Süddeutsche Zeitung

Fingerhut-Sammlung:Schönheit gegen Stiche

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Margit Bachschneider hat in ihrem Laden ein Fingerhut-Museum eingerichtet

Von Sonja Niesmann, Haidhausen

Geh", tadelt ihre Mutter zuweilen milde, "jetzt kaufst aber keine mehr". Dabei war sie es doch, die vor vielen Jahren den Grundstock gelegt hat. Als ihre Tochter eine Lehre als Schneiderin begann, schenkte sie ihr einen Fingerhut, ein hübsches Stück aus Schildpatt. Sie pflanzte damit den Keim einer Sammelleidenschaft, einer "Sucht", scherzt Margit Bachschneider selbst. Rund 1000 Fingerhüte hat die 55-Jährige zusammengetragen. In verglasten Setzkästen und schmucken Vitrinen sind sie in ihrem kleinen Laden an der Wörtstraße in Haidhausen ausgestellt. "Änderungsschneiderei - Fingerhutmuseum" steht am Schaufenster geschrieben, auch wenn es kein offiziell angemeldetes Museum ist: "Ich verlang' ja keinen Eintritt."

Schon in der Steinzeit soll das Utensil, das man sich beim Nähen auf den Mittelfinger steckt, damit man sich beim Nachschieben der Nadel nicht in die Kuppe sticht, gebräuchlich gewesen sein. Auch heute noch liegt in jedem gut sortierten Nähkästchen ein Fingerhut, meist schlicht aus Blech. Aber im Lauf der Zeit wurde der Gebrauchsgegenstand auch verfeinert, aus kostbaren Materialien angefertigt und exquisit dekoriert. Die Meisterstücke waren in den höheren Kreisen en vogue, der Überlieferung nach soll Kaiserin Maria Theresia 1763 einen Fingerhutmeister aus Nürnberg im Strohwagen aus der Stadt geschmuggelt haben, damit er eine Produktion in Österreich aufbaut.

Bachschneider besitzt allerlei erlesene Objekte, aus Silber und Gold, aus gehäkeltem Silberdraht, aus Stein, Email und Porzellan. Fingerhüte von Hutschenreuther, von Nymphenburg, von Hummel. Eine Serie mit Rosendekor, eine blau-weiße, holländisch anmutende mit Mühlen-Motiven. Eine Sissi-Serie. Die Himmelsmutter und die Queen, zusammengeschnurrt auf zwei Zentimeter. Einen Babuschka-Puppen-Fingerhut aus fein ziseliertem Silber. Fingerhüte mit Eulengesichtern oder mit spitzen Vogelschnäbeln, die an venezianische Masken erinnern - "meine Asiaten". Sie zeigt auf die Hunde-Serie, auf Bulldogge, Terrier, Collie und Dackel: "Manche hab' ich auch doppelt. Aber ich geb' keinen weg." Sie kreiselt fast im Raum, hat schon das nächste Objekt in der Hand, kichert. Ein Fingerhut mit Loch, an der hinteren Innenwand ein Hund - eine Hundehütte.

Irgendwann hat sich auch die Werbewelt über die Fingerhüte gestülpt, es gibt welche mit dem Schriftzug von Nivea, Ariel, Coca-Cola, Sarotti oder Guinness. In einem anderen Setzkasten sind diejenigen aufgereiht, die man wie auch Schneekugeln als Reiseandenken kaufen kann. Hamburg, Salzburg, Passau, Königsee. Gran Canaria, Cuba, New York (mit Freiheitsstatue selbstverständlich). "Und hier, den hab' ich in der Türkei gekauft" sagt sie und zupft ein silbernes Hütchen mit Schmucksteinen aus der Vitrine. Von "hinter Kasachstan" soll der kommen, hat man ihr beteuert. Ob's stimmt? "Ist mir wurscht, auch ob sie echt antik oder bloß nachgemacht sind. Wenn mir einer gefällt . . ." "Hinter Kasachstan" hat sie sich 90 Euro kosten lassen, mehr als üblich. Wie das eben so ist, wenn die Sammlergier nach einem ausgefallenen Stück lechzt. In den Anfangszeiten des Sammelns wäre so eine Ausgabe nicht drin gewesen. "Als ich noch eine arme Maus war, da waren 20 Mark für einen Fingerhut schon hart für mich." Wie viel Geld in ihrer Sammlung steckt? Sie zuckt mit den Schultern: "Das würde nicht viel bringen, wenn man's verkauft. Das ist eher ein ideeller Wert."

Fündig wird die schlanke, blonde Frau, der man schon bei den ersten Sätzen die waschechte Münchnerin anhört, auf Flohmärkten, auf der Auer Dult, in Antikläden und Souvenirshops. Das ein oder andere Stück stammt aus dem Laden des Fingerhutmuseums in Creglingen an der Romantischen Straße. Inzwischen hat die Leidenschaft ein bisschen nachgelassen, räumt sie nach dem ersten Überschwang, mit dem sie ihre Sammlung präsentiert, ein. "Ich bin nimmer ganz so narrisch." Jetzt sind es oft Freunde, Bekannte, gelegentlich Kundinnen, die ihre Sammlung noch aufstocken: "Mir einen Fingerhut zu bringen, den ich nicht hab', ist schwierig."

Ungebrochen ist aber die Leidenschaft, mit der Margit Bachschneider ihre 1000 kleinen Schmuckstücke ins beste Licht rückt. Die Original-Setzkästen aus einer Druckerei hat sie mit Farbe und Glastüren aufgehübscht, aus Latten sägt sie kleine Podeste für die Fingerhüte, ihr Schaufenster dekoriert sie viermal im Jahr um. Im Advent setzte sie ihre Fingerhüte mit Weihnachtsmotiven in Szene, umrahmt von Trompeten, Notenständern und Goldkugeln. In diesen Tagen ist Zebra-Design im Fenster angesagt: Schwarz-weiße Kissen und Holzstatuen, dazwischengetupft kristallene Fingerhüte von Swarovski mit Schwanendekor, silberne Miniatur-Scheren und Nadelkissen.

Eine Vase mit Rosen steht auf einem Tischchen mit weißer Decke, bestickt mit Garnrollen und Fingerhüten in Rot - ein Mitbringsel vom Flohmarkt in Wien. An einer Wand ein deckenhoher Spiegel mit gedrechselten Holzsäulen, "meine jüngste Anschaffung". Der Ständer mit abholbereiter Kleidung am Durchgang zur Werkstatt wirkt wie ein schräger Ton in diesem durchkomponierten Ambiente. Und mitten drin steht die Schneiderin, in Jeans, ärmelloser Daunenweste, um den Hals ein Maßband, ihre Brille und eine Kette mit winzigem goldenen Fingerhut-Anhänger, und schaut sich gut gelaunt um: "Hier leb' ich meinen Deko-Spleen aus".

Sie wäre gerne Dekorateurin geworden, aber sie durfte nicht. "A Gwand braucht jeder", pries die Mutter damals sehr bestimmt die Schneiderinnen-Lehre an, "damit kannst auch in schlechten Zeiten was verdienen." Sie hatte wohl recht, Anfang der Achtzigerjahre hatte es die Tochter mit gerade 20 Jahren bereits zur eigenen Schneiderei in Neuhausen gebracht. "Aber nähen, bis ich 60 bin? Das konnt' ich mir nicht vorstellen." Nach sechs Jahren schloss sie den Laden, arbeitete die nächsten 20 Jahre in der Gastronomie, sammelte aber selbstverständlich weiter Fingerhüte. Bis sie sich mit einer Wirtin überwarf. Da besann sie sich darauf, was sie gut kann und griff wieder zu Nadel, Faden, Schere - und Fingerhut. Bei der Arbeit freilich setzt Margit Bachschneider nur ganz gewöhnliche, praktische Fingerhüte auf.

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SZ vom 20.02.2016
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