Florian Süssmayr:Öl und Edding

Zwei, drei, viele Freunde sollt ihr sein: Florian Süssmayr im Münchner Haus der Kunst.

Von Holger Liebs

Don't believe the hype! Er glaubt ja selbst nicht dran. Wenn Florian Süssmayr, geboren 1963 und das erklärte Zentralgestirn des noch jungen Kunstjahres, von seinen Münchner Freunden gefragt wird, was er denn nun eigentlich sei, antwortet er: "Ich bin defensiver Mittelfeldspieler beim FC/DC", seinem Privat-Fußballverein.

Und wenn er dann im Haus der Kunst steht, wo er nun als erster Münchner Künstler seit Jahrzehnten eine Einzelausstellung bekommen hat, und man vergleicht seine Biertischstillleben, die krud-obszönen Graffitibilder ("Hey, ihr Arschlöcher!") oder die abstrahierten Fußballfeldtableaus mit dem Werk dieses oder jenes bekannten Künstlers - dann kann es vorkommen, dass Süssmayr sagt: "Den kenn' ich nicht". Und man glaubt ihm das sofort.

Nein, der sympathische Süssmayr ist überhaupt nicht kunstbetriebsmäßig versippt, er hat die Malerei nicht mal an einer Akademie studiert, und dass er jetzt fast ein bisschen verloren zwischen seinen Arbeiten in der Hitlerreden-Echokammer der marmormonumentalen Ehrenhalle im Haus der Kunst steht, ist fast schon das Seltsamste in einer an Seltsamkeiten nicht armen Entwicklung der vergangenen Monate.

Erst im Herbst nämlich fand am Münchner Hauptbahnhof eine Ausstellung seiner Bilder statt - und nur wenige Monate später überschlagen sich die Feuilletons mit Lobeshymnen auf Süssmayr. Was ja ganz in Ordnung ist, denn Süssmayrs Naheinsichten bierstumpfer Sinnentleerung zwischen Stamperlgläsern, Kassenzetteln und Klowand-Sexannoncen in den Hofbräuhäusern dieser Welt sind nicht nur technisch gut gemalt, sondern man merkt auch, dass hier einer unbeleckt vom kunsthistorischen Referenzballast seine eigene Welt mit eigenem Idiom ausformuliert hat.

Dass genau hier auch die Probleme anfangen, hat übrigens weniger mit Süssmayrs Bildern selbst als vielmehr mit den Geschichten zu tun, die nun um sein Werk herum kolportiert werden.

Das sind, erstens, natürlich Geschichten, die schön oder wahrhaftig sind und von ihm selbst auch so bestätigt werden. Süssmayr war zu Punk-Zeiten Teil der politkulturellen Münchner Untergrundgruppierung "Freizeit '81", er spielte mit seiner Zwei-plus-x-Mann-Band Lorenz Lorenz in Berlin als Vorband der legendären Throbbing Gristle und im Münchner Chic-Nukleus "P1", er drehte mit Freunden wie Rainald Goetz einen Film und arbeitete als Filmtechniker mit dem Regisseur Romuald Karmakar ("Der Totmacher") zusammen. Und er arbeitete als experimenteller Fotograf, probierte etwa die Technik der Cyanotypie aus. In der Kunstszene, ja selbst unter Freunden war er bis vor kurzem als Maler vollkommen unbekannt.

Öl und Edding

Diese Unbekanntheit, diese vormalige Leerstelle aber ist nun, zweitens, nicht etwa der pittoreske Fond von Süssmayrs plötzlicher musealer Präsenz im Haus der Kunst und auch im Lenbachhaus, sondern fast ein zwingender Grund dafür - jedenfalls in der öffentlichen Wahrnehmung. Süssmayr, das belegt auch ein vielstimmiges Radio-Feature des Bayerischen Rundfunks über ihn, ist als Figur aus härteren Tagen zur neuen Projektionsfläche für eine in den Achtzigern sozialisierte, damals untergründige, heute etablierte Generation von 40-plus-Jährigen geworden. Dabei hat er sich immer nur in einer eher kleinen Clique von Freunden bewegt und wie sein Großvater eben auch gemalt.

Florian Süssmayr: Szene am Isartor, Untergeschoss.

Szene am Isartor, Untergeschoss.

(Foto: Foto: Haus der Kunst)

Jetzt aber gibt es diese Geschichten, die den Blick auf sein Werk verstellen. Der Sound ist immer derselbe: So war es damals, in den Münchner Achtzigern, und wie es war, das will man dann Süssmayrs Bildern irgendwie auch ansehen. Wobei man ihnen im Haus der Kunst erst mal ansieht, dass sie, gehängt an meist roh belassene Hartfaser-Stellwände, nur schwer gegen die wuchtig-kalte Architektur der Ehrenhalle ankommen. Die von Chris Dercon fast vollständig freigelegte, ehemalige Hitlerbühne war ja nie für Ausstellungen gedacht.

Alter dicker haariger Keiler

Es macht aber schon Sinn, wenn da jetzt zwischen den mächtigen Türrahmen große gemalte Graffiti-Trompe-l'oeils hängen, teils bestrichen mit Emulsion, dann abgerieben, so dass eine perfekte Anmutung von Furnieroberfläche entstand, teils auch gemalt mit Öl und Edding. Denn diese Bilder zeigen authentisch dokumentierte Triebäußerungen ("Scheißpils", "Alter dicker haariger Keiler 26/174/109 sucht dich Frischling") sowie immer wieder Hakenkreuze: Die architektonisch-militärische Erhabenheitsgeste trifft hier auf die Über-Ich-Prosa von Abort-Schmutzfinken.

Über die von Dercon wieder aufgehängte, unselige Stifterplakette des Troost-Baus hat Süssmayr ein Bierdeckelbild, komplett mit SS-Runen und Geschlechtsteilen, gehängt. Die Fußballfeldbilder wie die Hooligan-Szenen nach Fotos aus Rotterdam, 1988, rufen Massenszenen wach. Dann: die Kneipentrinkerstillleben sowie scheinbar idyllische Landschaften, nach Vorlagen von polnischen Kriegs-Tatortfotos aus der Wehrmachtsausstellung; und zu Farbfeldern verkürzte Stadionszenen, die auf Fotos von realen Fußballpartien beruhen.

In diesen Bildern scheint ein entweder prekäres oder sinnstiftendes Gruppen^zugehörigkeitsgefühl eingebrannt und aufgehoben, intim oder öffentlich kodiert, zwischen Punkmusik, Fußballkult und gemeinsamen Besäufnissen. Es ist auch dieser Umstand, der Süssmayrs Bilder so anschlussfähig macht für erinnernde Kollektivprojektionen. Aber sein Interesse für Cliquenbildung und Gruppendynamiken fußt nicht auf Lokalpatriotismus, sondern wird aufgeblendet zur Frage nach Sinn, Kultur und Grenzen dieser wie jeglicher spielerischer oder utopischer Gemeinschaft. Damit ist Süssmayr seinen nostalgischen Fans um einen Schritt voraus.

In nächster Zeit will er sich verstärkt mit Charles Manson oder der Otto-Mühl-Kommune beschäftigen. Und, ach so: Fußball spielt er natürlich immer noch.

"Florian Süssmayr. Bilder für deutsche Museen", Haus der Kunst, München, bis 1. Mai. Im November erscheint ein Werkverzeichnis (Verlag der Buchhandlung Walther König). Info: Tel. 089 / 21127113

(SZ vom 17.02.2005)

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