.
Erste Flüchtlinge aus Ungarn reisen um halb elf an
Die ersten Flüchtlinge aus Ungarn hatten München am Samstagvormittag erreicht. 180 Männer, Frauen und Kinder kamen mit einem Railjet um halb elf am Hauptbahnhof an. Auch sie wirkten erschöpft, aber erleichert.
Schon Stunden vorher herrschte am Hauptbahnhof reger Betrieb. Nach den Erfahrungen der vergangenen Woche - am Dienstag waren alleine 2400 Flüchtlinge angekommen - hatten Polizei, Regierung von Oberbayern und Ehrenamtliche ihre Arbeitsabläufe neu organisiert, um zum einen schneller arbeiten zu können und zum anderen den Asylsuchenden eine freundliche Ankunft zu bieten. Damit sie unkompliziert mit Bussen in ihre neue Unterkunft fahren können, ist die Arnulfstraße ab der Paul-Heyse-Straße gesperrt.
500 Ehrenamtliche sind am Samstag im Einsatz
Zum Starnberger Flügelbahnhof kommen am Samstag immer wieder Münchner, die helfen wollen. Die Polizei und die freiwilligen Helfer bitten allerdings, keine Sachspenden mehr vorbeizubringen. Wer etwas abzugeben hat, soll sich bitte vorher auf der Homepage der Stadt München informieren.
Auch zusätzliche Ehrenamtliche werden derzeit am Hauptbahnhof nicht mehr benötigt. 500 sind am Samstag im Einsatz, weitere 600 könnten im Notfall einspringen, sie haben sich auf einer Liste eingetragen. Die freiwilligen Helfer sind mittlerweile nicht nur am Hauptbahnhof eingesetzt, sondern auch an weiteren Standorten, in denen Flüchtlinge kurzfristig unterkommen, etwa in der von der Bahn zur Verfügung gestellten Notunterkunft in Neuhausen.
Akribische Vorbereitungen
"Wir bereiten uns in alle Richtungen vor", sagt Simone Hilgers von der Regierung von Oberbayern, die sich seit den frühen Morgenstunden eng mit Ehrenamtlichen, der Stadt München und der Polizei abstimmt. Es zahle sich nun aus, dass in den vergangenen Tagen alles so gut vorbereitet worden sei, erklärt sie. So gebe es zusätzliche Kapazitäten, um Flüchtlinge aufzunehmen.
Neben dem Münchner Luisengymnasium und einer Tennishalle in Grasbrunn seien 1200 weitere Plätze in einer Halle in der Münchner Richelstraße eingerichtet. Die ehemalige Signalmeisterei der Bahn steht seit Jahren leer, sie wurde in zwei Nächten für diesen Einsatz ertüchtigt, eine medizinische Erstversorgung ist möglich, auch können die Menschen hier verpflegt werden, bevor es für sie weitergeht. Kurzfristig hat die Stadt auch auf dem Gelände der Messe München 1700 Betten zur Verfügung gestellt.
27 Busse stünden in Bayern zur Verfügung, um Flüchtlinge in andere Regierungsbezirke zu bringen. Außerdem gebe es Gespräche auf Bundesebene, um Züge und Busse zu organisieren, die Menschen in andere Bundesländer fahren könnten. Auch die grenzüberschreitenden Kontakte seien intensiv. Es gebe dennoch viele "Unwägbarkeiten" angesichts der schnellen Entwicklungen, so Hilgers.