Flüchtlinge in München:Mit Bayernschal im Gäste-Block

FC Bayern München - Fans

Der Name Bayern München steht in Syrien für Wohlstand, Sicherheit und internationales Ansehen.

(Foto: Marc Müller/dpa)

Der Krieg ist schuld daran, dass in seiner Heimat Syrien kein Fußball mehr gespielt wird. In der Allianz Arena singt unser Neue-Heimat-Kolumnist mit Bayernfans - und lernt vorher viele neue Schimpfwörter.

Kolumne von Mohamad Alkhalaf

Es war ein Samstag im Frühjahr, als ich Klänge vernahm, die ich so noch nie gehört hatte. Über die Bahnsteige des Münchner Hauptbahnhofs drang ein Gemisch vieler verschiedener Stimmen und Melodien, nur dass der Text für mich kaum definierbar war. Auffällig war nur, dass man bei dieser Ausdrucksform die Vokale, die As, Os und Es besonders lang zieht und besonders laut singt - zumindest, wenn man sie als Gesang durchgehen lassen mag.

Die Urheber dieser Klänge offenbarten sich wenig später in der U-Bahn. Es handelte sich um Schlachtenbummler des FC Bayern. Und so sehr mich ihre Sprechgesänge zuvor irritiert hatten, ihre roten Trikots mit dem Rautenwappen machten sie mir sympathisch. Auch wenn es in Syrien zuletzt weniger um sportliche Nachrichten ging: Der Name Bayern München ist dort wohlbekannt, er steht für Wohlstand, Sicherheit und internationales Ansehen - alles Werte, die man in Syrien seit längerem vermisst.

Dass es auch beim FC Bayern mal Ausnahmen gibt, lernt, wer die Sportnachrichten verfolgt. Dennoch war es für mich etwas ganz besonderes, als mir ein Freund seine Karte für das letzte Heimspiel im alten Jahr anbot, ausgerechnet gegen Leipzig, in der Allianz Arena, der Erste gegen den Zweiten - ein echtes Spitzenspiel. Wie ein Krieger ausgerüstet zog ich mit Bayernmütze, Bayernschal und Bayernfahne in die Allianz Arena ein. Als ich im Stadion war, verschlug es mir fast den Atem. Welch architektonisches Meisterwerk.

In diesem Moment der Bewunderung erinnerte ich mich an Syrien, 3000 Kilometer südöstlich von München, wo die schönen Dinge von einst nicht mehr schön sind. Die Mannschaft meiner Heimatstadt Rakka zierte ein Weißkopfadler. Es ist noch nicht lange her, da spielten sie um Punkte. Mittlerweile wurde der Spielbetrieb bei den meisten syrischen Klubs eingestellt, vor allem wegen des Krieges. Meine Mannschaft aus Rakka wurde aufgelöst, viele Spieler sind gestorben, vor dem IS geflohen, oder wurden eingesperrt. Im Stadion wird dort mittlerweile nicht mehr Fußball gespielt, es dient jetzt als Waffenlager und Gefängnis.

Ganz anders in München. Als ich auf die Tribüne der Allianz Arena stieg, war ich einer der ersten, der auf seinem Platz saß. Allmählich füllte sich das Rund, so als würden Tausende Bienen von der Wiese in ihr Nest zurückkehren. Fußballfans ist allerdings weniger nach Nektar zumute, die meisten, die nach und nach auf der Tribüne Platz nahmen, hatten ein bis zwei Becher Bier in der Hand, der ein oder andere Spritzer landete so auf meinem Schal.

Ich saß auf meinem Platz und schrie für die Bayern. Dann bemerkte ich, dass ich mitten unter den Fans der Leipziger saß. Einige nahmen mein Outfit mit Humor, andere sahen mich böse an, was wohl kaum an meinem arabischen Aussehen lag, sondern an meiner bayerischen Fan-Bekleidung. Ich sagte dann, dass Bier besser als Red Bull schmecke, ein Scherz, weil ich als Muslim ja keinen Alkohol trinke.

Vielleicht hätte ich das vorher erklären sollen, jedenfalls habe ich in der Folge viele neue Schimpfwörter gelernt. In diesem Moment erkannte ich, dass Fußball nicht nur Spaß sein muss, sondern für manche sehr ernst ist. Wahrscheinlich wäre es mir ähnlich ergangen, hätte ich mich im Leipzig-Trikot in die Bayernkurve gestellt.

Ich entschied mich schließlich dafür, die Flucht zu ergreifen und mir einen anderen Platz zu suchen. Den Rest des Spiels verbrachte ich auf den Stehplätzen hinter dem Tor. Dort sangen die Bayernfans ihre Fußball-Lieder, und ich sang mit ihnen mit. Es klang ein bisschen wie damals am Hauptbahnhof, nur dass ich mittlerweile den Text verstehe.

Vier Flüchtlinge, die in ihrer Heimat als Journalisten gearbeitet haben. Nach dem Porträt werden sie regelmäßig eine Kolumne schreiben. Fotografiert auf der Brücke im SZ-Hochhaus.

Der Autor: Mohamad Alkhalaf, 32, stammt aus Syrien. Bis 2015 arbeitete er für mehrere regionale Zeitungen, ehe er vor der Terrormiliz IS floh. Seit der Anerkennung seines Asylantrags lebt er in Kirchseeon. Foto: Florian Peljak

Die Serie: Zusammen mit drei anderen Flüchtlingen schreibt Alkhalaf für die SZ eine Kolumne darüber, wie es sich in Deutschland lebt und wie er die Deutschen erlebt. Alle Folgen finden Sie auf dieser Seite.

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