Flüchtlinge:Mehr als 10 000 Flüchtlinge an einem Tag - München kommt an seine Grenzen

Lesezeit: 4 Min.

Oberbürgermeister Dieter Reiter am Münchner Hauptbahnhof - im Hintergrund ein Schaubild mit der Anzahl der Flüchtlinge, die in den vergangenen Tagen in der bayerischen Hauptstadt ankamen. (Foto: dpa)
  • Die Landeshauptstadt München und die Regierung von Oberbayern wissen nicht mehr, wo die Flüchtlinge untergebracht werden sollen - die Olympiahalle könnte zur provisorischen Schlafstätte werden.
  • Bis Samstagabend erreichten mehr als 10 000 Menschen den Münchner Hauptbahnhof. Bis Mitternacht sollte die Zahl auf bis zu 13 000 anwachsen.
  • Noch immer läuft die Verteilung in andere Bundesländer schleppend - Oberbürgermeister Reiter macht seinem Unmut Luft.

Von Thomas Anlauf, Nina Bovensiepen, Anna Günther und Sebastian Krass

Behörden schlagen Alarm

Am Abend, um kurz vor acht, sieht es aus, als wäre die Situation erreicht, die Oberbürgermeister Dieter Reiter unbedingt vermeiden wollte: dass München ankommenden Flüchtlingen für die Nacht kein Dach über dem Kopf anbieten kann. Wie viele davon betroffen sein werden, ist noch nicht absehbar.

Eigentlich hatten die Zahlen vom Freitag beruhigend gestimmt. 5800 Flüchtlinge erreichten den Münchner Hauptbahnhof und damit weitaus weniger als die Behörden erwartet hatten. Samstag um 22.30 Uhr sind aber bereits 10 000 Menschen am Münchner Hauptbahnhof angekommen. Christoph Hillenbrand, Präsident der Regierung von Oberbayern, hält es für "nicht ausgeschlossen", dass aus den "10 000 plus x", von denen mittags die Rede war, an diesem Tag noch 13 000 werden. "Wir haben eine Lücke von 1000 bis 5000 Plätzen", sagt Oberbürgermeister Reiter.

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Schlafende Flüchtlinge in der Bahnhofshalle, an denen Reisende mit ihren Koffern vorbeieilen - in München geht das. Und ist kein Zeichen für mangelnde Anteilnahme.

"Wenn es 13 000 werden, dann haben wir 4000 Leute, deren Fluchtweg hier vorläufig endet ohne ein Nacht- oder Notquartier", sagt Regierungspräsident Hillenbrand. Vor der überlasteten Notunterkunft in der Richelstraße, berichtet er, habe man "Bierbänke im Freien" aufgestellt. Allein in der Bahnhofsvorhalle liegen dann gegen Mitternacht etwa 50 bis 80 Personen, manche mit Isomatte und Schlafsack, andere nur mir einer Jacke zum Zudecken und ihrem Rucksack als Kopfkissen.

Olympiahalle als Option

Dabei betont Reiter: "Wir möchten ihnen wenigstens halbwegs den Eindruck geben, dass wir es ernst meinen mit dem 'Willkommen in Deutschland'." Es macht ihn sichtlich und hörbar fertig, dass er das nicht mehr sicherstellen kann. "Für alles, was ich tun kann, brauche ich die Hilfe von anderen." Aktuell suche man händeringend Flächen, auf denen man Großzelte aufstellen kann. "Aber die können wir ja nicht irgendwo aufbauen, dafür muss man ja vorher mit den Eigentümern sprechen, und das ist am Samstagabend nicht mehr so leicht." Vieles laufe über "persönliche Bindungen und Kontakte von bekannten Münchnern, die man gespeichert hat".

Aber noch kann Reiter nicht sagen, wo Zelte hinkommen könnten. Und er nennt eine weitere Möglichkeit: die Olympiahalle, die größte Veranstaltungshalle in der Stadt. Um 22.30 Uhr fiel zwar die Entscheidung, sie nicht bereits für Samstagabend als provisorische Unterkunft zu öffnen. Doch die Option sollte am Sonntag nochmal geprüft werden. Die freiwilligen Helfer wollen dort schon einmal Leute hinschicken, damit die Halle schnell vorbereitet werden kann, wenn der Beschluss doch noch fällt.

Reiter wird deutlich gegen Bund und übrige Bundesländer

Seit Tagen bittet Reiter inständig um die Unterstützung anderer Bundesländer. 10 000 Asylsuchende lebten schon dauerhaft in der Stadt, seit dem 31. August seien 60 000 weitere Flüchtlinge am Hauptbahnhof angekommen. "Das überfordert selbst München", sagt Reiter. "Für strukturiert denkende Menschen wie Regierungspräsident Hillenbrand und mich ist es sehr schwer zu ertragen, dass es mit zehn Tagen Anlauf zu so einer Situation gekommen ist."

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Das Wochenende am Münchner Hauptbahnhof beginnt ruhiger als erwartet: 7400 Flüchtlinge sind seit Freitag angekommen. Dennoch ist Nervosität zu spüren, die Busse für die Weiterfahrt werden knapp.

Von Kassian Stroh

Seine Stimme bebt fast vor Zorn. "Ich höre aus Berlin, dass es Gespräche über einen Verteilungsschlüssel gebe. Aber wir reden hier nicht von Tagen oder Wochen, sondern das muss sofort passieren. Es muss ein Ende haben mit dem Nachdenken." Das einzige Bundesland, das signifikant zur Entlastung Münchens beitrage, sei Nordrhein-Westfalen, betont er wieder einmal. "Jeder Ministerpräsident und jeder Bürgermeister" müssten einsehen, dass "es hier um eine nationale Aufgabe geht".

Auch Claudia Roth machte sich am Samstag ein Bild von der Lage am Hauptbahnhof. Die Bundestagsvizepräsidentin erklärte, nun müsse es endlich "vom Bund klare Signale geben. Es braucht strukturelle und kontinuierliche Hilfe." Die Grünen-Politikerin ringt sichtlich mit der Fassung beim Anblick der zahlreichen Flüchtlinge im Bahnhof. "Man muss hier jetzt helfen, und es müssen wirklich alle ran", sagt Roth und spielte auf die zögerliche Haltung einiger Bundesländer an, mehr Flüchtlinge aufzunehmen. "Es braucht jetzt auch endlich eine weitere Drehscheibe neben München."

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Kurz vor dem Auftritt von Reiter und Hillenbrand lässt sich Ludwig Spaenle, Chef der Münchner CSU und bayerischer Kultusminister, im Hauptbahnhof blicken. Spaenle untermauert die Kritik, die seine Kabinettskollegen, Ministerpräsident Horst Seehofer und Finanzminister Markus Söder, bereits an Kanzlerin Angela Merkel geäußert haben, weil sie die Grenze für Flüchtlinge geöffnet hat: "Die Entscheidung ist vielleicht humanitär verständlich, aber politisch falsch", sagt Spaenle. "Von Berlin aus mag es hinnehmbar sein, dass die Schengen-Außengrenze jetzt in der Schalterhalle des Starnberger Flügelbahnhofs ist. Von München aus gesehen ist es nicht hinnehmbar."

Wegen der kritischen Lage bittet der Kreis von ehrenamtlichen Helfern die Bürger noch am Samstagabend um 800 Isomatten und Schlafsäcke. "Wir sammeln am blauen Infobus vor der Luisenstraße 4", sagt eine Sprecherin. "Und wir bitten, die Spenden nur dort abzugeben. Wir verteilen sie dann weiter."

Knapp eine Stunde nach dem Spendenaufruf türmen sich schon Dutzende, wahrscheinlich Hunderte Isomatten und Schlafsäcke an der Sammelstelle. Helfer in neongelben und orangefarbenen Westen dirigieren die Spender zu den Sammelplätzen. Schwieriger ist das Verstauen der Decken, die erst in Müllsäcke gesteckt werden müssen - zum Schutz gegen etwaigen Regen.

Man sei derzeit dabei, zwei zusätzliche Standorte als Notunterkunft aufzubauen und 120 zusätzliche Helfer zu organisieren. Der Kraftakt der Ehrenamtlichen ist gewaltig. Wer sich als Helfer anmelden möchte, kann das unter www.fluechtlingshilfemuenchen.de tun.

Notquartiere in Aschheim

Knapp 5000 Schlafplätze haben Stadt und Regierung bereits geschaffen: 2500 davon in Dornach, einem Ortsteil von Aschheim im Landkreis München, 2200 in der Messe und 700 in der Karlstraße. Zwar versuchten die Behörden, weitere Notquartiere zu besorgen und schließen auch große Zelte nicht mehr aus. Auf die Frage, wo genau diese Unterkünfte herkommen sollen, antwortete Hillenbrand: "Unterschätzen Sie die Fantasie eines Regierungsbeamten nicht." Doch wirklich lösen könnten nur die anderen Bundesländer das Problem.

Bisher gab es lediglich die Zusage Nordrhein-Westfalens, 1500 Flüchtlinge aufzunehmen, die in zwei Sonderzügen gebracht werden sollen. Ein erster Zug verließ den Münchner Hauptbahnhof um 15.40 Uhr in Richtung Düsseldorf. Eventuell könnten in der Nacht zum Sonntag 200 bis 300 Asylsuchende nach Norddeutschland fahren. Eine wirkliche Entlastung bringe das aber nicht.

Bahn erwägt Zugverkehr einzustellen

Die Deutsche Bahn AG und Meridian machen sich langsam Sorgen um die Sicherheit ihrer Züge. An diesem Wochenende reisten viele Bayern zurück aus den Ferien nach Hause, die Züge im Grenzverkehr zwischen Österreich und Deutschland seien zu voll. Es könne daher nicht mehr ausgeschlossen werden, dass einzelne Verbindungen aus Sicherheitsgründen ausfallen müssten.

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