Süddeutsche Zeitung

Flex:Aus Prinzip verlebt

Bier und Zigaretten am Kreuz: Das Flex will kein Wohnzimmer sein, sondern immer auch ein bisschen provozieren - auch wenn heute weniger Punks kommen als früher.

Sebastian Gierke

Früher war das hier sogar ein Ort, an dem Politik gemacht wurde - zumindest im weiteren Sinne. Die Münchner Sektion der Anarchistischen Pogo-Partei Deutschlands (APPD) hielt im Flex ihren Stammtisch ab. Wohin hätten sie auch sonst gehen sollen in dieser Stadt? Mit Wahlslogans wie "Arbeit für Arbeitswillige" und "Meine Stimme für den Müll". Hier aber konnten sie trinken, sich die Köpfe heißreden, und manchmal rauften sie auch. Diese besondere Form der politischen Auseinandersetzung gibt es heute nicht mehr im Flex.

Aber Olaf Böttcher erlebt immer noch viele Geschichten, die in München nur seine Kneipe hervorbringen kann. Es klingt, als wäre er ein klein wenig stolz darauf. Böttcher eröffnete das Flex im März 1992 zusammen mit einem Freund. Sie hatten sich beim, wie er sagt, "Rumstudieren" kennengelernt, schon in der Gastronomie gejobbt, jetzt wollten sie etwas Eigenes. "In München gab es damals zwar tausende Kneipen, aber alle haben gleich ausgesehen." Als sie den verwüsteten Keller in der Ringseisstraße begutachteten, riet die Maklerin ab: "Für Anfänger ungeeignet." Vier Jahre stand der Raum davor leer, der Ruf bei Brauereien war ruiniert, der bei der Polizei sowieso: Verbindungen ins Rotlicht-Milieu.

Die beiden jungen Männer focht das nicht an, sie begannen, den Keller selbst zur Kneipe umzubauen. Der Kompagnon Böttchers heißt Florian Schönhuber. Dass ausgerechnet der Sohn von Franz Schönhuber, dem Mitbegründer der rechtsextremen Partei Die Republikaner, eine Punkkneipe aufmachte, brachte das Flex sofort ins Gespräch. Und es blieb im Gespräch, weil die Kneipe in München so besonders unbesonders ist.

Während sich die anderen meist am Besser, Mehr und Schöner versuchen ist, das Flex eine Ausnahme. Allein die Tische. Keiner wie der andere, noch nie erneuert worden, hin und wieder überlackiert. Stehen seit 19 Jahren hier im Keller. ,,Und wir haben sie schon gebraucht gekauft'', sagt Böttcher lachend. Das Unbehagen an der oft heute noch irgendwie überzuckert-trendig wirkenden Kneipengegenwart lässt man zurück, wenn man über die engen Treppen hinuntersteigt in den L-förmigen Raum. Rauch- und dunstgeschwängerte Jahre haben das ehemals knallige Orange der Wände schon lange mit Patina überzogen. Das hier will kein Wohnzimmer sein, Wohnzimmer wollen domestizieren, das Flex will immer auch ein bisschen provozieren.

Böttcher, ein großer, schlaksiger Mann mit Nichtfrisur, hat auch ein wenig Angst vor dem Dekorativen. Und so hängt im Eck ein verstaubtes Kreuz, aus dessen Querbalken zwei hölzerne Hände wachsen, in die Bier und Zigaretten gehören, bis ins Grab. An der Wand ein Cover der Industrialband Nine Inch Nails. Es ähnelt einer Zielscheibe. Drumherum: klebt Blasrohrmunition aus Papier. Böttcher sagt, er möge das Verlebte, er nimmt sogar den so beladenen Begriff ,,Underground'' in den Mund. Unter den Gästen finden sich allerdings nicht mehr viele Punks. Das Publikum ist heterogen, viele Studenten, Liebhaber von Gitarrenmusik, Menschen, die sich nicht immer für die perfekt gestylte Bar perfekt stylen wollen. Die völlige Abwesenheit dessen, was in München so gerne als hip bezeichnet wird, lässt einen im Flex durchatmen. Sensation, oberflächliche Aufgeregtheit, Aufplusterei, keine Spur davon.

Böttcher, 44, ist vier- oder fünfmal die Woche in der Kneipe, gibt oft den DJ, rekrutiert das Barpersonal aus den Stammgästen. Er kümmert sich um alles. Auch die Blasrohrmunition ist schnell verschwunden. Vor einiger Zeit kamen ein paar Jungs zu ihm, wollten einen neuen Kickerkasten. Einen Turnier-Kickerkasten. Wenn Du uns den besorgst, haben sie gesagt, dann kommen wir spielen.

Olaf Böttcher hat ihn besorgt. Sein Kompagnon ist vor einigen Jahren ausgestiegen, wollte sich den größeren Projekten widmen, zum Beispiel der Großraumdisco Nachtgalerie, auch Böttcher hat da anfangs mitgemischt: "Aber das war nicht meine Welt, diese Massenabfertigung", sagt er. Dass Böttcher im Flex nicht so viel verdient, nimmt er in Kauf. Die Kickerspieler eröffneten ihm gerade, dass sie sich getäuscht haben. Der Kasten, der jetzt im Flex steht, der sei zwar gut, aber für die offiziellen Turniere, da sei ein anderer ausgewählt worden. Olaf Böttcher hat gelächelt. Er wird den neuen Kasten besorgen.

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SZ vom 18.02.2011/sonn
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