Süddeutsche Zeitung

Flüchtlinge in München:Pflegen, dolmetschen, heilen

Sprachliche Barrieren und bürokratische Hürden erschweren die medizinische Versorgung von Flüchtlingen in München. 120 Mitarbeiter des Stadtklinikums stehen als Dolmetscher für Patienten bereit.

Von Stephan Handel

Gut 120 Leute hat Jasmina Karamehmedovic auf ihrer Liste - zwei Listen sind es eigentlich: Karamehmedovic, im Hauptberuf Krankenschwester am Schwabinger Krankenhaus, betreut nebenbei den hausinternen Dolmetscherdienst der Städtischen Klinikum GmbH, und die gut 120 Mitarbeiter, die sich dafür gemeldet haben, sind eingeteilt in solche, die über medizinische Kenntnisse verfügen, und die anderen, die in weniger komplizierten Fällen mit ihrer Muttersprache behilflich sein können.

Seit einigen Jahren schon gibt es den Dolmetscherdienst - entsprungen ist er der Erkenntnis, dass immer mehr ausländische Patienten zur Behandlung kommen, und dass die rund 8000 Mitarbeiter aus insgesamt rund 80 Ländern stammen. 35 Sprachen kann Jasmina Karamehmedovic bieten, die gängigen wie Türkisch oder Bosnisch sowieso, aber auch Exotisches aus Afrika oder aus Asien. Eine Mitarbeiterin, so berichtet die Koordinatorin, spricht als Muttersprache Usbekisch, daneben Russisch, Deutsch natürlich - und "irgendwas Mongolisches". Das wird naturgemäß nicht oft benötigt, aber wenn - Schwabing wäre vorbereitet.

Seit die Flüchtlinge in großer Zahl nach Deutschland, nach München kommen und im Schwabinger Klinikum eine eigene Station nur für sie aufgemacht wurde, gibt es Bedarf vor allem in drei Sprachen: Arabisch, Persisch und Kurdisch. Um die Beantwortung allgemein üblicher Fragen zu erleichtern, hat Jasmina Karamehmedovic Blätter in diesen Sprachen vorbereit - darauf steht "Guten Tag, Sie befinden sich im Klinikum Schwabing. Die Adresse ist Kölner Platz . . ." und so weiter, die wichtigsten Informationen, die die Patienten bei Bedarf an ihre Angehörigen weiterschicken können.

Was das Essensangebot betrifft, da hat die Krankenschwester dafür Sorge getragen, dass kein Schweinefleisch auf der Flüchtlingsstation serviert wird, aus Rücksicht auf die hauptsächlich muslimischen Patienten. Ansonsten aber scheinen Glaubensregeln kein großes Problem darzustellen: "Die haben eine monatelange Flucht hinter sich", sagt Karamehmedovic. "Da gibt es andere Probleme als die Religion." So sei noch keine einzige Frau vollverschleiert zur ärztlichen Untersuchung erschienen. Zwar sei es den Patienten schon lieber, wenn Frauen auch von Ärztinnen untersucht würden, "aber wenn man ihnen erklärt, dass gerade keine im Dienst ist, und man dafür eine Krankenschwester als ,Anstandsdame' bei der Untersuchung dabei sein lässt, dann wird das akzeptiert".

Die ehrenamtlichen Dolmetscher werden unterwiesen, zum Beispiel dahingehend, dass sie einen Auftrag lieber abbrechen sollen, wenn sie merken, dass sie selbst nicht verstehen, was der Arzt erklären will. Die nicht-medizinischen Helfer stehen den Patienten und ihren Angehörigen in eher alltäglichen Angelegenheiten zur Seite: Wo ist die Cafeteria, wie komme ich zur U-Bahn, gibt es in der Nähe ein Hotel. Sie sind hauptsächlich um die Mittagszeit im Einsatz - dann sind die Untersuchungen beendet, die Leute müssen zurück in die Unterkunft oder brauchen sonst eine Unterstützung.

Gelegentlich tut der Dolmetscher-Dienst des Stadtklinikums auch Gutes über seine eigentliche Aufgabe hinaus: Jasmina Karamehmedovic erinnert sich an eine Vorfall, als plötzlich eine sehr aufgeregte Frau vor ihr stand und in einer fremden Sprache auf sie einredete. Die Sprache wurde als Persisch identifiziert, und als jemand da war, der das verstehen konnte, klärte sich die Aufgeregtheit der Frau schnell auf: Sie war auf der Suche nach ihrem Bruder und seinen drei Kindern, die ihr abhanden gekommen waren; die Sorge der Frau wurde noch durch die Tatsache gesteigert, dass der Bruder blind war.

Zu Fuß war die Frau durch halb München gelaufen, um ihre Angehörigen zu finden. Ein Anruf in der Kinder-Notaufnahme brachte die Lösung und die Zusammenführung der Familie: Dort saß der Bruder nebst Kindern, weil eines davon krank geworden war. "3000 Kilometer waren sie unterwegs, ohne getrennt zu werden", sagt Karamehmedovic. "Aber dann am Münchner Hauptbahnhof verlieren sie sich aus den Augen." Nicht für lange, dank den Schwabinger Dolmetschern.

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Quelle:
SZ vom 29.10.2015
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