Süddeutsche Zeitung

Fischsemmel auf dem Oktoberfest:Hölle und Hering

Wiesnbesucher stürzen sich gerne auf Wurst und Hendl - die haben einfach mehr Sexappeal. Dabei braucht der Körper nach einem harten Wiesntag etwas ganz anderes. Eine Fischsemmel. Über eine Speise, deren herber Charme oft unterschätzt wird.

Rudolf Neumaier

Was hat ein Hendl, was ein Hering nicht hat? Und was bringt den Wiesnbesucher dazu, sich eher an einer "1/2 Meter Riesenbratwurst" gütlich zu tun als an einer Fischsemmel? Sigmund Freud würde wahrscheinlich mit den weiblichen Rundungen des Huhnes anfangen oder sogar gleich mit dem Penisneid, der sich im Verzehr langer Würstel offenbart. Unterm Strich hieße das: Wurst und Hendl haben einfach mehr Sexappeal. Mehr als die Fischsemmel. Denn die sagt ja, tiefenpsychologisch betrachtet, wenig aus. Aber gesünder ist sie.

Wahrscheinlich wurde die Fischsemmel schon unterschätzt, als der Heilige Petrus noch am See Genezareth fischte. Ihr Image ist ausbaufähig, und auf der Wiesn gehört sie eigentlich unter Artenschutz gestellt. Bismarckheringe auf dem Oktoberfest zu erwischen, ist fast genauso schwer wie Bachforellen in der Isar. Man muss sich schon auskennen. Oder suchen. In diesem Moloch aus Würstel- und Hendlbratern, Mandel- und Zuckerherzhäusln kann dem Kundschafter schon mal der alte Freud durch den Kopf schwirren: Warum tendiert die primäre Masse. . . - und dann taucht er doch auf, der erste Fischfachverkäufer.

Gegenüber dem Fahrgeschäft "Höllenblitz" hat der Fisch-Peter seinen Platz. Die Speisetafel dieses exquisit ausgestatteten Standes lässt aufhorchen: Languste vom Grill für 28 Euro, Sepiatuben zu 14,50 Euro, drei Austern für elf Euro. Klingt ambitioniert. Bei solchen Angeboten ist das Einfachste oft der sicherste Qualitätsprüfstein: die Bismarckhering-Semmel (für drei Euro). Die Semmel selbst hat eine fabelhafte Konsistenz, man kann sie als al dente bezeichnen.

Gäbe es analog zum Verein gegen betrügerisches Einschenken einen Fischsemmelvollständigkeits-TÜV, hätte er an der Fischmenge überhaupt nichts auszusetzen. Tomate, frische Gurke und Petersilie geben dem Hering eine überraschende Note. Die üppige Zwiebelauflage wirkt überaus mild auf dem Gaumen, fast schon nett. Gibt es jetzt auch schon genmanipulierte Softzwiebel? "Nein", sagt Peter Lingnau, der Chef, "die werden eingelegt. Das nimmt ihnen die Schärfe." Fünf verschiedene Matjes-Semmeln hat er im Angebot, eine appetitlicher als die andere. Aber beim nächsten Mal gibt's - Austern! Oder ein Krebschen.

Außerordentlich ehrlich bestückt sind die Fischsemmeln auch am Stand Hellbergs Fischspezialitäten: Das Preis-Leistungs-Verhältnis (PLV) übertrifft die üblichen Wiesn-Dimensionen, denn die Matjes-Semmel kostet nur 2,50 Euro. Garniert ist sie neben der obligatorischen - und hier ebenfalls vorbehandelten - Zwiebelladung mit einer Scheibe Essiggurke. Die Hellberg-Semmel prägt sich ein durch ihre markante, aber bei aller Wahrnehmbarkeit immer noch zarte, ja geradezu edle Dill-Note. Ein Genuss. Louisa Peine, eine freundliche junge Verkäuferin, reicht zur Semmel ein Lutschbonbon. Für danach.

Hering killt den Kater

Bei Fisch-Winter muss man etwas tiefer in die Tasche greifen für eine Matjes-Semmel. Sie kostet 3,50 Euro. Aber wer zählt schon Cents, wenn er sich mal nach allen Regeln der Kunst verwöhnen lassen will. Der Bärlauchmatjes ist Wellness für den Gaumen, die Würze des heimischen Krautes geht eine zauberhafte Liaison mit der Säure des Fisches vom fernen Ozean ein - ein Paar wie die Bardot und der junge Gunter Sachs. Gebettet ist die Delikatesse auf einem frischen Salatblatt. Und die Semmel weist Fünf-Sterne-Bissfestigkeit auf.

Vielen Menschen ist nicht klar, wie günstig Matjes, Bismarckhering und Rollmops den Stoffwechsel gerade von Zechern beeinflussen. Wer einen Mediziner seinen Leibarzt nennen darf, der sich nicht nur in der Klinik mit dem Bekämpfen von Kater beschäftigt hat, sondern vor allem empirisch durch zahlreiche Selbstversuche, wird auf diesen Rat hören: Hering killt den Kater.

Zum einen enthält er Mineralien, die der Körper im Rausch eingebüßt hat, zum anderen animiert er den Menschen zu forcierter Flüssigkeitsaufnahme. Für diesen Bedarf ist natürlich das Riesen-Bismarck-Baguette bei der Fischer-Vroni ideal. Als Füllung dieser Weckerl liefern die Atlantikfischer wahre Prachtkerle. Der Preis von 3,50 Euro ist nicht nur wegen Größe und Gewicht der Heringe gerechtfertigt, sondern auch geschmacklich. Der Kater verkriecht sich jedenfalls, wenn man ihm mit einem solchen Kaventsmann heimleuchtet.

Bleibt der Zwiebelgeruch. Und die Frage: Was tun? Die Chefin vom Hanseaten-Imbiss stemmt indigniert ihre Hände in die Hüften. Was für eine bescheuerte Frage! "Was macht man denn gegen Biergeruch? Abwarten, bis er wieder weg ist."

Hanseatisch herb, aber keineswegs schlecht schmeckt dann auch ihre Matjes-Semmel. Man spürt die Frische der Nordsee. Für drei Euro sollte die Fischeinlage jedoch ein bisschen mehr als zwei Drittel der Semmel ausfüllen.

Zum Schluss ein Blick in die Zukunft oktoberfestlichen Fischkonsums: Auf dem Zentralen Landwirtschaftsfest hat der Landesfischereiverband mit Sushi von heimischen Fischarten aufgewartet. Hiro Kitamura, Sushikoch am Marienplatz, verarbeitet Forellen, Aal und Saiblinge. Sieht gesund aus und schmeckt gesund. Und das Beste daran: Mundgeruchsmäßig sind keinerlei Komplikationen zu gewärtigen.

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SZ vom 27.09.2012/afis
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