Flüchtlinge im Hungerstreik:Bloß nicht zurück ins "Dschungelcamp"

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Seit einer Woche harren die Flüchtlinge aus dem Senegal und wechselnde Unterstützer vor dem Sozialministerium aus. Seit Mittwoch befinden sie sich im Hungerstreik. (Foto: Robert Haas)

Die senegalesischen Flüchtlinge, die seit einer Woche vor dem Sozialministerium in München campieren, sind nun in den Hungerstreik getreten. Sie wollen, dass ihre Unterkunft im niederbayerischen Böbrach geschlossen wird. Ministerin Müller argumentiert, kein Ort in Bayern sei unzumutbar.

Von Antonie Rietzschel, Dominik Hutter und Susi Wimmer

Reis und ein bisschen Fleisch - das ist das Letzte, was es zu essen gab. Ein benachbartes Restaurant hatte die Mahlzeit extra für die sechs Flüchtlinge, die seit einer Woche vor dem Sozialministerium ausharren, gekocht. Nun befinden sich die sechs Männer aus dem Senegal im Hungerstreik. "Ich fühle mich, als wäre da nichts mehr in mir drin", sagt einer von ihnen und zeigt auf seinen Bauch. Doch noch gehe es.

Die Flüchtlinge demonstrieren gegen die Lebensbedingungen in dem Asylbewerberheim im niederbayerischen Böbrach. Sie fordern dessen Schließung und die Unterbringung in einer anderen Einrichtung. Bis Mittwoch hatten sie dem Sozialministerium Zeit gegeben auf ihre Forderungen einzugehen. Doch die bayerische Sozialministerin Emilia Müller blieb bei ihrer Meinung, dass jeder Ort im Freistaat zumutbar sei. Die Flüchtlinge entschieden sich daraufhin nichts mehr zu essen. In einem offenen Brief informierten sie das Ministerium über ihre Entscheidung und kritisierten die Äußerung Müllers. "Wenn wir in Böbrach normal leben könnten, würden wir nicht vor Ihrem Ministerium auf der Straße schlafen, Kälte und Regen kaum geschützt ausgesetzt."

Mit zwei Koffern voller Kleidung und einem Transparent haben die Flüchtlinge vergangene Woche ihren Protest begonnen. Mittlerweile steht vor dem Ministerium an der Schellingstraße ein roter Kleinbus in dem Decken und Tüten voller Kleidung liegen. Eine Frau aus der Nachbarschaft hat den Männern das Fahrzeug geliehen. Auf dem Gehweg steht ein Pavillon, darunter liegen Holzpaletten auf denen die sechs Isomatten ausgebreitet haben. Sie liegen in dicke Decke eingepackt, jeder eine Wärmflasche in den Händen. Um den unteren Teil des Pavillon sind Transparente als Windschutz gespannt. Wenn es regnet, können zusätzlich Planen um den oberen Teil gespannt werden.

Momentan ist noch alles in Ordnung

Nur ein paar Meter vom Camp entfernt parkt ein Polizeiauto. "Wir begleiten die Aktion der Flüchtlinge mit dem kleinstmöglichen Aufwand", sagt Polizeisprecher Thomas Baumann. Die so genannte Präsenzstreife sei mit zwei Beamten besetzt, "und derzeit sehen wir keinen Grund, einzugreifen", sagt Baumann. Sollten bei den Asylbewerbern gesundheitliche Probleme auftreten, werde man weitersehen. "Aber momentan ist noch alles in Ordnung." Mit Blick auf das Hunger-Protestcamp im Sommer am Rindermarkt meint Thomas Baumann, dass das Kreisverwaltungsreferat in seinen Auflagenbescheid für die Versammlung vor dem Ministerium mit aufnehmen sollte, dass die Flüchtlinge ärztliche Kontrollen zulassen müssten.

Im Sozialministerium, gibt man sich zwar gesprächsbereit, in der Sache aber hart. Der zuständige Abteilungsleiter wandte sich am Donnerstag per Brief an "die Teilnehmer der Mahnwache" und bot ein Gespräch an - allerdings nicht in München, sondern entweder in Landshut am Sitz der Bezirksregierung von Niederbayern oder aber in Böbrach selbst. Dort könne man "gemeinsam die Situation vor Ort in Augenschein nehmen und über konkrete Veränderungsmöglichkeiten reden". Verhandlungspartner seien jene Flüchtlinge, die aktuell vor dem Sozialministerium demonstrieren. Was in der Praxis bedeutet, dass die Asylbewerber ihre Aktion abbrechen und nach Ostbayern reisen müssten. Es ist fraglich, ob sich die Flüchtlinge darauf einlassen.

Ohnehin ist Sozialministerin Emilia Müller (CSU) weiterhin nicht bereit, über den Standort Böbrach zu verhandeln. Eine Unterbringung ausschließlich in Ballungsräumen sei weder möglich noch entspreche sie den Vorstellungen der Staatsregierung von gleichwertigen Lebensverhältnissen in Stadt und Land, erklärte die Politikerin. Was wohl vor allem heißen soll: Es ist nicht prinzipiell unzumutbar, in Böbrach zu leben - die dortigen Bewohner tun das ja auch. Allenfalls Details könnten verbessert werden.

Bei der Stadt München, die die Versammlung vor dem Sozialministerium unter Auflagen genehmigt hat, will man vorerst abwarten und die Situation im Auge behalten. Die Versammlung ist offiziell unter Auflagen bis zum 31. Dezember genehmigt, allerdings darf sich vor dem Ministerium nicht wie vor Wochen am Rindermarkt eine Art Flüchtlingscamp verfestigen. Einen Krisenstab wie einst am Rindermarkt gibt es nicht, so lange keine kritische Situation eingetreten ist. Es gilt aber als wahrscheinlich, dass die Behörden auch diesmal eingreifen, wenn eine humanitäre Katastrophe droht. Am Rindermarkt schwebten Flüchtlinge, die allerdings neben Essen auch Getränke verweigerten, bereits in Lebensgefahr.

Die Flüchtlinge am Sozialministerium sind gut organisiert, nicht zuletzt durch Helfer der Flüchtlingsinitiative Karawane. Sie sind die ganze Zeit dort, sammeln Spenden und kaufen Wasser. Karawane stellt auch eine Dolmetscherin, die vom Französischen ins Deutsche übersetzt. Keiner der Flüchtlinge spricht englisch. Das macht sie in manchen Augen leicht beeinflussbar.

Das Sozialministerium hat bisher nicht auf die Forderungen der Flüchtlinge reagiert. (Foto: Robert Haas)

In dem zweiten offenen Brief wehren sich die Flüchtlinge jedoch gegen den Vorwurf, sie würden von den Aktivisten und dem bayerischen Flüchtlingsrat instrumentalisiert. "Denken Sie wirklich, wir könnten keine selbständigen und unabhängigen Entscheidungen treffen?", schreiben sie.

Max Buschmann, einer der Aktivisten betont auf Nachfrage, dass sie sich nur um das Organisatorische kümmerten. "Die bisher veröffentlichten Briefe sind von den Asylbewerbern selbst verfasst und lediglich von uns übersetzt und verteilt worden", sagt Buschmann. Die Flüchtlinge wüssten schon selbst, was sie wollen.

"Was wir wollen, ist doch nicht schwierig umzusetzen"

Nicht zurück nach Böbrach. So viel ist klar. Die Männer blättern in einem vier Jahre alten Artikel über das Asylbewerberheim. Auf einem großformatigem Foto in schwarz-weiß sieht man, warum es schon lange als "Dschungelcamp" umstritten ist. Überall Bäume. Das Heim liegt mitten im Wald. "Wir sind dort völlig isoliert, es gibt keinen Handyempfang und keinen Kontakt zu den Einwohnern", sagt einer der Senegalesen. Außerdem halten sie die Unterbringung in dem abgeschotteten Heim für nicht ungefährlich. Jeder Hund würde in Deutschland besser behandelt.

Dass das Sozialministerium bisher nicht auf ihre Forderungen reagiert, macht die Flüchtlinge wütend. "Was wir wollen, ist doch nicht schwierig umzusetzen." Bis 31. Dezember ist ihre Versammlung angemeldet. Aus Regen wird Schnee werden und die Decken werden dann kaum noch Schutz gegen die Kälte bieten. Sie hoffen, so lange nicht mehr ausharren zu müssen. "Wir glauben an die Vernunft der Menschen dort oben." Sie schauen zum Gebäude des Sozialministeriums, aus dem kleine Menschengruppen kommen. Sie sind auf dem Weg zum Mittagessen.

© SZ vom 08.11.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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