Filmfest München:Champagner! Anstoßen! Wann gab es das zuletzt?

Fiilmfest München, Filmpremiere, 2021

Auch beim Kino Mond und Sterne sind Filme zu sehen.

(Foto: Robert Haas)

Trotz zahlreicher Premieren und Empfänge ist das Filmfest in diesem Jahr weitgehend frei von Glamour. Doch es zeigt eine Branche, die stolz ist auf ihren Umgang mit der Pandemie, voller Tatendrang - und sauer auf die Politik.

Von Philipp Crone

"Bizarr", sagt der Produzent Christian Becker am Donnerstag, dem Eröffnungstag des 38. Münchner Filmfests, vor dem Café Reitschule, wohin die bayerische Filmförderung FFF geladen hat. Zum einen natürlich, endlich wieder unter Leuten zu sein, Schauspieler, Produzenten oder Regisseure zu treffen und sich über diese absurde oder eben bizarre Zeit auszutauschen. Aber Becker ist auch einfach sauer.

Kaum eine andere Branche habe sich besser durch die Pandemie gekämpft, sagt er. Denn beim Film geht es ja nicht nur um kreative und spannende Drehbücher oder mitreißende Darstellerleistungen. Der Alltag ist vor allem: Mit plötzlich neuen Situationen und Voraussetzungen umzugehen, beim Budget oder am Set. Und nun soll hier eine Branche feiern, die zwar aus ihrer Sicht sehr gut dasteht, aber von den Regelmachern gegängelt wird. Becker grüßt rüber zu Martin Moszkowicz, dem Constantin-Chef, Regisseur David Dietl läuft vorbei, sie berichten alle das gleiche, Becker erklärt es an einem Beispiel.

Fiilmfest München, 2021

Christian Becker (dunkles Sakko) mit Autor Sebastian Fitzek am Sonntag beim Amazon-Empfang.

(Foto: Robert Haas)

"Wir haben uns ganz am Anfang sofort um alles gekümmert, zum Beispiel Desinfektionsmittel." Als es keines gab, ließen sie bei einer Gin-Destillerie welches herstellen. Die ersten mobilen Teststationen fuhren an Filmsets, wo Personenkreise "komplett getrennt" wurden und es nur verpacktes Essen gab. Gedreht wurde immer, nur nicht im Kino gezeigt. Moszkowicz formuliert es so: "Man hätte Herstellungsleiter bei der Infektionsbekämpfung einsetzen sollen." Deren Beruf ist es, in jedem Moment für jedes Problem eine Lösung zu haben. Ellbogencheck mit Ilse Aigner, der Abgesandten der Politik, die etwa 150 Zentimeter Abstand zwischen zwei Stühlen im Kino vorschreibt. "Manche Kinosäle haben Abstände von 147", sagt Moszkowicz. Geht nicht. Und dann immer diese anderen Bilder, vom Fußball.

Aber Moszkowicz ist eben auch Filmmann, und in dieser Branche wird man ohnehin nur zugelassen, wenn man ein hohes Maß an Optimismus und Zuversicht ausstrahlt. "Kino kommt wieder", sagt er, "es ist konkurrenzlos". Regisseur Dietl kommt direkt aus dem Schneideraum zum Empfang, er hat für Sky die Serie "Paradiso" gedreht, unter anderem in Norditalien, Brasilien und New York, beste Wahl also im Coronajahr 2020. Es ging trotzdem, und jetzt sitzen die Menschen auch endlich wieder im Kinosaal. "Ich war zwischendrin skeptisch, ob das Kino überlebt", sagt Dietl, "aber es ist durch diese Zeit sogar bestärkt worden." Nach einem Jahr Streamen auf kleinen Bildschirmen auf der Couch könne man jetzt wieder erfahren, was Kino mit einem macht. "In einem Saal kann man sich einlassen, wird man mitgenommen, ist die Konzentration höher, da zieht es dich in eine Filmwelt richtig rein." Stimmt das?

Am Donnerstagabend bei der Eröffnung zumindest wird gejubelt und applaudiert, und die Premiere von "Lieber Thomas" über den Schriftsteller Thomas Brasch am Freitag ist dann schon ein guter Test für den Sog des Kinos. Im Open Air im Westpark wird der Schwarz-Weiß-Film gezeigt, ein nachdenklicher, verstörender und anregender Film. Hauptdarsteller Albrecht Schuch sitzt vor der Premiere auf einem Mäuerchen und schaut auf den kleinen See hinter der Leinwand und fragt: "Ob der Film auch Open Air funktioniert?"

Während ein paar Kilometer weiter Tausende Italiener sich schwitzend und ohne Maske in den Armen liegen, dürfen hier fünf Personen gleichzeitig und mit Maske auf den kleinen roten Teppich, vorausgesetzt, sie haben die richtigen Laufwege eingehalten. Schuch sieht einen Sonnenuntergang, neun Enten und einen Schwan, neben ihn tritt Jella Haase, die als Chantal in den "Fack ju Göhte"-Filmen bekannt wurde und deshalb auch an diesem Abend von zwei Mädchen angehimmelt wird.

Schuch, Haase und das Filmteam müssen sich fürs Foto versetzt aufstellen. "Aber wir sind doch getestet", protestiert Schuch müde. Er nimmt Haase dann doch einfach in den Arm, sie können ja sagen, sie hätten ein Tor der Italiener bejubelt. Haase sagt: "Ich freue mich so, dass wir jetzt alle wieder zusammen in fremde Welten eintauchen können." Etwa die von Schriftsteller Brasch in der DDR. Und dann taucht man auf mit der Erkenntnis, wie wichtig es ist, "unbequem zu bleiben und im besten Sinne ein störender Geist, der die Welt in Frage stellt" Einfacher Einstieg wäre da die Corona-Welt.

Maria Furtwängler oder Fack-ju-Kollege Max von der Groeben machen es sich in Gartenstühlen gemütlich, Haase holt noch Popcorn, der Film startet mit dem ungeplanten Zusatz-Sound Vogelgezwitscher und Feiernden auf einer angrenzenden Wiese, aber der Sog saugt die Störelemente einfach weg. Brasch dichtet: "Bleiben will ich, wo ich nie war", auch das könnte eine schöne Umschreibung für die Fähigkeit von Film sein. Als Schuch alias Brasch zu seinem Vater sagt: "Die Welt ändert sich nicht, wenn man sich zufrieden gibt", sind Vögel und Feiernde längst vergessen.

Fiilmfest München, Filmpremiere, 2021

Jella Haase und Albrecht Schuch im Westpark.

(Foto: Robert Haas)

Dieses Filmfest mit seinen Freiluftpremieren und abgesagten Empfängen entfaltet keinen Glamour, aber es geht gerade auch um andere Dinge. Sich wieder treffen zum Beispiel, wie am Samstagabend im Hofbräu-Biergarten am Wiener Platz. Da steht Schauspieler Francis Fulton-Smith und stößt mit einem Ruinart-Rosé an. Champagner! Anstoßen! Wann gab es das zuletzt? Während sonst das erste Wochenende übersprudelt vor prickelnden Glasflöten, bei zig Empfängen, steht der Darsteller vor nur drei Tischen. Man mischt sich wieder, Casterin Franziska Aigner, Hofbräu-Chef Michael Möller oder der Chef der Bavaria-Film. Sich wirklich wieder zu treffen, genießen gerade die Darsteller sehr.

Fulton-Smith dreht für den Film und kennt auch die Theaterbühne, der Unterschied ist etwa wie ein Live-Treffen und ein Zoom-Meeting. "Zoom ist toll", sagt er, "aber es geht so viel verloren, etwa den Augen-Blick im Wortsinne wahrzunehmen, das geht nur live."

Auch für Casterin Aigner ist das reale Treffen unerlässlich. Sie hat das Gefühl, dass gerade etwas mehr leichte und humorige Stoffe gefragt sind. Da ja alles auch in Serien übersetzt wird, ob es nun die von Marcus H. Rosenmüller demnächst für RTL gedrehten neuen Pumuckl-Folgen sind oder die Sisi, die Aigner neu besetzt. Jannik Schümann "spielt in der größten Liebeskomödie der Welt den Franzl und hat sich gerade geoutet", sagt sie, "das ist doch mal modern". Und die Sisi wird eine Neuentdeckung, Dominique Devenport.

Neue Gesichter für große Rollen, auch das scheint ein Trend zu sein. Aigner muss los, die Premiere von "Das Mädchen mit den goldenen Händen" im Kino am Olympiasee. Hier sind es nur zwei Enten, die der Regisseurin Katharina Marie Schubert und Hauptdarstellerin Corinna Harfouch beim Posieren für die Fotografen zusehen. Auch hier: kein Glamour, dafür viel Nähe und Zuneigung. Schubert stellt Harfouch ihre beiden Brüder vor und sinniert, wie diese Geschichte über eine Frau und ihre Familie wohl wirkt, die zehn Jahre nach dem Mauerfall zwischen Ost und West zerrissen ist, bevor sie in ihren Strandliegen versinken und hoffen, dass der Film den Leuten gefällt und es nicht regnet. Beides gelingt.

Fiilmfest München, Filmpremiere, 2021

Marie Schubert (rechts) und Corinna Harfouch im Kino am Olympiasee.

(Foto: Robert Haas)

Am Sonntagvormittag steht dann Produzent Christian Becker im Biergarten vom Hofbräukeller beim Empfang von Amazon neben Deutschlandchef Philip Pratt, Bestsellerautor Sebastian Fitzek. Fitzeks Buchdebüt wird als Serie verfilmt, später hat er auch einen Pandemie-Thriller geschrieben. Sein Eindruck ist, als seien Katastrophenfilme gerade während dieser Katastrophe derzeit besonders gefragt. "Vielleicht weil die Leute schon das Happy End sehen wollen?" Pratt sagt: "Es entsteht gerade eine irre Vielfalt, zu der auch wir beitragen." Amazon wolle in den deutschen Film investieren und lässt dafür unter anderem Serien produzieren, von denen einzelne Folgen ein Budget von mehreren Millionen Euro haben. "Wir suchen händeringend Leute, vor und hinter der Kamera." Das hört man auf dem Filmfest doch gerne.

So eine Aufbruchstimmung, wie sie gerade herrsche, sagt Pratt, habe er in den vergangenen 20 Jahren nicht erlebt. Und Produzent Becker, der verschiedene Veranstaltungen in den ersten Tagen besucht hat, sagt: "Die Stimmung ist einfach sehr befreit, richtig gelöst."

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