Flüchtlinge:Singen gegen das Kriegstrauma

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Der syrische Friedenschor, der von Ahmad Abbas gegründet wurde, besteht aus einer Gruppe junger in München lebender Syrer. Ihre Vision ist, für Frieden in ihrem Land zu singen. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Er dachte, er sei tot: Knapp überlebte Ahmad Abbas einen Angriff in Syrien. Dann flüchtet er nach München und gründet einen Chor.

Von Jennifer Gaschler

Auf einer Bühne in der Ganghoferstraße stehen zwanzig junge Syrer, die Hände gegenseitig über die Schultern gelegt. Sie singen, nicht immer ganz stimmig, aber dafür umso eindringlicher, "Mautene", was soviel heißt wie "meine Heimat". Im Takt wiegen sie sich hin und her. Vor ihnen sitzen an Biertischen weitere Syrer und ein paar Deutsche, sie feiern gemeinsam das Bayramfest. Ahmad Abbas, der Gründer des "Syrischen Friedenschors" steht vor der Gruppe, dirigiert mit weit ausholenden Bewegungen und singt selbst mit. Er sieht, wie ein junger Sänger zu weinen beginnt.

"Ich weiß genau, was in Daha in diesem Moment vorging", sagt Abbas, als er die Situation Revue passieren lässt. "Bayram ist ein traditionelles Familienfest. Aber er ist alleine hier. Ich habe ihn getröstet und gesagt: Du singst doch hier, damit es besser wird. Das ist das einzige, was wir tun können - auf die Bühne gehen und uns mitteilen. Es dauert eben noch ein bisschen, bis der Frieden fertig ist."

Ahmad Abbas wirkt für seine 21 Jahre sehr reif und erwachsen. Auch er hat seine Familie seit über vier Jahren nicht mehr gesehen. Wenn er sich die schulterlangen schwarzen Haare zurückstreicht, zeigt sich, warum er sie sich so lang hat wachsen lassen: Ein Ohr fehlt zur Hälfte, sein Hals ist mit großen Brandnarben überzogen, die die Haut wie die eines Greises aussehen lassen. Umso jünger wirken Abbas' Stimme und sein einnehmendes Wesen.

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Er sei ein "besonderer Flüchtling", sagt er. Immer wieder müsse er deshalb seine Geschichte erzählen. Alles habe damit begonnen, dass er und seine Schwester Hanadi im Haus der Familie in der Nähe von Homs waren. "Dann hat", Ahmad räuspert sich kurz, fasst sich aber schnell wieder und fährt fort, "eine Granate eingeschlagen, die unseren Gaskocher explodieren ließ". Chaotisch waren dann die nachfolgenden Stunden. Ältere Geschwister beschafften einen Transporter und brachten ihn und seine Schwester, beide schwer verletzt, auf Schleichwegen an die libanesische Grenze, wo Krankenwägen auf sie warten.

Für die Verbrennungen von bis zu 85 Prozent waren jedoch ganz schnell Hauttransplantationen nötig, die das Krankenhaus im Libanon nicht leisten konnte. Von einem deutschen Journalisten zufällig entdeckt, rettete ein Facebook-Hilfeaufruf des Mannes den beiden jungen Leuten das Leben. Spendengelder machten es möglich, dass sie bereits wenige Tage später nach München verlegt wurden, wovon sie, im künstlichen Koma liegend, nichts mitbekamen.

"Als ich aufgewacht bin", erzählt Ahmad, "da dachte ich erst, ich bin jetzt im Paradies. Alle waren weiß gekleidet. Erst mein Cousin, der mitreisen durfte, hat uns dann erzählt, was passiert war. Ich konnte mich nicht einmal an die Explosion erinnern", erzählt Ahmad, der mittlerweile fast fließend Deutsch spricht.

Vier Jahre sind seitdem vergangen, vier Jahre, in denen bei Ahmad Abbas viel passiert ist. Nach mehreren Monaten im Krankenhaus und auf Reha lebt er jetzt in einer betreuten Wohngemeinschaft und hat inzwischen seinen Mittelschulabschluss gemacht. Lange suchte er nach einem Ventil für das, was er erlebt hat: Er sang und half erst begeistert bei den Opernprojekten von Cornelia Lanz mit, viele der Auftritte fanden jedoch außerhalb von München statt.

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Das führte zu dem Entschluss, einen eigenen Chor zu gründen. "Es gibt doch so viele Syrer hier, und einige davon spielen ein Instrument oder können singen", sagt Ahmad. Nachdem relativ rasch ein Probenraum gefunden war, wurde Ahmad am Anfang noch von Cornelia Lanz unterstützt, seit einiger Zeit schaffte er die Chorleitung aber ganz alleine. Ahmad Abbas hat den Friedenschor als offiziellen Verein eintragen lassen und ein Spendenkonto eröffnet.

Jeden Donnerstag proben die jungen Syrer, meist in den Räumen der "Schlauschule", an der auch viele von ihnen in schulanalogem Unterricht auf ihren Abschluss hinarbeiten. Abbas ist als erster da, mitgebracht hat er einen Koffer voll T-Shirts, die er an die nach und nach eintreffenden Chormitglieder verteilt. Auf der ersten Version standen nur die syrischen Herkunftsstädte der Sänger, inzwischen ist aber "Homs-München" auf den T-Shirts zu lesen, oben in arabischer Schrift, darunter auf Deutsch.

Zwölf Jugendliche sind diesmal zur Chorprobe gekommen, darunter auch zwei deutsch-französische Mädchen. Syrerinnen trauten sich bisher noch nicht mit ihnen auf die Bühne, sagt Ahmad, und auch seine Schwester singe nicht mit, weil ihre Stimmbänder durch das Unglück beschädigt seien und sie sich nur noch flüsternd verständigen könne.

Eine musikalische Ausbildung hat keines der Chormitglieder, obwohl sich einige Talente durchaus erkennen lassen. Uday Alturk etwa spielt gut Keyboard, Hamza Joubin, einer der jüngsten, hat eine schöne Knabentenorstimme. Immer wieder singt er jetzt die ersten Zeilen von "Janna Janna", ein Lied über das verlorene Paradies.

Die jungen Männer stimmen ein, erst noch ein wenig unsicher versuchen sie, Joubins Melodie zu folgen. "Bei fast allen Konzerten stoßen neue Mitglieder dazu", sagt Ahmad, andere müssten dagegen den Chor verlassen, wenn sie etwa in Flüchtlingsunterkünfte außerhalb von München verlegt werden. "Die Sänger finden es toll, im Chor aktiv zu sein und nicht nur in den Heimen warten zu müssen. Und sie freuen sich, dass wir nicht nur für den Frieden singen, sondern dass jeder ganz persönlich die Lieder jemandem widmen kann, einem verstorbenen Bruder zum Beispiel."

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Immer wieder motiviere er seine Sänger deshalb auch, sich nach dem Konzert unter die Zuhörer zu mischen und mit ihnen zu reden, sagt Ahmad. Vorschläge zur Bühnenaufstellung und Liedwünsche werden laut in die Runde gerufen und ausführlich diskutiert. "Wir lernen aus unseren Fehlern. Mit deutscher Genauigkeit hat das aber wohl nicht so viel zu tun", sagt Ahmad. "Manchmal muss ich aber etwas anstrengend sein und den Chorvater spielen."

Auch ein syrisches Chanson hat der Friedenschor in seinem Repertoire. Hier dauert es etwas länger, bis es einstimmig gelingt, zu oft lacht jemand über die verliebte Frau aus dem Lied, die ihrer Großmutter beichtet, dass ihr Herz vom Blick des Geliebten zu Zigarettenasche zerfalle. Uday Alturk begleitet den Chor an seinem Keyboard mit arabischem Pop. Die Auftritte organisiert Ahmad meistens alleine, auch den Bayram-Abend in München oder die Chorfahrten.

Vor einiger Zeit war er mit seinem Friedenschor sogar in Berlin, um beim "Tag der offenen Tür" der Bundesregierung zu singen. "Manchmal fülle ich tagelang nur Anträge aus", sagt er, in Zukunft müsse er sich aber mehr helfen lassen, weil er eine Ausbildung zum Arzthelfer beginne. Vorsitzender des neuen Vereins will Ahmad dennoch bleiben.

Zum Abschluss übt der Chor noch Ahmads Lieblingslied, die "Ode an die Freude", für ihn ein Lied über Zusammenhalt. Spontan entschieden sie sich, es auch am Tag nach dem Amoklauf im Olympia-Einkaufszentrum zu singen. Die Syrer fassen sich wieder um die Schultern, singen leidenschaftlich und laut. Wer den Text noch nicht ganz beherrscht, singt auf Arabisch oder summt mit. Schöner lässt sich Ahmad Abbas' Motto auch kaum illustrieren: "Es geht hier nicht so sehr um die Musik", sagt er, "es geht um die Menschen."

© SZ vom 02.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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