Halbierte Radieschen am Strunk als Gruß aus der Küche vorzusetzen, ist mutig. Dazu Kräuteröl zum Tunken, Salz, Pfeffer, Brot, fertig. Das müssen schon Wahnsinnsradieserl sein, denkt man sich, beißt hinein und stellt fest: ganz normale Radieschen. Man versteht aber, was die Küche des Florio gleich zu Beginn der Mahlzeit damit sagen will: Bei uns ist das Produkt der Star auf dem Teller; auch wenn wir damit nichts anderes anstellen, als es aus der Erde zu ziehen, abzuwaschen und zu halbieren, wird es schmecken.
Man wähnt sich auch gleich beim Italiener, wenn unaufgefordert Brot, Essig, Öl, Salz und Pfeffer auf den Tisch kommen. Pizza wird man hier aber nicht auf der Karte finden. Beim Florio handelt es sich mehr um einen Edelitaliener. Vergangenen Herbst hat es das vorherige Hotelrestaurant Sophia’s im Luxushotel The Charles am Alten Botanischen Garten abgelöst.
Innerhalb der Rocco-Forte-Hotelgruppe ist es das dritte Florio nach Palermo und Rom. Nur Standorte mit Terrasse kommen für dieses Konzept infrage. Die Terrasse des Münchner Florio wurde – wie auch das Restaurant und die angrenzende Bar – im Zuge des Wechsels umgebaut. Drinnen wie draußen dominieren nun Pflanzen und Grüntöne das Bild.
Sechs stattliche Olivenbäume in Terrakotta-Töpfen ragen fast bis unter die mehrere Meter hohe Decke des Gastraums; die pastellgrünen Wände sind übersät mit gerahmten Bildern von Gräsern und Früchten; und jeder Tisch ist mit Blumen geschmückt und einer weißen Stoffdecke eingedeckt. Katzentische gibt es keine. Selbst, wenn man nur zu zweit kommt, wird man an großen Rundtischen mit Polsterbank platziert.
Der Service ist aufmerksam und kundig beim Empfehlen von Weinen. Wir starten mit dem Schaumwein „Costaripa Rosé Brut“ vom Gardasee (19 Euro), da kommen auch schon die Radieschen. Der Italiener Fulvio Pierangelini ist als oberster Küchendirektor für alle Florio-Standorte der kreative Kopf hinter der Speisekarte. In München wird sie von Küchenchef Alberto Brandolin umgesetzt.

Die Karte ist klassisch italienisch aufgebaut: Antipasti, Primi, Secondi und Dolci. Beim einfachen Viertelitaliener würde man ob der Portionsgrößen niemals ein Gericht pro Kategorie bestellen. Auch im Florio müsste man zwar sehr großen Hunger mitbringen, um vier Teller zu bezwingen, aber machbar wäre es – für den Magen zumindest. Der Geldbeutel ist hier wieder eine andere Geschichte.
Zur Vorspeise wählen wir das Tataki vom Thunfisch in Tonnata-Soße (32 Euro) sowie die Jakobsmuscheln mit Brokkoli, Amalfi-Zitrone und schwarzem Trüffel (39 Euro). Der Thunfisch ist von hervorragender Qualität und wurde nur außen scharf angebraten, sodass er innen roh und zart schmelzend geblieben ist. Dazu sorgt eine klassische Tonnata-Soße, wie man sie vom Vitello Tonnato kennt, für eine cremige Textur – ein rundum fantastischer Teller.

Auch die Jakobsmuscheln sind gelungen, auch wenn sie mangels Salz und Pfeffer ein wenig an die Radieschen vom Anfang erinnern. Die Muscheln selbst sind schön goldbraun gebraten, der Brokkoli knackig, der Trüffel frisch und großzügig über den Teller gehobelt und selbst die Amalfi-Zitrone schmeckt man heraus. Doch die Zutaten stehen mehr für sich, statt als Komponenten ein und desselben Gerichts zusammenzuspielen.
Die Primi-Karte, die überwiegend aus Pastagerichten besteht, überspringen wir, um Platz für den Hauptgang zu lassen. An dem gibt es nichts zu beanstanden. Das Jungbullenfilet in Pfeffersoße (59 Euro) ist perfekt gegart und sagenhaft zart. Seine Pfeffersoße schmeckt kräftig und kommt ohne Rahm aus. Dazu werden hausgemachte Pommes frites gereicht, die so dünn geschnitten wurden, dass man sie auf den ersten Blick mit Röstzwiebeln verwechseln könnte.
Die Kalbsbacken mit getrüffelter Kartoffelcreme und frischem Spinat (38 Euro) erinnern optisch an eine übergroße Trockenpflaume, so lange wurden sie in Nero d’Avola geschmort. Trocken sind sie aber nicht. Sie zerfallen wie von selbst und haben doch Biss. Die Rotweinsoße könnte konzentrierter nicht sein und geliert fast auf dem Teller. Püree und Spinat sind bis auf den Trüffel wieder kaum gewürzt, was aber gut zum intensiven Geschmack des Fleisches passt.
Etwas zu intensiv schmeckt das Dressing der Romana-Herzen (12 Euro). In der Karte sind sie als Beilage aufgeführt, fühlen sich aber wegen ihrer schweren Parmesan-Soße eher an wie ein Käsegang als ein Beilagensalat. Dafür passt der „Rosso di Montalcino“ (15 Euro) vom toskanischen Weingut „Casanova di Neri“, den der Sommelier als Aktionswein zum Hauptgang empfohlen hat, auch gut zum kräftigen Käse-Geschmack.

Beim Dessert bleibt die Küche ihrer Linie treu und verzichtet auf viele Zusätze. Sowohl der Himbeerkern als auch die Maracujasoße vom Schokoladenkuchen (18 Euro) schmecken ungesüßt und schon fast sauer; im selbstgemachten Tiramisu (16 Euro) ist außerdem weder Koffein noch Alkohol enthalten. „Wir haben viele Gäste aus arabischen Ländern“, erklärt der Kellner, „so kann das jeder essen.“ Dafür fällt die Mascarpone-Creme recht mächtig aus und schmeckt sahnig-süß.
Wer auf diese Desserts verzichtet, verpasst wenig und muss das Restaurant trotzdem nicht ohne süßen Abschluss verlassen. Zum Kaffee werden noch verschiedene Sorten Bruchschokolade sowie Cantuccini, Krokant und Erdbeeren auf Silberschalen gereicht. Danach kann man den Abend bei einem Absacker an der Bar oder auf der vor Kurzem wiedereröffneten Terrasse ausklingen lassen.
Florio im Charles Hotel, Sophienstraße 28, 80333 München, Telefon: 089/5445551200, täglich geöffnet von 12 bis 14.30 Uhr und von 18 bis 22.30 Uhr
Die SZ-Kostprobe
Die Restaurant-Kritik „Kostprobe“ der Süddeutschen Zeitung hat eine lange Tradition: Seit 1975 erscheint sie wöchentlich im Lokalteil, seit einigen Jahren auch Online. Etwa ein Dutzend kulinarisch bewanderter Redakteurinnen und Redakteure aus sämtlichen Ressorts – von München, Wissen bis zur Politik – schreiben im Wechsel über die Gastronomie in der Stadt. Die Auswahl ist unendlich, die bayerische Wirtschaft kommt genauso dran wie das griechische Fischlokal, die amerikanische Fast-Food-Kette, der besondere Bratwurststand oder das mit Sternen dekorierte Gourmetlokal. Das Besondere an der SZ-Kostprobe: Die Autorinnen und Autoren schreiben unter Pseudonym, oft ist dies kulinarisch angehaucht. Sie gehen unerkannt etwa zwei- bis dreimal in das zu testende Lokal, je nachdem wie lange das von der Redaktion vorgegebene Budget reicht. Eiserne Grundregeln: hundert Tage Schonfrist, bis sich die Küche eines neuen Lokals eingearbeitet hat. Und: sich nie bei der Arbeit als Restaurantkritiker erwischen lassen – um unbefangen Speis und Trank, Service und Atmosphäre beschreiben zu können.

