Süddeutsche Zeitung

Film über die Spider Murphy Gang:Karriere im Sperrbezirk

Vor mehr als 40 Jahren ist die Spider Murphy Gang zum Rock'n'Roll gekommen. Jetzt hat Jens Pfeifer einen Dokumentarfilm über die münchnerischste aller Bands gedreht.

Von Oliver Hochkeppel

Immer wieder wird festgestellt, dass es anders als etwa in Hamburg oder Berlin einen typischen Münchner Pop nicht gibt. Es gibt aber eine Band, die für München steht wie keine andere, eine, die vor 35 Jahren den Lokalkolorit mit Hits wie "Skandal im Sperrbezirk" oder "Schickeria" eingefangen hat und von der die einzige echte München-Hymne ("Sommer in der Stadt") stammt: die Spider Murphy Gang. Nicht zuletzt ist die Truppe um die Ur-Spiders Günther Sigl und Barny Murphy die langlebigste der hiesigen Szene.

Die Stationen sind bekannt: wie man als klassische Rock 'n' Roll-Band anfing und im Schwabinger "Memoland" zur lokalen Größe aufstieg; wie BR-Moderator Georg Kostya sie für sein "Rock House" entdeckte und Sigl dazu "zwang", statt englischer bairische Texte zu schreiben; wie man damit ganz oben auf der Neuen Deutschen Welle ritt; wie sich das Ur-Quartett auflöste und man erst mit dem "Über-die-Dörfer-Tingeln" wieder ein Publikum fand; und wie man seit etlichen Jahren wieder zu echten Lieblingen wurde, die problemlos den Circus Krone oder die Olympiahalle füllen und es unlängst gar zu Musical-Titelhelden brachten. Eine filmreife Geschichte also. Und so läuft nun von Donnerstag an - Premiere war gerade auf dem Filmfest -, vorerst in 62 bayerischen Kinos sowie einem in Berlin der 91-minütige Dokumentarfilm "Spider Murphy Gang - Glory Days of Rock 'n' Roll" an.

Möglich gemacht haben das die Produzenten Daniela Ljubinkovic und Stefan Donaubauer, letzterer ein echter Fan, der "Pfiat di Gott, Elisabeth" als Klingelton und das Projekt immer schon im Auge hatte. Als Regisseur fiel ihre Wahl auf Jens Pfeifer, aus mehreren Gründen ein Glücksgriff. Der HFF-Absolvent - der auch Ethnologie und Jura studiert hat - arbeitet vielseitig fürs Fernsehen, vom Kinderfilmbereich bis zu Musikbeiträgen für "Aspekte" oder "KlickKlack", und hat schon 2011 mit seiner Doku "Phoenix in der Asche" seinen feinen filmischen Blick auf reale Personen bewiesen. Zum anderen hatte der 43-Jährige, obwohl er aus der NDW-Hochburg Hagen (die Humpe-Schwestern, Nena, Extrabreit, sie alle kamen von dort) stammt, mit der Spider Murphy Gang bislang überhaupt nichts am Hut. "Ich bin musikalisch eher mit Punk und Indie-Rock aufgewachsen. Als jetzt das Angebot für die Spiders-Doku kam, saß ich an einem Drehbuch für etwas komplett anderes und musste erst einmal darüber schlafen."

Der Abstand aber erwies sich als wichtig. Pfeifer nähert sich seinen Protagonisten so mit der nötigen Unvoreingenommenheit, kommt der besonderen Beziehung zwischen Sigl und Murphy besser auf die Spur als ein Fan. Das zeigt sich besonders bei den Szenen, die gewissermaßen die Rahmenhandlung ergeben. Da hat Sigl wieder einen Song für die Band geschrieben, "Glory Days of Rock 'n' Roll" eben, nach vielen Jahren der erste neue, und bei den Proben sieht man dann sehr deutlich, warum: Eigentlich bewegen sich die beiden inzwischen in ihren eigenen, verfestigten Welten, nur beim Zusammenspiel im gewohnten Rahmen ergibt sich dieses magische Band zwischen ihnen. Die Arbeit an Neuem aber ist für sie schwierig.

Der Film verdichtet Vergangenheit und Gegenwart

Natürlich arbeitet Pfeifer auch die Geschichte der Band spannend ab, mit viel altem, teilweise bislang unveröffentlichtem Originalmaterial. Schneidet schon beim Einstieg einen aktuellen Auftritt mit einem aus der großen alten Zeit zusammen. Lässt erstmals en detail die musikalischen Einflüsse erklären. Zeigt die alten Aufnahmen vom DDR-Gastspiel der Band und lässt Sigl und Murphy im Archiv die Stasi-Berichte darüber lesen. Lässt viele Beteiligte zu Wort kommen, von Willie Duncan, der ganz früh als Tourmanager (und zwar ein völlig überforderter, wie er erzählt) dazu stieß, bevor er zum Begleitmusiker aufstieg, über den ewigen Manager Jürgen Thürnau bis zu Ludwig Seuss, seit 1987 Keyboarder der Band. Und spart auch die harte Zeit nicht aus, als das Erfolgsquartett auseinanderfiel. Eindrucksvoll ist vor allen der Besuch beim Ex-Schlagzeuger Franz Trojan, der mit dem Erfolg und den Drogen nicht zurechtkam, komplett abstürzte, aber jetzt offensichtlich in Kamp-Linford wieder seinen Weg gefunden hat.

Wie alle guten Dokumentarfilme findet auch dieser Geschichten über sein eigentliches Thema hinaus. Es ist die Geschichte einer besonderen Freundschaft von Ungleichen. Aber auch eine vom untergegangenen Schwabing, drastisch vor Augen geführt, wenn Sigl und Murphy durch die Ruine des "Schwabinger Podium" und durch den Designermöbelladen streifen, der früher das "Memoland", der Ort ihrer ersten Triumphe war. So ist Pfeifers Film nicht zuletzt einer über eine vielleicht nicht vergessene, aber verlorene Zeit. Die dadurch wieder zum Leben erwacht, dass sich zwei mit ihr eng verbundene Figuren einfach stoisch in ihr weiterbewegen. Ganz nach dem Motto, das Günther Sigl ausgibt, wenn er über seinen Tinnitus und andere Malaisen spricht: "Ein Rock 'n' Roller gibt nicht auf."

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SZ vom 03.07.2019/lfr
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