Fischerstüberl:Einer geht noch

Das Fischerstüberl ist immer noch eine der beliebtesten Absackerkneipen Münchens, obwohl die Liberalisierung der Sperrstunde und das Nichtrauchergesetz ein schwerer Schuss vor den Bug waren.

Annette Wild

Quer über die Wand geschrieben empfängt den Gast im Fischerstüberl der Spruch "Der Schlaf ist der Bruder des Todes". So genau wollen wir das ja gar nicht wissen, sind unsere Nachschwärmerzeiten doch längst passé. Jede Nacht sind wir also dem Tod näher, als die, die im Fischerstüberl feiern. Wenn wir ans Fischerstüberl denken, schwingt unweigerlich etwas Wehmut in uns.

Fischerstüberl: "Der Schlaf ist der Bruder des Todes": Mit diesem Spruch wird der Gast im Fischerstüberl empfangen.

"Der Schlaf ist der Bruder des Todes": Mit diesem Spruch wird der Gast im Fischerstüberl empfangen.

(Foto: Foto: Annette Wild)

Damals, als man noch nicht auf die Uhr schielen musste, wann man ins Bett zu gehen hatte, um am nächsten Tag fit für Job und Kinder zu sein. Als man noch jungverliebt durch München schwebte. Als das Ausgehen noch aus Abenteuern bestand, die anfingen, wenn sich die Sonne fast schon wieder blicken ließ, wenn die Vernunft längst vom Bier davon geschwemmt war, wenn plötzlich der zweite Hunger im Alkohol geschwängertem Magen rumorte.

Da bekam man Lust auf eine rustikale Wirtsstube, in der es auch so spät oder so früh noch Schweinsbraten und sogar Muscheln gibt. Kurzum: Man ging ins Fischerstüberl.

Letzte Ausfahrt: Fischerstüberl

Unter Modell-Schiffchen, Netzen, Seesternen, Muscheln, einem Kugelfisch und Steuerrad fühlte man sich fast wie in einer Hamburger Hafenspelunke - weit genug weg vom Münchner Alltag entfernt jedenfalls. Irgendwann wurden hier alle Nachtschwärmer angeschwemmt, an diesen durchgehend geöffneten Ort der Ausschweifung, Maßlosigkeit und des Rausches.

Manche kamen, um nur noch einen Absacker zu nehmen, manche, um hier vollends zu versumpfen. Rein durfte fast jeder: Einsame Herren der Sieben Weltmeere, lallende Leichtmatrosen, müde Königinnen der Nacht, schicke Abteilungsleiterinnen, trinkfeste Arbeiter, Möchtegern-Machos, Taxler nach Feierabend, junge und alte Wilde, Männer mit offenen Hemden und großen Ketten - sie alle gingen Nacht für Nacht dem Fischerstüberl ins Netz, trafen sich hier auf ihrer Arche Noah, wo der nächste Tag einfach nicht beginnen wollte.

Etta spielte auf dem Schifferklavier und plötzlich war da dieses Gefühl von heimeliger Unendlichkeit. Kein Grund, die Segel so schnell zu streichen, kein Grund von Bord zu gehen.

Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da die Nacht ist da, daß was gescheh'. Ein Schiff ist nicht nur für den Hafen da es muss hinaus, hinaus auf hohe See. Berauscht euch Freunde trinkt und liebt und lacht und lebt den schönsten Augenblick. Die Nacht, die man in einem Rausch verbracht, bedeutet Seligkeit und Glück." *

Leichte Flaute

Wenn hier in der Vergangenheit erzählt wird, hat das einen Grund: Das alles ist zwar heute auch noch in etwa so, aber vielleicht doch nicht mehr ganz so wie es einmal war. Die Musikerin Etta ist mittlerweile 80 Jahre alt und tritt nicht mehr im Fischerstüberl auf. Dafür gibt's jetzt einen Alleinunterhalter, Country-Sänger Mike oder Musik aus dem elektronischen Wurlitzer. Und vor allem: Seit der Liberalisierung der Sperrzeiten in München hat doch irgendwie jede Kneipe das Potential zur Absacker-Boazn.

"Des hat uns scho hart getroffen, dass die strikte Sperrstundenregelung gelockert wurde", erklärt Wirt Klaus Schaffarczyk, der zusammen mit Sohn Markus das Fischerstüberl leitet. "Da bleibt man halt bis drei, vier Uhr jetzt lieber da hocken, wo man eh schon sitzt."

Des einen Freud, des anderen Leid: Das Fischerstüberl hat zwar keinen Schiffbruch erlitten, aber der Mast scheint etwas angeknackst. Denn statt nach eins, finden sich die Schiffsbrüchigen der Nacht nun erst nach drei, vier Uhr morgens an Deck des Fischerstüberls ein. Und da kann es dann auch mal recht rau zugehen. Doch Klaus und Markus Schaffarczyk sorgen dafür, dass keiner meutert. "Da muaß ma halt durchgreifn", meint der Senior ruhig.

*Deutscher Schlager von 1938, Musik von Theo Mackeben, Text von Otto Ernst Hesse. Das Lied wurde erstmals von Gustaf Gründgens in dem Film "Tanz auf dem Vulkan" gesungen.

Einer geht noch

Familiäres Feuchtbiotop

Klaus Schaffarczyk ist ein Wirt alter Schule: Nicht der Tresen ist sein Arbeitsplatz, sondern Tür und Tische. Ab etwa ein Uhr nachts begrüßt er die Gäste persönlich, setzt sich zu ihnen und trinkt hin und wieder auch mal ein Schnapserl mit, obwohl er privat gar keinen Alkohol konsumiert.

Den Wirt einer Absacker-Kneipe stellt man sich eigentlich anders vor: vergilbter Bart, Zigarette zwischen den Lippen, selbst sein bester Gast. Der 70-Jährige Schaffarczyk wirkt dagegen wie ein jung gebliebener Geschäftsmann. Er trägt ein sorfältig gebügeltes, blau-weiß gestreiftes Hemd und eine kostspielig wirkende Brille.

Vor fünf Jahren übernahm Klaus Schaffarczyk mit Sohn Markus das Fischerstüberl und renovierte die alte Fregatte sachte. Die ozeanische Dekoration ist geblieben, nur Tische, Bänke und die Bar wurden ersetzt. Nun ziert eine silbern glänzende "Fischhaut" Bänke und Tresen. "Dass sich die Sperrstunde vom Fischerstüberl immer weiter in den Morgen verschoben hat, ist meinem Vorgänger zu verdanken.

"Heribert Kandler hat das Fischerstüberl 25 Jahre lang geführt", erzählt Schaffarczyk. Viel hat der "Neue" nicht verändert. Auch der Koch ist noch derselbe. Die berühmten Miesmuscheln in Wurzelsud, Weißwein, Pfefferrahm, Tomatensauce oder Pernot gibt's also immer noch in gleichguter Qualität. Und auch um sechs Uhr morgens bekommt man hier noch einen frischen, warmen Schweinsbraten, und zwar eine große Portion mit zweierlei Knödeln für 5,90 Euro!

Eigentlich ein Grund, auch mal zur normalen "Abendessenszeit" im Fischerstüberl hereinzuschauen - was aber nur wenige tun. "Es könnten schon mehr sein", meint Schaffarczyk leicht resigniert. Wo er doch extra bis 22 Uhr im Fischerstüberl nicht rauchen lässt. Danach verwandelt sich sein Lokal nämlich in einen Raucherclub.

Trickreich wie viele bayerische Wirte hat er sich gegen das neue Rauchverbot in Gaststätten gewehrt und ein elektronisches Zugangssystem mit Clubkarte installiert. Wobei das so ganz einfach auch nicht ist: "Der eine find die Glocke net. Der andre unterschreibt den Mitgliedsantrag mit Didi Hallervorden", klagt Schaffarczyk.

Ramba Zamba zur Wiesn-Zeit

Die Wiesn verspricht jährlich eine starke Böe. Die Tische werden zu dem Zweck rausgeschafft und Bierbänke hineingestellt, denn da passen mehr Leute drauf. 16 Tage ist dann im proppenvollen Fischerstüberl Ramba Zamba angesagt. Je länger wir im Fischerstüberl sitzen, desto gemütlicher wird es. Die Luft ist langsam so dick, dass man sie mit der langen Säge, die an der Wand hängt und einst einem Sägefisch gehörte, schneiden könnte. Man erwartet fast, dass gleich ein Nebelhorn erklingt.

Und da ist es wieder, das Gefühl mit einer wilden Horde unterschiedlichster Menschen einfach aufs offene Meer, in die ungewisse Zukunft der Nacht hinauszuschippern. Neben uns werden Berge dampfender Muscheln aufgestischt. Was interessiert uns morgen? Wir werfen unsere Uhr über Bord und wünschen uns und dem Fischerstüberl einfach "Mast- und Schotbruch".

Fischerstüberl, Lindwurmstraße 111, 80337 München, Telefon 089/76 35 77

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