Flüchtlinge in München:"Taskforce" sucht nach neuen Unterkünften

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Mit mindestens 2400 weiteren Flüchtlingen rechnet München noch in diesem Jahr. Um mögliche Unterkünfte zu finden, haben Stadt und Freistaat eine "Taskforce" gegründet. Leicht tut sie sich nicht. Auch der Vorwurf der Geheimniskrämerei steht im Raum.

Von Stefan Mühleisen

Beobachter sprechen von einem "Geheimkommando", das sich vorvergangene Woche auf dem Gelände der ehemaligen McGraw-Kaserne getroffen hat. Sozialreferentin Brigitte Meier (SPD) führte eine Gruppe von gut einem Dutzend Menschen an, alles hochrangige Behördenvertreter der Stadt und des Freistaats. Der Tross verhandelte, ob und wo auf dem weitgehend staatseigenen Areal ein Flüchtlingsquartier entstehen soll. Vertraulich sei die Atmosphäre gewesen, heißt es. Aus einer internen E-Mail des Amtes für Wohnen und Migration geht hervor: Es wurde Stillschweigen vereinbart.

Geheimkommando, Stillschweigen - das deckt sich mit der öffentlichen Wahrnehmung dessen, wie Standorte von Flüchtlingsquartieren festgelegt werden: in exklusiven Zirkeln, unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Das ist nicht ganz falsch, allerdings auch nicht ungewöhnlich. Das Procedere ist keine dubiose Heimlichtuerei, sondern der Versuch einer professionellen Akquise bei einem hochsensiblen Thema: Im Oktober will das Sozialreferat den Stadtrat über 20 neue Standorte für Flüchtlingsquartiere in 14 verschiedenen Stadtbezirken informieren, wie Behördensprecher Andreas Danassy bestätigt.

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Die Heime werden dringend benötigt, auch weil die überfüllte Erstaufnahmeeinrichtung in der Bayernkaserne Ende 2016 schließen soll. München muss sich nach den Worten Danassys darauf einstellen, dass noch heuer "zusätzlich mindestens 2400 Flüchtlinge zu uns kommen". Er fügt hinzu: "Das ist eine große Kraftanstrengung." Derzeit leben gut 3100 Asylbewerber in der Stadt, dazu kommen 1500 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge.

Bereits vor Monaten haben Stadt und Freistaat beschlossen, für diesen Kraftakt eng zu kooperieren. Es wurde eine gemeinsame "Taskforce" gegründet. Geleitet wird sie vom Chef des städtischen Wohnungsamts, Rudolf Stummvoll. Alle zwei Wochen trommelt er Vertreter von Sozial-, Kommunal-, Bildungs- und Planungsreferat sowie der Stadtkämmerei zusammen. Mit am Tisch sitzen Vertreter der Branddirektion, der Regierung von Oberbayern und der Immobilienverwaltung des Freistaats. Zusätzlich tagen die Referatsleiter einmal monatlich. Bei diesen Konferenzen sind auch Emissäre des Polizeipräsidiums und des Sozialministeriums vertreten.

90 mögliche Standorte

Dieses Bündnis bereitet ein neues Konzept für die Unterbringung in München vor. "Die Ära nach der Bayernkaserne" nennt der Sprecher der Bezirksregierung, Florian Schlämmer, den Plan mit dem Arbeitstitel AE 2017; das "AE" steht für "Aufnahmeeinrichtung". Dieser Plan sehe vor, einen neuen zentralen Verwaltungsstandort für die Erstaufnahme zu schaffen. Der Ort dafür steht noch nicht fest. Dazu soll es mehrere Dependancen im ganzen Stadtgebiet für die Erstaufnahme geben. Gesetzt ist dafür die Funkkaserne und eine Unterkunft für bis zu 600 Menschen in der Lotte-Branz-Straße im Euro-Industriepark. Insgesamt sollen Flüchtlinge nicht mehr derart zentralisiert einquartiert werden wie bisher in der Bayernkaserne.

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Die "Taskforce" hat nach Angaben des Sozialreferats bisher 90 mögliche Standorte für Unterkünfte in München unter die Lupe genommen; zehn hätten sich als ungeeignet erwiesen. Bei 60 Objekten stehe das Ergebnis der Prüfung noch nicht fest. "Bei bisher 20 Objekten ist eine Realisierung machbar und beabsichtigt", teilt Referatssprecher Danassy mit. Nach seinen Worten könnten an den Standorten in diesem Jahr insgesamt 1800, im kommenden 1600 Plätze geschaffen werden. Drei davon sind seit dieser Woche bekannt: die McGraw-Kaserne, der Euro-Industriepark und die Nailastraße in Perlach.

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Die Arbeit der "Taskforce" nennt Danassy "aufwendig und komplex". Gerät ein Grundstück - ob staatlich oder städtisch - in den Fokus, läuft eine detaillierte Analyse an. Die Mitarbeiter prüfen, ob auf dem Areal stadtplanerisch und baurechtlich eine Flüchtlingsunterkunft möglich ist, wie hoch die Kosten sind und ob die Einrichtung an dieser Stelle sozialverträglich ist. Dazu gibt es noch eine "Arbeitsgruppe Kommunikation", die sich mit der Öffentlichkeitsarbeit beschäftigt. Dabei weisen Schlämmer und Danassy den Vorwurf der Geheimniskrämerei zurück.

"Es bringt nichts, über ungelegte Eier zu sprechen", sagt Schlämmer und wirbt um Verständnis dafür, dass nur jene Standorte bekannt gegeben werden, die auch wirklich realisiert werden. Danassy spricht von einem "abgestuften Kommunikationsverfahren". Derzeit betrifft das zwei der geplanten 20 Einrichtungen: Für den Standort Nailastraße in Perlach wird derzeit eine Einwohnerversammlung erwogen; für die McGraw-Kaserne trägt der Stab gerade die Informationen für den Bezirksausschuss zusammen. Von Stadt- und Staatsverwaltung ist zu hören, dass die Zusammenarbeit gut laufe; man arbeite "Hand in Hand".

Die Rathausspitze ist offenbar ebenfalls dieser Ansicht. Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) hat sich am Donnerstag mit Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) getroffen, um sich über die Situation der Flüchtlingsunterbringung auszutauschen. "Es war ein sehr konstruktives Gespräch", wird der OB in einer Mitteilung zitiert. Man sei sich einig, dass es darum gehen müsse, Konzepte für kurzfristige, aber auch mittel- und langfristige Lösungen zu entwickeln. Dabei zeigt er sich zufrieden, dass der Freistaat eine seiner Forderungen erhört hat: "Ich begrüße, dass mein Vorschlag aufgegriffen wurde, auch die McGraw-Kaserne in die Überlegungen mit aufzunehmen."

© SZ vom 06.09.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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