Süddeutsche Zeitung

Food-Blogger:Kochen für die Integration

Imraan Safi floh aus Kabul und kochte schon in Asylheimen für andere Geflüchtete. Jetzt betreibt er einen Blog, um kulinarische Tipps zu geben - und die Eigenartigkeiten der deutschen Küche zu erklären.

Von Anna-Elena Knerich

Mit flinken Bewegungen zerkleinert Imraan Safi, 20, die Knoblauchzehen. Neben dem Schneidebrett hat er schon die restlichen Zutaten vorbereitet: Tomaten, eine Packung Spaghetti, frisches Basilikum und Lachs. "Heute koche ich nur was Schnelles, weil ich nachher noch zur Arbeit muss", sagt er, während er Nudelwasser aufsetzt. Und italienische Pasta lässt sich sehr schnell zubereiten, verglichen etwa mit Imraans Lieblingsspeise "Qabuli", einem afghanischen Reisgericht mit Lammfleisch und Rosinen. "Das zu kochen ist echt aufwendig und würde mindestens eine Stunde dauern", sagt Imraan.

Der junge Afghane mit den markanten Augenbrauen und dem Grübchen im Kinn kennt das Rezept für "Qabuli" genau - wie so viele andere Rezepte, die man auf seinem Blog "Zusammenkochen" finden kann. Doch es ist viel mehr als nur ein Food-Blog: Neben afghanischen, deutschen, italienischen oder bayerischen Rezepten schreibt Imraan auch über Kultur und Brauchtum - etwa über Ramadan und das Zuckerfest danach, oder was es mit dem Osterei auf sich hat. Auf einer Glossar-Seite erklärt er zudem Begriffe wie "Mindesthaltbarkeitsdatum oder Schneebesen" - Begriffe, die man nicht unbedingt kennt, wenn man nicht in Deutschland aufgewachsen ist.

"Mit dem Blog will ich es anderen Flüchtlingen leichter machen, indem ich ihnen Tipps gebe, was und wie sie hier kochen können", sagt Imraan, der vor dreieinhalb Jahren aus Afghanistan geflohen ist. Heute spricht er Deutsch fast ohne Akzent. Von seiner Flucht erzählt Imraan nicht viel: "Das ist eine lange Geschichte. Ich war sieben Monate unterwegs, vier davon in der Türkei, einen Monat in Bulgarien, und . . . na ja, Balkan-Route halt."

Trotz seiner zurückhaltenden Art ist Imraan doch sehr offen: Natürlich sei die Flucht, so ganz allein, nicht einfach gewesen, aber er habe überall auch viele Menschen kennen gelernt. In der Türkei hat er in einer Firma gearbeitet, wo es immer nur Käse und Brot zu Mittag gab: "Darauf hatten manche keine Lust mehr, dann haben wir am Abend afghanisch gekocht. Wir haben zusammen gegessen und gequatscht. Das war schön."

Das Kochen lernte Imraan von seiner Mutter, was in Afghanistan sehr unüblich ist: In dem zentralasiatischen Land kochen Männer in der Regel gar nicht, auch sein eigener Vater nicht. Doch mit 13 zog Imraan alleine in die afghanische Hauptstadt Kabul, wo er in einem Hotel arbeitete und nebenher zu einer Schule mit Wirtschaftsschwerpunkt ging. Seine Eltern und seine vier Geschwister blieben in Dschalalabad. Imraan konnte sie nur alle paar Monate besuchen - darum musste er bereits als Teenager das Essen für sich selbst zubereiten.

Kochen ist in seiner Heimat Frauensache

"Ich habe damals schon leidenschaftlich gekocht und Freunde zum Essen eingeladen. Ich bin froh, dass ich das hier auch machen kann", sagt Imraan und gibt vorsichtig den Lachs in die Pfanne. Während seiner Flucht habe er noch kein genaues Ziel gehabt, erzählt er weiter, erst in der Türkei habe er alle möglichen Optionen eruiert. In Ungarn sei er dann einfach in einen Zug eingestiegen und - an Silvester 2014/15 - in München angekommen.

Zuerst war er in der Bayernkaserne untergebracht, dann in einem Waisenhaus, später in einer Einrichtung im Hasenbergl. "Da habe ich zum ersten Mal wieder gekocht: Goshte Morgh, einen afghanischen Hähnchentopf", sagt Imraan. In der Einrichtung stellte er fest, dass die anderen Jungen alle nicht kochen konnten - weil das in den meisten ihrer Heimatländer Aufgabe der Frauen ist. Weil Imraans Kochkünste bei allen gut ankamen, wurde auch die Einrichtungsleiterin und Sozialpädagogin Brigitte Schnock auf den Hobbykoch aufmerksam. "Ich habe sie zum Essen eingeladen, und dann kamen wir gemeinsam auf die Idee mit dem Blog", erzählt Imraan.

Das war vor zwei Jahren. Bis sie Anfang dieses Jahres den Blog online stellten, feilten sie am Konzept - von der Domain, zu den geschmackvollen Fotos, dem schönen Layout, bis zum Slogan und den verschiedenen Rubriken. Imraan hatte mit 13 bereits einen persönlichen Blog geführt, und auch für das Hotel in Kabul eine Homepage erstellt - er kennt sich damit also aus: "Das Bloggen ist wie das Kochen und Fotografieren ein Hobby von mir, es macht mir einfach Spaß." Jeden Samstag wählen er und Brigitte Schnock ein Gericht aus, für das Imraan dann ein Rezept und eine persönliche Anekdote schreibt. Sein neuester Blogeintrag heißt "Für das Baby nur das Beste" und enthält eine Anleitung, wie man zuckerfreien Babybrei selbst machen kann.

Imraan mag die bayerische Küche

Imraan gießt die Nudeln ab und deckt den Tisch, während sich schon der Knoblauchduft in seinem Ein-Zimmer-Apartment ausbreitet. An der Wand formen große Holzbuchstaben das Wort "Peace", die wenigen Möbel passen zusammen und alles ist ordentlich aufgeräumt. Lange habe er eine Wohnung gesucht, sagt Imraan, dank seines Jobs bei der Caritas kann er die Miete auch finanzieren. Hauptsächlich macht Imraan aber eine Ausbildung zum Fremdsprachenkorrespondenten: Außer Deutsch spricht der 20-Jährige noch Dari, Paschtu, Englisch und Französisch.

Ob er überlegt hat, Koch zu lernen? "Ja schon, aber das ist, glaube ich, ein extrem stressiger Beruf", sagt Imraan. Bald ist er mit seiner Ausbildung fertig, dann kann er dolmetschen und übersetzen. Er will auf jeden Fall in Deutschland bleiben, aber sobald es möglich ist, endlich seine Familie in Afghanistan besuchen. In München fühlt sich Imraan wohl, auch wenn er hier schon ab und an Diskriminierung erlebe. "Aber ich wollte nicht aufgeben, und werde auch nie aufgeben", sagt er mit fester Stimme.

Imraan Safi ist ein Musterbeispiel gelungener Integration - das zeigt sich sogar beim Geschmack: "Ich mag auch die bayerische Küche, am liebsten Kartoffelsalat oder Knödel." Jetzt gibt es erst einmal die Spaghetti, die schon auf den Tellern dampfen. Imraan legt noch Servietten daneben und wünscht: "An Guadn!"

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Quelle:
SZ vom 16.07.2018/vewo
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