Die 41. Ausgabe des Filmfests München markiert eine Zäsur. Es ist das erste Festival unter der Regie des neuen Direktors Christoph Gröner, nachdem Diana Iljine 2023 zurückgetreten war. Die größten Innovationen sind vier Gala-Abende im Deutschen Theater und das neu justierte Angebot für junges Publikum („CineKindl“ und „CineYou“); außerdem das frische Wellen-Design, das sich auch bei den „CineWaves“ genannten Wettbewerbstrophäen widerspiegelt, und die leicht veränderte Festivalstruktur (es gibt zwei Warm-up-Tage, bevor der Eröffnungsfilm gezeigt wird).
Insgesamt stehen von Freitag, 28. Juni, bis Sonntag, 7. Juli, 150 Filme aus 53 Ländern auf dem Programm, darunter 62 Welt-, Europa- oder internationale Premieren. 40 Prozent der Filme kommen von Regisseurinnen, wie die Veranstalter betonen. Zu den Spielorten zählen neben den bewährten Kinos, darunter Arri, City, HFF und Rio sowie die Open-Air-Spielstätte „Kino, Mond & Sterne“, nun auch das Cinema. Kooperationen mit anderen Münchner Kulturinstitutionen, zum Beispiel mit dem Museum Brandhorst oder den Kammerspielen, gibt es ebenfalls wieder. Auch das Amerikahaus als Festivalzentrum und Branchentreff („Beergarden Convention“) bleibt bestehen. Das vollständige Programm ist unter filmfest-muenchen einsehbar, der Kartenvorverkauf startet am Freitag, 21. Juni. blö
Ehrengäste und Galas
Namhafte Persönlichkeiten verdienen große Auftritte. Mit den Oscar-Gewinnerinnen Kate Winslet („Der Vorleser“) und Jessica Lange („Tootsie“, „Operation Blue Sky“) werden zwei Weltstars in München erwartet, die den Namen auch verdienen. Die 48-jährige Engländerin stellt den von ihr produzierten Film „Die Fotografin“ vor. In dem Biopic (Originaltitel: „Lee“) über die Kriegsfotografin Lee Miller (1907–1977) spielt sie die Hauptrolle, an der Seite von Marion Cotillard, Alexander Skarsgård und Andrea Riseborough. Regie führte Ellen Kuras („Vergiss mein nicht!“). Ihre US-amerikanische Kollegin feiert in München die internationale Premiere des Films „The Great Lillian Hall“ mit ihr in der Hauptrolle, an der Seite von Kathy Bates, Lily Rabe, Jesse Williams und Pierce Brosnan. Außerdem zeigt die 75-Jährige im Deutschen Theatermuseum erstmals Foto-Arbeiten, die sie während des Lockdowns in New York City gemacht hat. Winslet und Lange werden beim Filmfest mit dem „CineMerit“-Award ausgezeichnet, für ihre Verdienste in der Filmkunst.
Den Gästen aus Hollywood werden im Deutschen Theater Gala-Abende gewidmet, jeweils mit Filmpremiere, Preisverleihung und Gespräch. Insgesamt wird der neue Filmfest-Ort viermal bespielt, und zwar gleich in den ersten Festivaltagen: Am Sonntag, 30. Juni, sind hier Checker Tobi (14 Uhr, siehe Programm für junge Leute) und Jessica Lange (18 Uhr) zu erleben, am Montag gibt’s die Publikumspremiere des Eröffnungsfilms „Zwei zu eins“, am Dienstag krönt dann Kate Winslet den Gala-Reigen (19 Uhr). blö
Eröffnungsfilm und Abschlussfilm
Anders als bei den Opernfestspielen oder den im Sommer unvermeidlichen White-Partys spielt das Thema Dresscode im Kino keine so große Rolle – außer beim Filmfest vielleicht: „Ich soll mir was Schwarzes anziehen“, sagt Sandra Hüller in „Zwei zu eins“, ganz sicher scheint sie sich aber nicht zu sein. Kein Wunder, sie will ja nicht in die Oper: Die Komödie „Zwei zu eins“ ist der diesjährige Eröffnungsfilm, es geht um drei befreundete Ostdeutsche, die im Sommer 1990 einen Schatz finden. Genauer gesagt ist es altes DDR-Geld, das in einem Schacht gelagert wurde – und das sie ausgeben, bevor es nichts mehr wert ist. Regisseurin Natja Brunckhorst erzählt eine auf wahren Geschehnissen basierende Geschichte, sie wird den Film persönlich vorstellen (unter anderem im Deutschen Theater), ihre in diesem Jahr Oscar-nominierte Hauptdarstellerin und ihre Co-Stars Ronald Zehrfeld und Max Riemelt haben sich ebenfalls angesagt. Nach München kommen will auch der isländische Regisseur Baltasar Kormákur: Seine Literaturverfilmung „Touch“ (über einen dementen Isländer, der zu seiner Jugendliebe nach Japan fliegt) ist der Abschlussfilm des Festivals. grü
Deutsche Filme und Serien
Dass aus einem Land, das als nicht ganz so geschmackssicher gilt, in dem man Funktionskleidung für Mode und Currywürste für eine kulinarische Errungenschaft hält, gute Filme kommen, hat das Filmfest oft bewiesen: Sein nationales Film- und Serienprogramm überzeugt jedes Jahr aufs Neue. Dieses Mal ist es besonders vielseitig, auf dem Programm stehen Puppenfilme („Hallo Spencer“ wurde von Jan Böhmermann mitproduziert und geschrieben) und Politsatiren (in „Die geschützten Männer“ werden ebenjene von einem Virus dahingerafft). Es gibt Genrefilme („Klandestin“, „Frisch“), aufregende Historienfilme („Führer und Verführer“, „Die Ermittlung“), potenzielle Serien-Hits („Turmschatten“, „Perfekt verpasst“) und neue deutsche Heimatfilme („Milch ins Feuer“, „Another German Tank Story“).
Auch das Dokumentarfilm-Programm klingt vielversprechend: „Petra Kelly – Act Now!“, erinnert an die 1992 verstorbene Grünen-Politikerin, in „Die Schule der Frauen“ porträtiert Marie-Lou Sellem weibliche Kulturschaffende über 50. Gleich mehrere Biopics stehen auf dem Programm, über Katarina Witt („Kati – Eine Kür, die bleibt“), das Künstlerpaar „Münter & Kandinsky“ oder den Erfinder der Blue Jeans (die vierteilige Serie „Call Me Levi“). Und da Sommer ist, geht es gleich in mehreren Filmen ums Urlaubmachen: In „Micha denkt groß“ will Charly Hübner ein Wellness-Hotel eröffnen, in „Sonnenplätze“ mit Juliane Köhler streitet sich eine Familie im Ferienhaus auf Lanzarote, und in „Alles Fifty Fifty“ macht ein Ex-Paar (Laura Tonke und Moritz Bleibtreu) Italien-Urlaub mit Kind. grü
Internationales Kino
Die Welt zu Gast bei Freunden: Das Motto der Fußball-WM 2006 im eigenen Land gilt noch, nicht nur auf dem Rasen. Auch das Filmfest will Freundschaften schließen, mit dem Publikum, Fachgästen und Filmschaffenden aus aller Welt. Besondere Aufmerksamkeit dürfte den sechs internationalen Weltpremieren zukommen: Désirée Nosbusch etwa wird ihr spätes Kinoregiedebüt „Poison“ (mit Trine Dyrholm und Tim Roth) vorstellen, der Brasilianer Davi Pretto seine internationale Spielfilmkoproduktion „Continente“, der Kanadier Jamie Kastner den Dokumentarfilm „The Spoils“ über den Umgang mit NS-Raubkunst. Eine Sonderreihe dreht sich um das aktuelle Filmschaffen in der Ukraine.
Die Welt zu Gast im Kino: Festival-Hits wie das polnische Transdrama „Frau aus Freiheit“ oder das US-Beziehungsdrama „Memory“ (mit Jessica Chastain und Peter Sarsgaard) liefen im Wettbewerb von Venedig – und sind jetzt in München zu sehen. Frisch aus Cannes kommen Yorgos Lanthimos’ „Poor Things“-Nachfolger „Kinds of Kindness“ (wieder mit Emma Stone), der feministische Horrorfilm „The Substance“ mit Demi Moore oder das mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnete Drama „All We Imagine As Light“ aus Indien. Und wer Vicky Krieps und Viggo Mortensen als Paar im Wilden Westen erleben möchte, ist beim in Toronto uraufgeführten Western „The Dead Don’t Hurt“ richtig. grü
Programm für junge Leute
Die drei Freundinnen Jamila (9), Rachel (11) und Faseeha (12) sind Teil des Rap-Projekts „Sisterqueens“ im Berliner Wedding. Unter Anleitung etablierter Rapperinnen lernen sie, sich selbst zu feiern, gesellschaftliche Normen zu hinterfragen und Ungerechtigkeiten anzuprangern. Clara Stella Hünekes Dokumentarfilm begleitet die drei Mädchen über vier Jahre hinweg bei ihren ersten Schritten als junge Künstlerinnen, die den Geschlechterklischees im Rap die Stirn bieten. „Sisterqueens“, empfohlen ab zehn Jahren, läuft als Eröffnungsfilm des Programms „CineKindl“ (ehemals Kinderfilmfest) am 29. Juni. In dieser Sektion erzählen viele der Spiel- und Dokumentarfilme aus allen Ecken der Welt von den Herausforderungen des Erwachsenwerdens: Repräsentativ dafür sind die Coming-of-Age-Filme wie Lucy Cohens Spielfilmdebüt „Edge of Summer“ um die elfjährige Evie oder „Didi“, das Langfilmdebüt des Oscar-nominierten Regisseurs Sean Wang um den 13-jährigen Chris und seinen (Online-) Flirt mit einer Schulkameradin.
Auch wenn das Programm für junges Publikum einen neuen Namen trägt, ist das Kurzfilmprogramm „Kurzes für Kleine“ für jüngste Filmfans ab acht Jahren erfreulicherweise ganz das alte: Darunter der Animationsfilm „Mein Name ist Edgar und ich habe eine Kuh“ (Tschechien 2023) von Filip Diviak über einen begeisterten Fleischesser. Doch als er erfährt, dass das süße, neugeborene Kalb im Schlachthof bald als Schnitzel auf dem Teller landen wird, nimmt er es kurzerhand mit nach Hause. Der Film wird am 29. Juni und 3. Juli im Audimax der HFF in der Originalfassung mit deutscher Einsprache gezeigt. Neu hingegen ist das von Programmleiter Tobias Krell gestartete Format „CineYou“, das Workshops, Projekte und Veranstaltungen versammelt, die jungen Besuchern ermöglichen, aktiv am Festival teilzunehmen. Dazu gehört auch am 30. Juni die Live-Show „Zauberwelt Kino“ im Deutschen Theater, in der er als Fernsehmoderator „Checker Tobi“ mit dem Publikum hinter die Kulissen des Filmemachens blickt. by
Events und Partys
Der Name sagt es bereits: Beim Filmfest geht es um Filme und um Feste. Davon gibt es reichlich, nicht nur die obligatorischen Stehempfänge oder Premierenfeiern. Aus Anlass der Ausstellungseröffnung von „Andy Warhol & Keith Haring. Party of Life“ im Museum Brandhorst findet am 28. Juni ebendort eine Film-, Musik- und Partynacht statt. Dazu passt die Filmreihe „Sparkling and Wild: 80s New York in Film“, die in den Kinos der HFF zu sehen ist. Gefeiert wird auch im Club „Goldener Reiter“, wo am 4. Juli ein Filmfest-Karaoke-Abend stattfindet. Im Amerikahaus werden am 28. Juni die Starter Filmpreise der Stadt München verliehen. Dort finden auch die „Filmtalks“ statt, mit Stars wie Anke Engelke und Bastian Pastewka (1. Juli), Viggo Mortensen (3. Juli), Heiner Lauterbach (5. Juli) oder dem Japaner Shin’ya Tsukamoto (6. Juli), dem eine kleine Hommage gewidmet ist. grü
SZ- und BR-Publikumspreis
Während des Filmfests werden zahlreiche Preise vergeben. Die Bandbreite reicht vom „CineMerit“-Award für herausragende Persönlichkeiten (Jessica Lange und Kate Winslet) über die neu gestalteten „CineWaves“-Trophäen der Wettbewerbsreihen „CineMasters“, „CineVision“ und „CineRebels“ zu den in der Branche wichtigen Förderpreisen Neues Deutsches Kino und Bernd-Burgemeister-Fernsehpreis. Nach vier Jahren ist mit dem „CineCoPro“-Award der Wettbewerb um den mit 100 000 Euro sehr hoch dotierten deutschen Koproduktionspreis zurück.
Am interessantesten für die Besucher sind wohl die Publikumspreise, die fortan „Audience Award“ heißen. Die von SZ und BR präsentierten Auszeichnungen werden 2024 erstmals in zwei Kategorien vergeben: für deutsche und für internationale Filme. Jeder Zuschauer kann via QR-Code die Filme bewerten, die er gesehen hat. Teilnehmende können zwei mal zwei VIP-Tickets für „Klassik am Odeonsplatz“ am 12. Juli gewinnen. Die Preisverleihung findet im Rahmen der Filmfest-Award-Gala am 6. Juli im Amerikahaus statt. Das junge Programm „CineKindl“ hat einen eigenen „Audience Award“. blö