Filmmusik:Blautöne

Der Münchner Student Julius Krebs hat die Musik zur Filmdoku "Die Farbe der Sehnsucht" komponiert - einer bildgewaltigen Reise um die Welt zu ungewöhnlichen Menschen, deren Geschichten berühren

Von Jutta Czeguhn

Erst schaut man in ein milchiges Weiß, wie in eine Nebelwand. Das Auge sucht einen Anhaltspunkt an diesem blinden Horizont. Dann ein einziger hoher Ton, angeschlagen auf dem Klavier, und mit ihm erscheint in sehr zartem Grau der Filmtitel auf der Kinoleinwand: "Die Farbe der Sehnsucht". Zwei weitere Töne folgen, klingen aus, bis sachte von rechts winzige schwarze Punkte ins Bild hineinwirbeln. In immer dichterer Folge perlen nun Noten, formieren sich zu einer Melodie und untermalen meditativ den Synchronflug eines Vogelschwarms.

Die Farbe der Sehnsucht Film von Thomas Riedelsheimer.Alfredo mit dem Wahlshark

Die soghaften Bilder des Regisseurs Thomas Riedelsheimer entstanden unter anderem in Portugal, Katar, Japan und Mexiko.

(Foto: Filmpunkt)

"Ich bin irgendwann mit dieser Melodie im Kopf aufgewacht, gleich ans Klavier gerannt, innerhalb von zwei Tagen habe ich das dann komponiert", erzählt Julius Krebs. Der Münchner Student, 21, scheint immer noch ein wenig erstaunt darüber zu sein, dass seine Musik nun einen ganzen Film begleitet. "Die Farbe der Sehnsucht" ist Anfang Juni in München im Monopol-Kino angelaufen, zuvor war der Film beim Dok.Fest und bei den Hofer Filmtagen zu sehen und kommt nun deutschlandweit in die Programmkinos.

Vor drei Jahren, damals war er 18 und Abiturient, hat Julius Krebs den Piano-Score geschrieben, den er "Desiderium", also "Sehnsucht", nennt. Und er ist auch einer der Protagonisten dieses poetischen Filmessays von Thomas Riedelsheimer. Für seine soghaften Bilder, die oft den Charakter von Stillleben haben, stand der mehrfach preisgekrönte Regisseur selbst hinter der Kamera. Riedelsheimer führt nach Portugal, Katar, Japan und Mexiko. Dort hat er erstaunliche Menschen getroffen: Dona Mingas, die in einem Einwandererviertel in Lissabon lebt und sich nach ihrer Heimat, den Kapverden, sehnt. In der surrealen Golfmetropole Doha träumt die pakistanische Gastarbeiterin Layla davon, sich einen roten Schmetterling tätowieren zu lassen. Tada-San, eine Dichterin, betreibt in Osaka ein Café für Obdachlose und gibt ihnen Poesiekurse; Shige-San ist ein pensionierter Polizist, der in einem japanischen Küstenort Lebensmüde davon abhält, von den steilen Klippen zu springen. Und der Taucher Alfredo aus Mexiko, ein Mensch mit übergroßer Liebesfähigkeit, tanzt Unterwasser-Ballett mit Manta-Rochen.

Die Farbe der Sehnsucht Film von Thomas Riedelsheimer.
Doha

Kongenial: Regisseur Thomas Riedelsheimer fand die Bilder für das Thema Sehnsucht, Julius Krebs die Musik.

(Foto: Filmpunkt)

"Es ist verrückt, dass das alles wahre Geschichten sind, jede hat ihre eigene Poesie, nur deshalb konnte ich die Musik auch so schreiben", sagt Julius Krebs, den der Münchner Filmemacher gleich in seiner Nähe fand. Julius besuchte damals wie Riedelsheimers Kinder das Albert-Einstein-Gymnasium in Harlaching, die Familien sind befreundet. Das erste, was man von ihm im Film sieht, sind seine Hände auf den Klaviertasten. Dann fährt die Kamera hinauf in das Gesicht eines nachdenklichen jungen Mannes. Später filmt ihn Riedelsheimer dabei, wie er auf dem Skateboard durch die Stadt rollt, am Stachus als Straßenmusiker steht, mit seiner Band The Tonecooks auftritt oder wie er sich bei der Abi-Rede des Direktors nur mit Mühe das Lachen verkneifen kann.

Filmmusik: Die Musik von Julius Krebs begleitet nun einen ganzen Film.

Die Musik von Julius Krebs begleitet nun einen ganzen Film.

(Foto: Privat)

Das mit der Filmmusik habe sich nach und nach ergeben, sagt Krebs. Zunächst habe er Riedelsheimer nur das Desiderium vorgespielt, dann kam ein Stück ums andere hinzu: "Irgendwann hat sich Thomas dazu entschieden, mich alles machen zu lassen." Die Arbeit am Film-Score ist dann ein Prozess, Krebs bekommt vom Regisseur die Filmsequenzen per Datei zugesandt. "Ich habe dann das Laptop aufs Klavier gestellt, Ruhe einkehren lassen und versucht, mich auf die Atmosphäre der Szenen einzulassen", erzählt er. Keine leichte Aufgabe für einen 18-Jährigen. Welche Töne findet man für graue Bilder, die müde, obdachlose Männer dabei zeigen, wie sie in einer trostlosen Halle auf dem nackten Fußboden ihr Nachtlager aufschlagen? Aufgenommen hat Julius Krebs die Tracks bei sich zu Hause beziehungsweise in einem Studio.

Der Student kommt aus einer musikalischen Familie. Seine Mutter Sabine stand früher in einer Punk-Band an der Gitarre, Vater Christian spielt klassische Gitarre. Er selbst hatte mit sechs Jahren den ersten Klavierunterricht, später fand er das Spiel nach Noten zu fade, das Üben zu anstrengend. Irgendwann kam dann die Gitarre, das Instrument hat er sich selbst beigebracht. Schlüsselfigur und stilprägend war für ihn ein früh verstorbener Gitarren-Genius, die Singer-Songwriter-Legende Nick Drake.

Der Film kehrt bei seiner Reise durch die Kontinente immer wieder nach München zu Julius zurück. Einmal gibt es einen harten Schnitt von den japanischen Selbstmörder-Klippen zurück nach München, in die reiche Stadt, in der junge Menschen wie Julius Krebs ein vermeintlich sorgenfreies, privilegiertes Leben führen.

Doch man hört nun dem Schüler zu, wie er zögernd von einem Freund erzählt, der sich das Leben genommen hat. Er spricht davon, wie er an der Gesellschaft leidet, in der mehr und mehr die Gefühle verloren gehen. Sehr Persönliches habe er damals von sich preisgegeben, sagt Julius Krebs heute, damit habe er sich angreifbar, verletzbar gemacht. Aber: "Ich habe mich irgendwann dafür entschieden, so offen wie möglich zu sein."

Inzwischen hat er den Film etliche Male gesehen. Seine Lieblingssequenz sind die Unterwasseraufnahmen mit Taucher Alfredo, wie dieser über Seealgen-Teppiche und Korallenbänke gleitet, mit den Rochen tanzt. Julius Krebs, er studiert derzeit in Würzburg, will einmal Meeresbiologe werden. Oder vielleicht doch Musiker. Sehnsucht, das sei für ihn, alle Gedanken zuzulassen, Möglichkeiten offen zu lassen, nichts zu planen. Oder wie Regisseur Riedelsheimer sagt: "Zu Hause ist dort, wo man losläuft." Ganz sicher ist sich Julius Krebs aber bei seiner Farbe der Sehnsucht. "Blau, blau wie das Meer!"

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