Flüchtlinge:Drehkreuz an der Hackerbrücke

ZOB-Angels. Sie kümmern sich um die Flüchtlinge, die dort stranden, warten, ankommen, weiterreisen wollen. Sie sprechen die Flüchtlinge an, verteilen Essen, Tee, warme Kleidung.

Kein warmer Schlafplatz: Viele Flüchtlinge müssen am Zentralen Omnibusbahnhof in der Kälte warten. Helfer verteilen Decken.

(Foto: Florian Peljak)
  • Der Zentrale Omnibusbahnhof (ZOB) in München ist ein kleines Drehkreuz für Flüchtlinge.
  • Von hier aus möchten sie mit den Bussen weiterreisen - meist zu Verwandten.
  • Helfer haben sich organisiert, um die Menschen mit Essen, Decken und Kindersitzen zu versorgen.

Von Inga Rahmsdorf

Oben in der hell erleuchteten Einkaufspassage kann man sich eine Weile warmstehen. Ausruhen geht nicht. Bänke gibt es keine, und auf dem Boden sitzen ist verboten. Das macht ein Piktogramm am Eingang unmissverständlich deutlich. Daneben weist ein Pfeil nach unten zum Wartebereich.

Unten, das ist der Zentrale Omnibusbahnhof (ZOB) München. Der Wartebereich, das ist ein offener Platz mit Bänken, auf denen Männer, Frauen und Kinder dicht an dicht sitzen und auf die Abfahrt der Busse warten, nach Pristina, Zürich oder Hamburg. Reisende mit Rollkoffern, Flüchtlinge mit Tüten und Taschen. Es ist 19 Uhr und es herrscht Hochbetrieb, ständig fahren Busse ein und aus. Ein Stimmgewirr aus Polnisch, Arabisch, Deutsch und Farsi ist zu hören.

An den Ticketschaltern oben haben sich lange Schlangen gebildet. Unten klettert ein Mädchen barfuß in einen Autokindersitz, der auf dem Fußboden steht, ihr Vater deckt sie zu. Es ist kalt. Eine syrische Familie zeigt an der Bustür ihre Tickets vor, doch der Fahrer schüttelt bedauernd den Kopf und zeigt auf die zwei Jungen. Flüchtlinge sind zwar gute Kunden geworden für die Busunternehmen. Aber ohne Kindersitz können sie nicht mitfahren. Da kann er nichts machen. Sicherheitsvorschriften.

Ein kleines Drehkreuz

Nur wenige hundert Meter entfernt ist der Hauptbahnhof zu sehen. Anfang September stand er im Fokus der Aufmerksamkeit, weil dort täglich Tausende Flüchtlinge ankamen. Dann wurde es ruhiger, Asylsuchende werden nun größtenteils an der österreichischen Grenze kontrolliert und von dort weiter verteilt.

Aber hier am Busbahnhof ist München immer noch eine Art Drehkreuz für Flüchtlinge, zumindest ein kleines. Von hier aus wollen sie nach Dortmund, Hamburg, Berlin oder weiter nach Skandinavien reisen, meist zu Verwandten, die dort leben.

Wenige Meter entfernt, im Dämmerlichlicht unter der Hackerbrücke stehen drei weiße Baucontainer, dort hängt ein Plakat: "Refugees Welcome". Davor stehen zwei Tische, auf den Bierbänken sitzen mehrere Männer und eine Familie mit Kindern. Zum Schutz gegen die Kälte haben sie die Kapuzen tief ins Gesicht gezogen und beugen sich über ihre heiße Suppen. Zahra Fayad zieht sich eine orangefarbene Warnweste an. Sie kommt fast täglich nach ihrer Arbeit in einer Touristikagentur hierher. Und sie war von Anfang an mit dabei, hat gemeinsam mit Sabrina Maier die Initiative "ZOB-Angels" gegründet, um Flüchtlingen zu helfen.

Hilfe zwischen S-Bahn und Brücke

Nebenan düsen die S-Bahnen vorbei, über den Köpfen rauschen die Autos über die Brücke. Gemeinsam mit anderen Freiwilligen haben sie diesen eigentlich unwirtlichen Ort zwischen Bauzaun und parkenden Autos zu einer Anlaufstelle gemacht. Hier versorgen sie manchmal mehrere hundert Flüchtlinge täglich mit Essen, Tee, Kaffee, Decken, Jacken, Kindersitzen und Informationen.

Als Fayad und Maier vor zwei Monaten sahen, wie Flüchtlinge hier abends auf Busse warteten, die oft erst am nächsten Morgen fuhren, mit Flip-Flops an den Füßen, Kinder im T-Shirt und hungrig, da begannen die beiden zunächst zu Hause zu kochen und das Essen hier zu verteilen.

Sie gründeten eine Gruppe auf Facebook, riefen zu Spenden auf, und verteilten Kleidung. Erst brachten sie die Decken und Jacken in Taschen mit, dann lieh ihnen jemand einen Anhänger, und nun haben sie vor einigen Tagen die Container erhalten, gespendet von Ärzte der Welt.

Wie sich Freiwillige organisieren

Die ZOB-Angels sind eines von vielen Hilfsprojekten für Flüchtlinge, die derzeit allerorts entstehen. Ausschließlich aufgebaut aus freiwilligem Engagement, ohne Finanzierung, ohne hierarchische Struktur. Einfach aus dem Impuls einiger Menschen heraus, die anpacken und helfen wollen. Innerhalb kurzer Zeit haben sie sich organisiert, vernetzt, strukturiert - und das Projekt läuft.

Die Helfer tragen sich im Internet für Schichten ein, täglich von 18 bis 0 Uhr. Es gibt ein Leitungsteam aus acht Frauen, die von Anfang an dabei waren. Eine von ihnen weist die neuen Helfer ein. Unter den Freiwilligen sind auch viele, die wie Fayad Arabisch sprechen, oder andere Sprachen, um zu dolmetschen.

Und sie haben sich mit Behörden und Organisationen vernetzt. Das Kreisverwaltungsreferat hat die Stellplatzgenehmigung erteilt, die Diakonie hilft mit Spenden, das Bayerische Rote Kreuz, Betreiber des ZOB, wolle einen Stromanschluss legen, sagt Maier. Und auch mit der Polizei gebe es eine sehr gute Zusammenarbeit.

Woher die Spenden kommen

Zweimal in der Woche helfen auch Mediziner von Ärzte der Welt am Busbahnhof. Seit es kälter geworden ist, seien fast alle Kinder erkältet, sagt Fayad. Das Essen bringt das Team der Vokü-München vorbei, ebenfalls eine Initiative. Die Helfer der letzten Schicht notieren, was im Kleiderlager fehlt und welche Lebensmittel für den nächsten Tag benötigt werden, schicken nachts dann die Liste an einen ZOB-Angel, der dafür sorgt, dass am nächsten Tag die fehlenden Sachen aufgefüllt werden.

Von den gläsernen Bürotürmen fällt etwas Licht herüber. Immer wieder laufen Leute in Anzug und mit Laptoptasche zwischen den Flüchtlingen und Helfern hindurch. Hier stoßen Welten aufeinander. Doch ganz so unvereinbar, wie sie vielleicht im ersten Augenblick scheinen, sind sie wohl nicht.

Vor einigen Tagen hat ein Mann auf dem Nachhauseweg die Helfer gefragt, was sie brauchen. Als sie sagten, warme Kleidung, hat er seine Jacke ausgezogen und sie ihnen gegeben. Die Hilfsbereitschaft sei beeindruckend, sagt Fayad. Jemand hat ein Lastenfahrrad gespendet, immer wieder kommen Menschen und bringen Lebensmittel. Eine Bäckerei schenkt täglich Brot, ein Restaurant aus der Passage jeden Tag 30 Pizzen.

"Oft schämen sich die Menschen"

Auf einer Bierbank sitzt ein syrischer Vater, seine dreijährige Tochter kuschelt sich eng an ihn, er hat ihr seine Jacke umgewickelt, immer wieder zieht er daran, damit die Kälte nicht hineinkriecht, und immer wieder hält er ihr den Suppenlöffel hin. Ob er nicht eine wärmere Jacke für das Kind möchte, fragt ein Helfer.

Nein, danke, sagt er und schüttelt freundlich lächelnd den Kopf und deutet auf seine Jacke. Er brauche nichts, vielen Dank. "Oft schämen sich die Menschen", sagt Zahra Fayad, "sie wollen nicht betteln und auf keinen Fall mehr annehmen als sie brauchen". Erst als einer der Helfer den Vater zum dritten Mal fragt und ihm einen Schlafsack für die Tochter hinhält, nimmt er ihn dankbar an.

Die für Samstag, den 7. November angesetze Spendensammlung ist bereits beendet.

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