Süddeutsche Zeitung

Lesenswert:Dem Leben entglitten

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Florian Scherzers neuer Roman "Selbstmordhunde" begleitet seinen Helden auf einer unheimlichen Suche. Was ist Realität und was nur Symptom einer geschädigten Psyche?

Von Magdalena Zumbusch

Eine Realitätsverzerrung hatte den Münchner Autor Florian Scherzer schon in seinem Roman "Zeppelinpost" beschäftigt. Um eine Frau zu beeindrucken, hatte sich der Held kurzerhand ein spannenderes Leben ausgedacht. Und sich in eine Geschichte verstrickt, die sich plötzlich in der Realität verselbständigte. Mit einer Art Variation dieses Themas hat Scherzer jetzt seinen neuen Roman "Selbstmordhunde" gestrickt. Statt andere belügt der Protagonist nun sich selbst. Oder tut er das gar nicht? Es kommt - sehr bald zumindest - zu einem unfreiwilligen Realitätsverlust.

Los geht die Geschichte im München der Siebzigerjahre. Der Leser taucht ein in das Leben des Protagonisten Heinrich, in dem von Anfang an etwas im Argen liegt. Mit Anfang 30 hat er ein Alkoholproblem. An den besseren Tagen hat er morgens "nur ein Bier ohne Schnaps getrunken". Als Synchronsprecher nimmt er gerade eine Abenteuer-Geschichte für Jugendliche auf. Es liegt vor allem am Ton Scherzers, dass zu Anfang der Geschichte trotzdem alles noch einigermaßen in Ordnung scheint. Ein fast behaglicher Ton.

Ein QR-Code im Buch führt zu einem Hörspiel

Richtige Full-on-Enid-Blyton-Wohlfühl-Stimmung herrscht in der in die Handlung eingeflochtenen "Drei Schnüffler"-Geschichte, dem Hörspiel, das Heinrich aufnimmt: Drei Detektive gehen dem Geheimnis um die titelgebenden Selbstmordhunde nach. Dieses Hörspiel wurde sogar im echten Leben eingesprochen und ist über einen QR-Code im Buch oder unter www.selbstmordhunde.de abrufbar. Auch die Gestaltung des Hardcovers als Kassette greift das Hörspiel-Thema auf und macht Lust auf frühere Zeiten des Geschichtenhörens. In denen man noch etwas in der Hand hatte vor dem Loshören.

Aber zurück zur Hauptgeschichte: Noch ein weiteres Symptom offenbart Heinrichs leidende Psyche. Ihn treibt etwas um, das durch bestimmte Situationen getriggert wird. Das ihm schlimme Kopfschmerzen macht oder im Laden auf die Theke kotzen lässt: "Was er im Zimmer seines Vaters gefunden hatte", sei das Problem. Was das ist, erzählt er später Renate, in der er eine Vertrauensperson findet. Renate ist neu im Synchronsprecher-Team und Heinrich verliebt sich. Er offenbart ihr eine Geschichte, die man sich kaum absurder und scheußlicher ausdenken könnte.

Während einer kurzen Romanze mit Regine geht es Heinrich viel besser. Er freut sich auf die Arbeitstage mit ihr, "sogar auf Montag und all die Tage, die vor ihnen lägen", sagt er ihr. Und dann ist Regine plötzlich weg. Über Nacht. Es folgt eine verzweifelte Suche. Zuerst nach Regine, aber als Heinrichs Ideen immer wilder werden, weitet sich die wahnhafte Suche aus. Florian Scherzer ist eine geschickt ineinander gewickelte, spannende Erzählung gelungen. Bis zuletzt lässt der Autor auf eine Wendung zum Guten hoffen, die man Heinrich als Leser so sehr wünscht.

Florian Scherzer: "Selbstmordhunde", Hirschkäfer Verlag 2022, 307 Seiten, 22,90 Euro

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