Filmtechnikfirma:Arri verabschiedet sich vom analogen Kinofilm

Filmvorführer in München, 2015

Die Rolle bleibt leer: Auch bei "Theatiner Film" kommt der digitale Projektor (im Hintergrund) zum Einsatz, keine analogen Spulen mehr.

(Foto: Stephan Rumpf)
  • Es gibt kaum Regisseure, die noch auf echtem Film drehen - die Filmtechnikfirma Arri schließt daher ihr Kopierwerk für analoge Kinofilme.
  • Im Arri Lab wurden zahlreiche Meisterwerke entwickelt.
  • Dass die Digitalisierung weit fortgeschritten ist und das Kopieren und Entwickeln kaum mehr einträglich, liegt auch an Arris Digitalkamera Alexa.

Von Katja Riedel

Manche Entscheidungen würden schweren Herzens getroffen, seien aber unumgänglich. So hat der Geschäftsführer der Filmtechnikfirma Arri Media, Josef Reidinger, nun einen wichtigen Abschied verkündet. Den Abschied von der Filmrolle, der dazugehörigen Dose, vom analog gedrehten Kinofilm - und damit von einem Mythos.

Es ist ein Schritt, der vor allem für Liebhaber des echten Zelluloids und seiner weniger brandgefährlichen analogen Nachfolger, für die Skeptiker der digitalen Pixel also, das emotionale Ende einer Ära darstellt. Denn die Arri AG schließt ihr Kopierwerk. Jenen Ort, an dem die Filmnegative entwickelt und vervielfältigt wurden, bevor sie zu Rollen aufgespult in die Vorführräume der Kinos geschickt wurden, wo sie über Leinwände liefen. Geringe Umsätze stünden zu hohen Kosten gegenüber, sagt Reidinger. Schon zum 31. Dezember wird das Arri Lab seine einstige Kernaufgabe einstellen.

Am Tag, nachdem Reidinger die lang vorbereitete Entscheidung für das Aus den analogen Films bei Arri verkündete, hat er viele Emails bekommen. Von Produzenten, von Regisseuren, von jenen Menschen, die mit dem alten Material gearbeitet haben wie Reidinger selbst. "Wir freuen uns jetzt auf die digitale Zukunft. Unser Gefühl ist nicht Wehmut, es ist eher Nostalgie", sagt er. "Es war eine sehr schöne, sehr internationale Zeit". Eine Zeit, in der große Kinoproduktionen in der Türkenstraße mit Chemikalien bearbeitet und zu Bildern wurden, auch zuletzt. "Cloud Atlas" von Tom Tykwer etwa, ein filmtechnisches Meisterwerk, das in den Laboren an der Türkenstraße entwickelt worden ist.

Der letzte Film ist Spielbergs "Bridge of the Spys"

Was einst ein einträgliches Geschäft war, ist immer stärker zurückgegangen durch die Digitalisierung des Filmgeschäfts und nun überflüssig geworden. Entwickelte Arri in seinem Labor 2009 noch drei Millionen Meter Film im Jahr, waren es zuletzt, 2014, noch 25 000 Meter. Bei den kopierten Filmrollen war der Einbruch noch rasanter - und massiver.

Hatte Arri vor sechs Jahren noch 30 Millionen Meter Film kopiert, waren es 2014 gerade einmal noch 70 000. In Deutschland sei der Anteil der Streifen, die Regisseure noch auf echtem Film drehten, "verschwindend gering" sagt Reisinger: Einzelne Filmhochschulprojekte, einige Dokumentarfilme. Nach dem Abschied von Arri ist das wohl letzte Kopierwerk hierzulande das TF CineNova in Wiesbaden. In den USA werde noch mehr auf Negativ gedreht, danach erst digitalisiert und so später auch an die Kinos ausgeliefert.

Der letzte Film, dessen Negative Arri entwickelt und bearbeitet hat, war der neue Steven Spielberg-Film "Bridge of the Spys", der demnächst in die Kinos kommt. Auch der aktuelle "Star Wars"-Film sei auf Negativ gedreht. "Das ist eine Gegenbewegung aus Amerika, wie lange sich das halten kann, ist fraglich, ich halte das aber eher für Nostalgie", sagt Reidinger. Je ein großes Kopierwerk gibt es nach dem Aus des Arri-Labors noch in Los Angeles, London und New York, und zwei gibt es auch in Frankreich. Dort muss von jedem geförderten Film ein Negativ und eine Filmrolle produziert werden. Aus Archivierungszwecken. Deutschland setzt hingegen auf das digitale Archiv.

Mit der Digitalkamera Alexa änderte sich alles für Arri

Die Digitalisierung des Filmgeschäfts ist global gesehen weit vorangeschritten. Paramount war 2014 das erste der großen Hollywood-Studios, das aussprach, was längst üblich war: Paramount kündigte an, dass Filme künftig ausschließlich digital ausgeliefert werden. Seit etwa fünf Jahren haben digitale Filmkameras das lange Zeit technisch überlegene analoge Material eingeholt und ersetzt. Die gesamte Filmtechnikbranche hat das zum Umdenken gezwungen, auch den Münchner Weltmarktführer.

Zu dem Wandel hat Arri selbst wesentlich beigetragen: Mit Alexa, der Digitalkamera, die dem Unternehmen half, auf dem digitalen Filmmarkt wieder die Führung zu übernehmen, nachdem die Münchner zunächst den Wandel verschlafen hatten. "Alexa hat uns in unserem Kopierwerk selbst den Markt weggenommen", sagt Arri Media-Geschäftsführer Reidinger.

Für die gesamte Arri-Gruppe brachte die digitale Filmkamera jedoch die Wende: Fuhr Arri 2009 noch 15 Millionen Euro Miese ein, erholten sich Umsatz und Gewinn dank Alexa von 2011 an. Für 2015 erwartet Arri nun einen Umsatz von mehr als 300 Millionen Euro. Alexa dürfte für die Firmengeschichte so bedeutend sein wie die "Arriflex 35", die 1937 von den Firmengründern August Arnold und Robert Richter entwickelt worden war und ihnen 1966 erstmals den Oscar einbrachte.

Dass Arri nun sein berühmtes Labor schließt, kommt nicht überraschend. Viele der ehemals 100 Mitarbeiter sind in die digitale Produktion gewechselt. Die Restmannschaft kümmert sich nun noch darum, altes Filmmaterial zu restaurieren. Auch Filmleute und die Kinos selbst haben sich längst umgestellt, selbst Programmkinos ist es mithilfe von Subventionen gelungen, die alten Projektoren durch Computer zu ersetzen. Bis zu 100 000 Euro haben sie jeweils investieren müssen. Sparen können sie sich nun den Filmvorführer, der stets neben dem Projektor saß, der Bilder überblendete, scharf stellte und einsprang, wenn ein Film riss. Er war es auch, der nach dem Werbeblock oder bei Überlänge die Rollen wechselte. In die Kinos kommen heute digitale Datenpakete statt Filmdosen. Und die Kinobetreiber können das gesamte Wochenprogramm einspeichern statt es manuell zu steuern. Per Klick statt mit flinken Fingern.

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