Finanzskandal der evangelischen Kirche:Abgezockt

Pfarrer Ulrich Wagner, 2013

Pfarrer Ulrich Wagner im Altarraum der Obermenzinger Carolinenkirche bangt um den Zuschuss des Dekanats in Höhe von rund 25 000 Euro. Das Dach ist undicht und muss saniert werden.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

5,5 Millionen Euro hat das evangelisch-lutherische Stadtdekanat durch Fehlinvestitionen verloren. Die internen Ermittlungen stehen vor dem Abschluss. Die Münchner Protestanten sind erstaunlich abgeklärt: Nur wenige erheben Vorwürfe, andere äußern Verständnis.

Von Sebastian Krass und Jakob Wetzel

Für evangelische Christen gibt es derzeit einigen Grund, sich zu ärgern: Das evangelisch-lutherische Stadtdekanat wird von einen Finanz-Skandal erschüttert, es hat bis zu 5,5 Millionen Euro in riskanten Anlagegeschäften verloren. Das gesamte Geld war in Anleihen von nur vier mittelständischen Unternehmen investiert worden - offenbar begünstigt durch lasche Kontrollen im Kirchengemeindeamt. Die Firmen sind mittlerweile insolvent, Dekanin Barbara Kittelberger hat den zuständigen Abteilungsleiter beurlaubt und angezeigt. Gegen ihn ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Verdachts auf Untreue.

Und welche Folgen der Skandal haben wird, ist offen; womöglich muss die Kirche Häuser oder Grundstücke verkaufen. Einige Gemeindemitglieder und Pfarrer empören sich auch darüber. Und doch: Insgesamt reagieren viele Münchner Protestanten erstaunlich abgeklärt. Nach dem ersten Schreck hält sich die Empörung in Grenzen.

In einzelnen Kirchengemeinden stoßen die Vorgänge sogar auf Verständnis. Zum Beispiel bei Lorenz Künneth, Pfarrer an der Korneliuskirche in Karlsfeld. Das Dekanat habe ja nicht "wirklich gezockt", sagt er. Auch in die eigene Tasche habe keiner gewirtschaftet. Man habe eben versucht, ökologisch korrekt zu investieren, und dabei gebe es Risiken. Von den Gemeindemitgliedern sei er noch gar nicht auf den Skandal angesprochen worden, sagt der Pfarrer. Allerdings wisse er, dass einige Gläubige sehr wütend sind.

"Wir stellen auch fest, dass es bisher relativ ruhig ist", sagt der bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm. "Dafür sind wir dankbar. Die Leute verstehen, dass unsere Anlage-Richtlinien im Prinzip stimmen und dass sie in diesem Fall nicht eingehalten wurden." Die Richtlinien der Landeskirche und des Dekanats schreiben neben ethischen und ökologischen Kriterien auch eine "konservative" Anlagestrategie "mit zeitnaher Liquidität" vor, hatte Dekanin Kittelberger zuletzt erklärt. Die Praxis jedoch sah anders aus: Tatsächlich waren die gezeichneten Mittelstandsanleihen weder sicher noch kurzfristig zu kündigen.

Dass die Stimmung unter den Gläubigen zwiespältig ist, zeigt sich beispielhaft bei den Mitarbeitern in Kittelbergers eigener Gemeinde Sankt Markus in der Münchner Maxvorstadt. Gerüchte darüber, dass "etwas passiert" ist, habe es schon seit Monaten gegeben, sagt einer, der nicht namentlich genannt werden will. Jetzt müsse man warten, es sei zu früh, um Verantwortung zuzuweisen. Die Dekanin sei bemüht, den Skandal aufzuarbeiten: "Kittelberger hält Wort, sie greift durch."

Genau daran zweifelt ein Mitglied des Kirchenvorstands der Gemeinde, das seinen Namen ebenfalls nicht in der Zeitung lesen möchte. Die Verantwortlichen würden es sich zu leicht machen: "Es war ja nicht das erste Mal." Der letzte Skandal liegt 14 Jahre zurück: Im Jahr 2000 waren in Jahresrechnungen des Münchner Dekanats mehr als 22 Millionen Mark falsch verbucht worden, Kirchengeld war an den Aufsichtsgremien vorbeigeschleust worden, der einstige Dekan hatte eine eigene Spendenkasse geführt. "Damals hieß es, man werde das genau untersuchen und dann den Fehler abstellen", sagt das Vorstandsmitglied. "Wenn ich das jetzt wieder höre, fällt es mir schwer, daran zu glauben."

Nach dem Skandal von 2000 musste der Dekan gehen

Nach dem Skandal von 2000 hatte unter anderem die Landeskirche Konsequenzen gezogen. Weil Mahnungen der kirchlichen Rechnungsprüfer lange ignoriert worden waren, stärkte die Kirche ihr Rechnungsprüfungsamt. Zudem musste der damalige Dekan gehen. Einen Rücktritt von Dekanin Kittelberger fordert das empörte Gemeindemitglied diesmal nicht: "Es müssen nicht gleich Köpfe rollen wie in der Politik. Es kommt darauf an, dass sie die nötigen Reformen einleitet."

Selbst wenn dies gelingen sollte, fürchtet die Kirche jedoch den Image-Schaden, den der Skandal angerichtet hat. Landesbischof Bedford-Strohm warnt davor, zu verallgemeinern: "Wir haben in Bayern fast 70 Dekanate, und in allen anderen läuft es mit den Finanzen gut, nach allem, was wir erkennen können." Der Schaden aber sei bereits da, fürchtet das Vorstandsmitglied in Sankt Markus: "Wir sind eine Organisation, die für sich in Anspruch nimmt, moralisch zu sein und zu handeln. Und wir sind die einzige Institution, die mit einem Klingelbeutel herumgeht und für gute Zwecke sammelt." Jetzt könne die Kirche auf Sicht eigentlich nicht mehr um Geld bitten.

Um das Image der Kirche fürchtet auch Ulrich Wagner, Pfarrer in der evangelischen Carolinengemeinde in München-Obermenzing. Er geht in vier Monaten in den Ruhestand und spricht offen. "Ich habe Angst, dass die Stimmung kippt", sagt er. "Bischof Tebartz-van Elst hat auch Geld verprasst, hat aber immerhin noch ein Gebäude hingestellt." Das Dekanat dagegen habe das Geld einfach nur verbrannt.

Wagner ist empört, er spricht von einer "Riesen-Sauerei, dass hier keine Kontrolle stattgefunden hat". Das Geld sei für die Kirche da gewesen, nicht für Spekulationen. Dennoch stört ihn nicht, dass das Dekanat auf die Rendite geschielt hat - sondern die Weise, in der das geschah. Die Fachleute im Kirchengemeindeamt hält er für unfähig: "Ich lese seit zwei Jahren in der Zeitung, dass Mittelstandsanleihen wackeln", sagt er. "Und da bin ich traurig, dass Leute, die von Berufs wegen dafür zuständig sind, nicht lesen können."

Dazu, wer im Kirchengemeindeamt gegen welche Richtlinie verstoßen hat, will sich das Dekanat in der kommenden Woche äußern: Seit Monaten ermittelt das Rechnungsprüfungsamt der Landeskirche, sein Bericht soll demnächst vorliegen. Dann soll auch klar sein, ob in den Papieren womöglich weitere Risiken schlummern. Denn das Dekanat hat insgesamt mehr als 15 Millionen Euro bei mittelständischen Unternehmen angelegt, eigenes Geld ebenso wie treuhänderisch verwaltete Rücklagen Dutzender Kirchengemeinden und evangelischer Einrichtungen.

Schon seit der ersten Firmen-Insolvenz im Juli versucht das Dekanat, seine Anleihen neu auszurichten, doch viele der Laufzeiten sind lang. Eine weitere Insolvenz würde die Kirche noch tiefer in die roten Zahlen rutschen lassen.

Für das Geld der einzelnen Kirchengemeinden besteht Kittelberger zufolge keine Gefahr: Deren Rücklagen seien nicht betroffen, auch geplante Baumaßnahmen seien sämtlich gesichert. Dennoch fürchtet Ulrich Wagner Konsequenzen. Seine Gemeinde lässt ihr Geld zwar gar nicht erst vom Dekanat verwalten - er selbst könne höhere Renditen erzielen, sagt der Pfarrer. Doch in der Carolinenkirche muss das Dach saniert werden und vor der Kirche soll ein Pfarrhaus entstehen.

Ein Drittel der Kosten trägt das Dekanat. Sollte dieses trotz des anderslautenden Versprechens die Mittel kürzen, stünden die Projekte auf der Kippe. "Meine Frau hat gesagt, jetzt hast du noch vier Monate bis zum Ruhestand, jetzt brauchst du dich auch nicht mehr streiten", sagt er. "Aber wenn die jetzt einen Rückzieher machen, dann mache ich ihnen in den letzten Monaten, in denen ich noch Pfarrer bin, einen Haufen Ärger."

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