Bayernkaserne:Wo Schwangeren nach der Flucht geholfen wird

Bayernkaserne: Der Fluchtpunkt für Mamas und ihre Kinder: Margit Merkle (r.) in ihrem Büro in der Bayernkaserne.

Der Fluchtpunkt für Mamas und ihre Kinder: Margit Merkle (r.) in ihrem Büro in der Bayernkaserne.

(Foto: Robert Haas)

Traumatisiert, hochschwanger, auf sich allein gestellt: So kommen viele Frauen in der Münchner Bayernkaserne nach ihrer Flucht an. Dann treffen sie auf Margit Merkle.

Von Inga Rahmsdorf

Das Baby kann jederzeit kommen. Doch Amina Kamal hat noch nichts zum Anziehen für ihr Kind. "Junge oder Mädchen?", fragt Margit Merkle. Die schwangere Frau blickt erstaunt auf, lächelt etwas verlegen und legt dabei eine Hand auf ihren dicken Bauch. Woher soll sie das wissen? Sie ist bisher von keinem Arzt untersucht worden, noch nicht einmal von einer Hebamme.

Babykleidung in blau oder rosa ist also schwierig. Doch Merkle hat auch für diese Fälle eine Lösung. Sie zieht einen etwas ausgeblichenen Rollkoffer aus einem Regal mit gelben und grünen Stramplern, Mützen und Decken. Dann rät sie Kamal noch, in die Sprechstunde der Ärzte in der Bayernkaserne zu gehen.

Schwanger aus Afghanistan geflohen

Amina Kamal ist im neunten Monat schwanger. Ein Zeitpunkt, an dem die meisten Frauen in Deutschland bereits mehrmals mit einem Ultraschallgerät durchleuchtet worden sind, sich in einer Geburtsklinik angemeldet und eine Hebamme für die Nachsorge gesucht haben. Amina Kamal nicht. Sie ist geflohen aus Afghanistan, war wochenlang unterwegs, ist vor wenigen Tagen in der Erstaufnahmeeinrichtung der Bayernkaserne angekommen.

Schwangerschaftsvorsorge und Babyausstattung, um so etwas kann man sich auf der Flucht nicht kümmern. Amina Kamal war froh, als ihr jemand in der Bayernkaserne einen Zettel in die Hand drückte, auf dem stand: Sprechstunde für Schwangere und Mütter, Montag, 10 Uhr, Haus 45, Zimmer 36.

Die Sprechstunde ist in München einzigartig

Das Haus Nummer 45 unterscheidet sich von außen nicht von den anderen Gebäuden auf dem ehemaligen Kasernengelände. Aber im Erdgeschoss befindet sich das Zimmer 36, das nicht nur für Amina Kamal eine wichtige Anlaufstelle ist, sondern in dem auch eine außergewöhnliche, in Münchens Flüchtlingsunterkünften einzigartige Sprechstunde angeboten wird. Sie bietet Schwangeren und jungen Müttern Unterstützung und Beratung an.

In Zimmer 36 kommen Frauen mit Fragen und Sorgen, wie alle Schwangeren sie haben. Hier tauchen aber auch viele Probleme auf, die speziell Flüchtlinge mitbringen.

Frauen, die auf der Flucht vergewaltigt worden sind. Deren Frühgeborene noch in der Klinik sind, die ihre abgepumpte Milch nicht füttern können, weil sie keine Möglichkeit haben, die Sauger abzukochen. In die Sprechstunde kommen Mütter, die alleine mit zwei Kindern geflohen sind, und nicht wissen, wohin mit ihnen, wenn sie selbst zur Geburt des dritten Kindes in die Klinik müssen.

"Es gibt in den Waschräumen ja noch nicht einmal Seife"

Auf dem Flur sitzen Frauen aus Afghanistan, Syrien, Somalia, Eritrea und dem Irak. Babys schreien, Kinder toben herum. In Zimmer 36 sitzt Margit Merkle hinter einem Schreibtisch, strahlt Ruhe, Optimismus und unbegrenzten Pragmatismus aus. Der kleine Raum ist bis unter die Decke gefüllt mit Babynahrung, Vitamintabletten, Feuchttüchern, Windeln, Milchpumpen und Decken. Alles Spenden.

Merkle bietet hier einmal in der Woche eine Sprechstunde an. Die 45-Jährige hat sich jahrelang ehrenamtlich für die Schwangeren und jungen Mütter in der Bayernkaserne eingesetzt, die von der Regierung von Oberbayern betrieben wird. Sie hat dafür gekämpft, dass Frauen Windeln für ihre Kinder erhalten, dass eine Hebamme regelmäßig auf das Gelände kommt. Und sie kämpft immer noch dafür, dass die hygienischen Bedingungen für Mütter mit Neugeborenen verbessert werden.

Die Frauen haben in vielen Notunterkünften noch nicht einmal Zugang zu einer Teeküche, in der sie die Fläschchen warm machen oder auskochen können. "Es gibt keine Standards in den Unterkünften. Es gibt in den Waschräumen ja noch nicht einmal Seife", sagt sie.

Viele schwierige, schöne und kuriose Augenblicke

Wer hat schon bei der Versorgung von Flüchtlingen die speziellen Bedürfnisse von Schwangeren und jungen Müttern im Blick? Offenbar niemand, wenn nicht Menschen wie Margit Merkle immer wieder auf die Missstände aufmerksam machen würde. Sie hat für die Beratung am Montag seit einem Jahr eine Teilzeitstelle bei der Inneren Mission München, finanziert vom Sozialreferat der Stadt. Doch der Vertrag läuft am 31. Dezember aus. Die Innere Mission hat einen Antrag auf Verlängerung gestellt. Die Stadt hat zwar ein positives Signal gegeben, doch noch ist nicht entschieden, ob es weitergeht.

Dabei gibt es offenbar einen großen Bedarf. Es herrscht den ganzen Vormittag über Hochbetrieb in der Sprechstunde. Es kommen sogar Frauen aus anderen Unterkünften Münchens. "Wir betreuen seit mindestens zwei Jahren laufend etwa 100 Frauen", sagt Merkle. Unterstützt wird sie dabei von drei Freiwilligen, die auch Sprechstunden anbieten, und einer weiteren Helferin, die unermüdlich Babykleidung sortiert und die Erstlingspakete packt.

Etwa 20 bis 30 solcher Pakete mit Erstausstattungen verteilen sie im Monat. "Alleine wäre ich aufgeschmissen", sagt Merkle. Sie sucht noch dringend Helferinnen, die sich in der Kleiderkammer um die Schwangeren kümmern könnten (info@fluechtlingshilfe-muenchen.de).

Eine junge Mutter wohnt mit sechs Frauen in einem Zimmer

Eine junge Frau aus Kamerun kommt herein, im Arm ein kleines Baby, das in eine Decke gewickelt ist. Margit Merkle begrüßt die Frau herzlich, sie kennen sich, die junge Mutter war schon vor der Geburt in der Sprechstunde. Vor vier Tagen ist das Mädchen geboren, zwei Tage nach der Geburt ist die Mutter aus der Klinik entlassen worden.

Es sei bereits mehrmals vorgekommen, dass Frauen nach der Entbindung verloren vor der Klinik herumstanden, nicht wussten, wie sie mit dem Baby in die Unterkunft kommen. Ohne Kinderwagen, ohne Babyschale, manchmal ohne Adresse. Mittlerweile klappt es besser. Auch die Krankenhäuser mussten sich erst darauf einstellen, dass nun regelmäßig Frauen kommen, die keinen Infoabend besucht haben, die kein Deutsch sprechen und die keine Verwandten in München haben, die sich nach der Geburt um sie kümmern können.

Die junge Mutter aus Kamerun wohnt wieder in der Bayernkaserne, zusammen mit sechs anderen Frauen in einem Zimmer. Mit dem Stillen klappt es nicht recht, sie hat Schmerzen in der Brust. Merkle gibt ihr Tipps, eine Packung Stilltee und rät ihr, in die Sprechstunde der Hebamme zu gehen, die zweimal in der Woche in die Bayernkaserne kommt. Die Mutter wickelt das Kind wieder in die Decke, steht auf und als sie schon in der Tür steht, dreht sie sich noch einmal um und schaut ihre Helferin dankbar an: "God bless you."

Eine Frau wollte ihr Kind "König Ludwig" nennen

Margit Merkle erlebt viele schwierige Augenblicke, aber auch viele schöne und kuriose. So wie die Frau, die so begeistert von Deutschland war, dass sie ihr Neugeborenes "König Ludwig" nennen wollte, als Nachname schwebte ihr "Kaiser" vor. "Sie war sehr enttäuscht, als wir ihr erklären mussten, dass das deutsche Namensrecht das nicht hergibt", erinnert sie sich.

Eine Mutter mit ihrer schwangeren Tochter kommt herein, sie sind aus dem Irak geflohen. Merkle hört zu, beruhigt, verweist die Frauen an zuständige Stellen. Sie stellt Berechtigungsscheine aus, mit denen die Schwangeren Umstandskleider in der Kleiderkammer erhalten.

Und sie muss immer wieder improvisieren. Anfang des Jahres kam eine Eritreerin, die eine Frühgeburt in der 23. Woche hatte. Lange war unklar, ob das Baby überleben würde. Margit Merkle unterstützte die Frau wochenlang, während das Neugeborene noch in der Klinik lag. Besonders schwierig war, immer wieder eine Betreuung für das Geschwisterkind zu organisieren, damit die Mutter in die Klinik fahren konnte.

Nach einiger Zeit wurde die Eritreerin in eine andere Unterkunft verlegt, die Helferin hörte nichts mehr von ihr. Bis sie ein halbes Jahre später in der Sprechstunde stand. Um Merkle stolz ihr Baby zu zeigen und sie zur Taufe einzuladen.

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