Moses M. hat sich sein Leben lang versteckt. Bis vor drei Jahren. Als er nach Deutschland kam, hat er zum ersten Mal erlebt, wie es ist, einfach er selbst sein zu können. Ohne Angst zu haben, dafür eingesperrt zu werden. Er hat erfahren, wie es ist, offen darüber zu sprechen, dass er schwul ist. Ohne dafür diskriminiert und verprügelt zu werden.
In seinem Heimatland Uganda gilt Homosexualität als Straftat. Schwule und lesbische Menschen werden dort verfolgt, verprügelt und inhaftiert. Moses M. machte sich strafbar, nur weil er liebte, wen er liebte. Seine Familie, Freunde und Nachbarn machten sich strafbar, wenn sie wussten, dass er schwul ist, ihn aber nicht anzeigten. Als er einmal mit seinem Freund zusammen war, kam ein Mob, es waren Nachbarn und Bekannte. "Sie haben die Tür eingetreten, haben uns geschlagen. Mein Freund konnte fliehen, aber mir haben sie das rechte Bein gebrochen. Ich konnte nicht wegrennen." Dann schweigt er.
Wenn Moses M. von seinem Leben in Uganda erzählt, spricht er leise. Als taste er sich vorsichtig Wort für Wort durch seine Erinnerungen. Und als hätte er die Angst immer noch nicht ganz hinter sich lassen können. Auch wenn er nun in Sicherheit ist. Er sitzt im Café des Sub, dem schwulen Kulturzentrum in München in der Müllerstraße. Hier hat Moses M. Unterstützung gefunden, hier hat er zum ersten Mal erlebt, dass er so angenommen wurde, wie er ist, und dass ihm geholfen wird.
Neben ihm sitzt sein Mentor Stephan Pflaum. Er arbeitet ehrenamtlich in einer Gruppe, die sich Refugees@Sub nennt. Pflaum und weitere 30 Männer betreuen derzeit etwa 100 schwule Geflüchtete. Sie begleiten sie zu den Anhörungen beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf), bieten ihnen Deutschkurse an, unterstützen sie bei der Suche nach Praktikums- und Arbeitsplätzen, helfen ihnen bei der Wohnungssuche und dabei, sich in München zu vernetzen und anzukommen. Gemeinsam mit anderen Gruppen, die beispielsweise auch lesbische Flüchtlinge unterstützen, haben sie sich zu den "Rainbow Refugees" zusammengeschlossen. Beim Christopher Street Day in München Anfang Juli sind sie auch mitgelaufen, um auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen.
"Mein Mentor hat mir sehr viel geholfen"
Gegründet hat sich die Gruppe Refugees@Sub, als 2015 Tausende geflüchtete Menschen im Münchner Hauptbahnhof ankamen. Seitdem hat sie mehr als 200 schwule Männer unterstützt. Viele von ihnen engagieren sich heute selbst im Sub und helfen den neuen Ankommenden. Jeden ersten Samstag im Monat organisieren sie ein Refugees-Café im Sub, ein offenes Treffen, zu dem Mentoren, Geflüchtete und andere Interessierte eingeladen sind. Für ihr Engagement haben die Stadt München, der Verein Lichterkette und der Migrationsbeirat die Refugees@Sub mit dem Münchner Lichtblicke-Preis 2017 ausgezeichnet.
"Mein Mentor hat mir sehr viel geholfen", sagt Moses M.. Sein Asylantrag wurde zunächst abgelehnt, er war allein zur Anhörung beim Bundesamt gegangen. Die Mitarbeiter vom Bamf glaubten ihm nicht, dass er schwul ist. Als Moses M. sich dann an die Gruppe im Sub wandte, beantragte sein Mentor Stephan Pflaum eine Überprüfung der Entscheidung. Mit dem Ergebnis, dass das Bundesamt doch anerkannte, dass Moses M. in seiner Heimat verfolgt worden war, weil er schwul ist. Er bekam ein Aufenthaltsrecht.
Pflaum hat schon viele schwule Männer zum Bundesamt begleitet. Und er hat dabei oft erlebt, dass Sprache zum großen Hindernis wird, auch wenn Übersetzer dabei sind. Häufig kommen sie aus demselben Kulturkreis wie die Geflüchteten. Sie mögen zwar beide Sprachen beherrschen, aber wie soll jemand über etwas sprechen, das in seinem Land als unaussprechlich gilt? Für das er selbst keine Wörter hat, weil er noch nie darüber gesprochen hat. Weil es mit Scham und Tabus besetzt ist. Die Geflüchteten müssen in der Anhörung sehr detailliert persönliche und intime Erlebnisse erzählen. Wie war genau die Situation damals, als sie ihren ersten Freund geküsst haben, als sie mit ihm zum ersten Mal Sex hatten?