Filmfest München:Der Mensch und seine Monster

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In Maren Ades Film Toni Erdmann schlüpft der Vater (Peter Simonischek) von Hüllers Filmfigur in diese Zottel-Tier-Verkleidung und sprengt so die Party seiner Tochter. (Foto: Ian Langsdon/dpa)

Beim 34. Filmfest München begegnen die Besucher unzähligen Ungeheuern, Biestern und so manchem Star.

Von Susanne Hermanski

Offiziell steht das 34. Filmfest München unter dem Motto "Leidenschaft". Das passt immer zum Film, denn ohne Leidenschaft gäbe es nichts: Kein Drehbuchautor würde ohne sie das Umschreiben dutzender Fassungen ertragen, kein Schauspieler die Nachtdrehs, kein Produzent die dauernd drohende Pleite.

Doch wenn man das Programm des Festivals genauer unter die Lupe nimmt, dann lässt sich da noch ein ganz anderer roter Faden entdecken: Es sind die Monstren, die Ungeheuer, die Biester und die Nachtgesellen, die sich in vielen Filmen - gut wie böse - tummeln. Das können freundliche Zottelwesen sein, wie der Kukeri aus Maren Ades Toni Erdmann, mit dem das Festival am Donnerstag, 23. Juni, eröffnet, aber auch solch klassische Wesen aus der Genre-Abteilung von Horror und sonstigen Späßen wie die diabolischen Logenbrüder aus Smaragdgrün.

Diesen dritten Teil von Verfilmungen der populären Jugendbuch-Reihe würde man eher nicht im Programm erwarten. Doch auch ein Festival hat Gespenster, die umgehen - in diesem Fall ist dessen Name: Überalterung. So gehört es zu den Versuchsballons, in diesem Jahr in München erstmals ein spezielles Angebot für jugendliche Filmfans zwischen 12 und 18 Jahren zu machen.

Sie können für 25 Euro die Edelstein-Karte erwerben, die gegen fünf Filme eingelöst werden kann: Zusätzlich zu den drei Filmen aus der Fantasyreihe - Rubinrot, Saphirblau und Smaragdgrün, denen die Karte ihren Namen verdankt - stehen die beiden Filme Ein Lied für Nour und Morris aus Amerika zur Auswahl. In ersterem macht ein Junge bei der Castingshow "Arab Idol" in Kairo mit; der 13-jährige Morris versucht unterdessen, sich in seiner neuen Heimat Heidelberg zurechtzufinden.

Dem Moloch Fußball entrinnen

Noch einem weiteren Ungeheuer gilt es entgegenzutreten, wenn man sich die Neuerungen auf dem Festival ansieht: der Fußball-EM. 2016 ist das Festival an drei Tagen während der Europameisterschaft zum Auswärtsspiel in der Public-Viewing-Arena des Flughafens München zu Gast. Bis 10. Juli werden dort auf der 41 Quadratmeter großen LED-Leinwand im Forum des Airport Centers alle EM-Spiele übertragen. Aber an den spielfreien Tagen präsentiert das Filmfest nun dort, wo es seine internationalen Gäste empfängt, immer um 20 Uhr, Filme rund ums Thema Fußball. Der Eintritt ist frei und fünf Stunden kostenlos parken im Parkhaus P20 darf man obendrein.

Den Anstoß macht am 24. Juni Hans Steinbichler mit seinem Film Landauer - Der Präsident über den einstigen Präsidenten des FC Bayern München, Kurt Landauer, der in den 1930er Jahren als Jude dem Club vorstand und zur Flucht in die Schweiz gezwungen wurde. Am 28. Juni dokumentiert Next Goal Wins den Aufstiegskampf der Fußballnationalmannschaft der Pazifikinsel Samoa. Der Dokumentarfilm Referees At Work gewährt am 29. Juni Einblicke in die Arbeit der Unparteiischen während der Fußball-EM 2008.

Programm 2016
:Was das Filmfest zu bieten hat

Ob Retorspektiven, deutsche Reihen oder das Kinderfilmfest: Alle Informationen zum Programm finden Sie hier.

Aber es soll ja auch Leute geben, die dem Moloch Fußball gerade durch das Filmfest entrinnen möchten. Feierbiester dürfen ruhig auch unter diesen sein, denn es gibt dieses Jahr wieder jede Menge öffentliche Filmfest-Partys. Unter dem Schlagwort "Nights Out" sind die im Programm gebündelt.

Das Festival arbeitet dafür mit Partnern zusammen: dem Kulturstrand der Urbanauten, dem Bob Beaman Club und dem Club Milla. Zudem stehen interaktive Performances zweier Theater und Künstlergruppen auf dem Plan, und besonders interessant: Das Film-Volk-Fest von Holleschek+Schlick, die eine Abrissparty in einer ehemaligen Fabrik ausrichten (Eingang Regerstraße 28, Sa., 25.6., 21 Uhr). Kaum einen Kilometer vom Festivalzentrum entfernt, zeigen sie dort den neuen Film Affenkönig von Oliver Rihs ( Schwarze Schafe).

Rihs schildert darin einen Abriss von Lebensentwürfen, passend projiziert im Abrissgelände. Und danach folgt laut der Veranstalter "der Affentanz mit DJ, ein Affenzirkus mit den Darstellern, nach Mitternacht einen Affen sitzen haben und am nächsten Morgen dann einen Affen schieben" (Reservierung empfohlen unter www.zuendeln.de). Erinnert an King Kong!

Eine der größten Sausen ist alljährlich das Filmfest Abschlussfest im Gasteig Innenhof (Sa., 2.7., 22 Uhr), bei dem das Filmfest-Team und viele internationale Gäste feiern. Doch um die dann auch zu erkennen - schließlich sind bei Nacht alle Partylöwen grau - sollte man davor schon einmal eifrig die Reihe "Filmmakers live" besucht haben. In dieser schönsten Einrichtung des Festivals stellen sich viele interessante Gäste Live-Interviews in der Black Box. So zum Beispiel die diesjährige Cinemerit-Preisträgerin Ellen Burstyn, die von ihrer sechzigjährigen Schauspielkarriere vom Exorzisten bis zu House of Cards erzählen wird (mehr dazu auf Seite 2). Ferner kann man dort Regisseuren wie Terence Davies, Whit Stillman, Todd Solondz, Carlos Saura und Lionel Baier begegnen.

Die Regisseure der Reihe Neues Deutsches Kino stellen sich regelmäßig um 16 Uhr im Vortragssaal der Bibliothek dem Publikum und seinen Fragen. Weil vieles von "Filmmakers live" erst kurzfristig angekündigt werden kann, finden sich aktuelle Informationen am besten auf www.filmfest-muenchen.de sowie den Social-Media-Kanälen des Festivals.

Ein Tipp noch für alle, die eher für die Ewigkeit planten: Den Katalog zum Festival gibt es in diesem Jahr erstmals nur noch in der digitalen Version. Das 1245 Gramm schwere Monsterchen war in den vergangenen Jahren immer weniger gefragt. Dafür befinden sich nun auf der Website des Festivals - zusätzlich zum aktuellen - auch alle Kataloge aller vergangenen 33 Filmfeste.

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© SZ vom 22.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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