Flüchtlingsunterkunft in Pasing:"Das ist unmenschlich"

Flüchtlingsunterkunft in Pasing: Haben das Vertrauen verloren: die Geflüchteten der Gemeinschaftsunterkunft an der Landsberger Straße 412 in Pasing, die jetzt ausziehen sollen.

Haben das Vertrauen verloren: die Geflüchteten der Gemeinschaftsunterkunft an der Landsberger Straße 412 in Pasing, die jetzt ausziehen sollen.

(Foto: Mark Siaulys Pfeiffer)

Die Bewohner der maroden Gemeinschaftsunterkunft an der Landsberger Straße müssen ausziehen, schon bis Ende April. Nun fürchten viele Geflüchtete um das gerade erst gewonnene Gefühl der Sicherheit.

Von Ellen Draxel

Akil ist ein selbstbewusster Mann. Jemand, der sich was traut. Vor einigen Jahren wurde ihm dieser Mut zum Verhängnis: Weil er kommunizierte, was er dachte, musste er als politisch Verfolgter aus seiner ostafrikanischen Heimat fliehen. Deutschland wurde für ihn und seine Familie zum neuen Zuhause. Hier fühlte er sich sicher.

Doch diese Zuversicht hat jetzt einen Knacks bekommen. Mit seiner Frau und seinen Kindern wohnt Akil im achtstöckigen Altbau der Gemeinschaftsunterkunft an der Landsberger Straße in Pasing. Anfang März erhielten die Bewohner die Nachricht, dass sie "bis spätestens Ende April" ihre Zimmer verlassen müssen. Der Grund: eine Kernsanierung des Gebäudes. Seitdem plagt den Vater jeden Tag der Albtraum, "dass wir wieder in einen Container umziehen". Und dass sie womöglich anderswo komplett von vorne anfangen müssen, ohne Job, ohne Schulen und Kitas für die Kinder. Und ohne die gegenseitige Unterstützung im Haus.

Mit dieser Sorge vor der Zukunft ist Akil nicht allein, seine Nachbarn in der Unterkunft teilen sie. Salima, eine Irakerin, geflohen mit ihrer Familie aus Angst vor Blutrache, schläft seit dieser Information fast gar nicht mehr, sie hat kaum die Kraft, ihrem Beruf nachzugehen. Eine andere Bewohnerin aus Westafrika sagt, eine Nigerianerin weine nur, weil sie nicht wisse, wie es weitergehen solle. Das alles tue "sehr weh", sagt sie unter Tränen. "Die meisten Menschen hier", erklärt eine 21-Jährige aus Palästina, "sind traumatisiert vom Krieg und haben jetzt Angst, dass ihre Traumata wieder hochkommen, wenn sie in eine fremde Umgebung umziehen müssen". Alle haben das Bedürfnis, ihre Gefühle und Sorgen zu äußern, ihre Namen wollen sie aber für sich behalten, das Vertrauen ist zerstört. Auch Akil und Salima heißen in Wahrheit anders.

Dabei geht es den Bewohnern vor allem um das enge Zeitfenster. Denn dass das Gebäude marode ist, ist ihnen bewusst: In den vergangenen Jahren gab es wiederholt Probleme wegen Schimmel, Pasings Lokalpolitiker waren deshalb schon mehrmals zur Ortsbesichtigung angetreten. "Aber warum jetzt auf einmal diese Eile?" fragen sich Akil und die anderen rund 25 Familien, die noch dort leben. Wenige Wochen, um eine private Wohnung zu finden, die viele von ihnen, obgleich als Asylsuchende anerkannt, schon seit Jahren vergeblich suchen?

Die Bewohner bitten um Aufschub bis wenigstens zum Schuljahresende

Und dann noch mitten im Schuljahr. Die Kinder gehen in der Umgebung in die Schule oder machen eine Ausbildung, einige besuchen Förderstätten und heilpädagogische Einrichtungen. "Wenn wir im April verlegt werden, verlieren unsere Kinder ihre Plätze und können nicht mehr betreut werden", argumentieren die Menschen aus dem Irak, aus Syrien, Tschetschenien oder Afghanistan. "Oder aber wir müssen lange Wege in Kauf nehmen und bekommen Probleme mit unseren Arbeitsstellen."

Die meisten Erwachsenen sind berufstätig und wollen das auch unbedingt bleiben. Die "eindringliche" Bitte der Bewohner lautet daher: Die Regierung von Oberbayern möge ihnen doch wenigstens bis Ende Juli Zeit geben, um für die Kinder für das nächste Schuljahr Plätze in Schulen, Kindergärten und Fördereinrichtungen finden zu können. Eine Forderung, die der Bezirksausschuss einstimmig unterstützt. Die Bürgervertreter verlangen zudem, dass die neue Unterkunft in der Nähe sein sollte.

Flüchtlingsunterkunft in Pasing: Wichtiges Zentrum im Münchner Westen: die Gemeinschaftsunterkunft an der Landsberger Straße 412 in Pasing.

Wichtiges Zentrum im Münchner Westen: die Gemeinschaftsunterkunft an der Landsberger Straße 412 in Pasing.

(Foto: Mark Siaulys Pfeiffer)
Flüchtlingsunterkunft in Pasing: Nun müssen wieder Koffer und Umzugskisten gepackt werden.

Nun müssen wieder Koffer und Umzugskisten gepackt werden.

(Foto: Mark Siaulys Pfeiffer)
Flüchtlingsunterkunft in Pasing: Das Gebäude ist unter anderem mit Schimmel belastet.

Das Gebäude ist unter anderem mit Schimmel belastet.

(Foto: Mark Siaulys Pfeiffer)

Dabei war die Situation auch in den vergangenen Jahren an der Landsberger Straße nicht immer rosig. Vor allem die strengen Regeln, keinen Besuch empfangen und kaum etwas am Mobiliar verändern zu dürfen, machten den Bewohnern zu schaffen. Neue, vom Arzt verordnete orthopädische Matratzen etwa durften nicht in die Zimmer. "Da haben die Leute Schmerzen, und man verweigert ihnen das Recht, zu schlafen", schimpft Akil. Das sei "unmenschlich".

Graciela de Cammerer (SPD), im Stadtteilgremium speziell für Soziales zuständig, gebraucht dasselbe Wort, wenn sie von der aktuellen Situation spricht. "Wie da mit den Leuten umgegangen wird, das ist unmenschlich und eine Unverschämtheit", findet sie. Man könne doch Menschen, die zudem Schwierigkeiten mit der Sprache hätten, "nicht wie einen Ping-Pong-Ball hin und her schleudern". Es breche ihr das Herz, zu wissen, dass die Geflüchteten erneut mit Ängsten und Unsicherheiten konfrontiert werden sollen. Sowohl der Regierung von Oberbayern als auch dem Eigentümer der Immobilie sei der Sanierungsfall seit Langem bekannt.

"Da braucht man nicht von heute auf morgen solche Entscheidungen zu treffen." Die Kinderbeauftragte des Bezirksausschusses geht noch einen Schritt weiter in ihrer Kritik: "Der Eigentümer der Immobilie", sagt Evelyn Lang, "kassiert seit Jahren eine Menge Geld, und passiert ist nichts". Da könne es doch mal "ein probates Mittel" sein, die Miete zu kürzen. Lang hat sich zwei Jahre mit der Unterkunft beschäftigt, als es galt, einen dringend benötigten Spielplatz für die Kinder zu errichten. "Nur weil die Lokalpolitiker dran blieben, gab es schließlich einen."

Die Regierung von Oberbayern hält am engen Zeitplan fest

Bislang allerdings bleibt die Regierung von Oberbayern hart. Damit die Renovierungsarbeiten "rechtzeitig" beginnen könnten, schreibt die Behörde, sei es "erforderlich, dass alle Bewohner und Bewohnerinnen des Altbaus bis zum 30. April ausgezogen sind". Eine Verschiebung des Auszugsdatums sei "leider nicht möglich". Ebenso wenig wie ein Umzugsservice. Man werde aber "versuchen, bestehende schulische und soziale Bindungen bei den Umverteilungen zu berücksichtigen".

"Uns ist bewusst", erklärt Pressesprecher Wolfgang Rupp auf Anfrage, "dass ein Umzug immer mit Belastungen für die Betroffenen verbunden ist". Die Sanierung des Gebäudes sei jedoch erforderlich und werde "jetzt, nachdem die Vermieterin die erforderlichen Fachfirmen gewinnen konnte, umgehend angegangen". Nach Beendigung der Arbeiten soll der Bau wieder als Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete genutzt werden.

Graciela de Cammerer hat erfahren, dass zumindest dank des Engagements des städtischen Sozialreferats ein Teil der Bewohner womöglich in den daneben befindlichen Neubau umziehen kann und andere in der näheren Umgebung untergebracht werden sollen. Die Lokalpolitikerin will auf jeden Fall weiterkämpfen. Für die Menschen, die wie sie selbst einen Migrationshintergrund haben.

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