Süddeutsche Zeitung

Filmdreh im Sündenpfuhl:Letzte Klappe Schwabinger 7

Zehn Sünden in nur 30 Minuten - dafür gibt es keinen geeigneteren Ort, als den Sündenpfuhl schlechthin: die "Schwabinger 7". Bevor Bagger und Abrissbirne ihre Arbeit tun, wird in der Kultkneipe noch ein Film gedreht. Wo sonst könnte man die zehn Gebote schneller brechen?

Isabell Raddatz

Es ist stickig und vernebelt, die Bar ist in gelbes Licht getaucht. Ungewöhnlich ist die musiklose Stille, durchzogen von einem monotonen Brummen. Neben dem 35-jährigen Hannes in Anzug und Hemd sitzt die hünenhafte Dragqueen Bruno mit leuchtend roten Haaren, rosafarbenem Negligé und Schlangenlederimitat-Tasche am Handgelenk. Dass hinter der starken Schminke Götz Otto steckt, ist erst bei genauerem Hinsehen erkennbar. Während in der Schwabinger 7 in den vergangenen Jahrzehnten allabendlich viele skurrile Gestalten und Geschichten in der Realität zu beobachten waren, ist diese Szene künstlich, vielleicht sogar Kunst.

Kurz vor dem Ende durch die Abrissbirne werden für den Kurzfilm "Ten" die Räumlichkeiten der Kneipe noch einmal zum Ort der Kultur - in einem Filmset: Nach seinem Unfalltod hatte sich Hannes mit Petersen an der Himmelspforte angelegt, weil er die letzten drei Monate seiner todkranken Tochter nicht mehr erleben kann. Sie schließen eine Wette ab: Er bekommt die Zeit auf Erden, wenn er die zehn Gebote in 30 Minuten bricht - in der Schwabinger 7.

Ein anderer Drehort kam für die Autoren Christof Arnold, der auch die Hauptrolle "Hannes" spielt, und Stefan Hering nicht in Frage: "Als wir das Drehbuch fertig hatten, wussten wir: Die Geschichte kann nur in der Schwabinger 7 stattfinden", erinnert sich Regisseur Hering. Seit zehn Jahren existiert die Idee in den Köpfen der beiden. Als der Abbruch des Hauses feststand, wurde es ernst: "Wir wussten, nun heißt es: Jetzt oder nie! Also beschlossen wir: jetzt."

Schnell wurde alles arrangiert, wurden Technik, Crew und Schauspieler zusammentelefoniert. Erfolgreich, denn neben Götz Otto konnten sie unter anderem Johannes Heesters als Petersen verpflichten. Heesters hätten sie als erstes gefragt, erzählt Arnold: "Wer sollte den Petrus - oder in unserem Fall den Petersen - spielen, wenn nicht er?" Kurz darauf sagte der 107-Jährige zu, Ende Juni werden seine Szenen am Flughafen in Memmingen abgedreht. Entgegen der ursprünglichen Planung wird man ihn und die Schwabinger 7 allerdings nicht in 3D sehen können. Der benötigte Stereograph und Operator sprang kurz vor Drehbeginn für einen bezahlten Job ab. Trotzdem ist der Ausfall der 3D-Technik für niemanden eine Katastrophe. Denn eine durchgehend scharfe, nebelfreie Schwabinger 7, wie es die dritte Dimension erfordert hätte, kann sich ohnehin keiner vorstellen.

Die Kneipe ist nicht nur Dreh- und Angelpunkt der Geschichte, sondern auch des Projekts geworden. Hering lernte Dietmar Schaffarczyk als Drehbuchautor kennen. Als er ihm schließlich von der Location für "Ten" erzählte, eröffnete ihm der jetzige dramaturgische Berater, dass er mit dem Geschäftsführer Johann "Max" Meier befreundet sei und als Student vier Jahre lang selbst hinter der Theke gestanden habe. Indirekt trug er damit sogar zum Drehbuch bei: "Als wir uns die Charaktere überlegten, habe ich mir den Wirt immer mit großen Ohrringen vorgestellt", erzählt Hering. "Und Dietmar hat solche Ohrringe - vermutlich hat er mich damals, als ich als Gast hier war, inspiriert." Dank der freundschaftlichen Beziehung gewährt "Max" dem Team auch alle Freiheiten. "Wir haben mit ihm abgemacht, dass wir um neun Uhr alles abgebaut haben. Das klappt aber selten", sagt Schaffarczyk und lacht.

Die Arbeiten gehen daher auch nicht am Kneipenalltag vorbei: Gleich am ersten Abend gab es nur lauwarmes Bier für die durstigen Gäste, weil jemand während des Drehs das lästige Brummen abgestellt hatte: das Kühlsystem der Zapfanlage. An einem anderen Tag vergaßen die Techniker, ein paar Boxen wieder aufzuhängen und nahmen die Verankerungen mit - nur einseitige Musikbeschallung war die Folge. Trotzdem ist die Stimmung gelassen, auch die Nachbarn tragen dazu bei: Weil die Schwabinger 7 keine Nebenräume hat, wurde die Maske kurzerhand in "Mama's Kebap Haus" und das Catering ins Monopol-Kino ausgelagert.

An der grasgrünen Wand des angrenzenden Skaterladens lehnt nun Götz Otto in seinem schrillen Kostüm, gestikuliert grazil und klimpert mit den langen falschen Wimpern. "Eigentlich war seine Rolle anders gedacht, eher als volltätowierter Typ. Als ich sah, dass Götz Otto für die Rolle des Bruno zugesagt hat, meinte ich zu Stefan: Da müssen wir unbedingt eine Dragqueen draus machen", erzählt Arnold. Otto sei sofort begeistert gewesen und fühlt sich offensichtlich wohl: "Ich habe noch nie jemanden so oft Singen hören am Set. Und das ist doch ein Zeichen, dass es einem gut geht."

Alle sind mit viel Engagement dabei, verzichten sogar auf ihre Gage. Denn neben dem Pay-TV-Sender 13th Street Universal stellen Arnold, Hering und Schaffarczyk je zu einem Drittel das Budget bereit - Spielraum für Extrawünsche gibt es da nicht. "Der Film nimmt sich, was er braucht", bringt Christof Arnold das Mantra der Produktion auf den Punkt.

In den vergangenen Wochen und Monaten hätten sie sich sehr oft die Haare über Probleme gerauft: Drei Tage vor Drehbeginn sagte Rolf Zacher gesundheitsbedingt ab, ohne 3D-Technik waren alle bisherigen Vorbereitungen hinfällig, und die Finanzierung schien wackelig. Doch dies alles erwies sich als halb so wild: Kurzfristig sprang Arthur Brauss für Zacher in der Rolle der "Gestalt" ein, die 2D-Technik erwies sich als geeigneter - und auch das Budget reichte.

"Der Film wird wohl hauptsächlich auf Festivals laufen", beschreibt Schaffarczyk die Zukunft des Projekts. Die Fernsehrechte liegen bei dem der amerikanischen NBC-Universal-Gruppe angehörigen Sender. Eine Premiere für das Münchner Publikum wird aber stattfinden - entweder im Kino an der Münchner Freiheit oder im neuen Monopol-Kino in der Schleißheimer Straße. Wenn es soweit ist, haben Abrissbirne und Bagger ihren Job mit der Schwabinger 7 wohl schon erledigt.

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SZ vom 16.06.2011/infu
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