Filmball:Wunderbarer Quatsch

Hannelore Elsner auf dem Tisch, die Fack-ju-Göhte-Crew im Champagnerbad, Sigmar Gabriel beschwingt und Ilse Aigner mit Jägermeister-Deckel auf der Nase: Beim 45. Deutschen Filmball am Samstag im Bayerischen Hof zeigt die Branche, wie man sich elegant daneben benimmt

Von Philipp Crone

Denkt er an die wirre Szene mit Ilse Aigner? An den Auftritt von Hannelore Elsner, prompt übertrumpft von Max von der Groeben? An Sigmar Gabriels Einlage oder an das Geburtstagsständchen für Lars Eidinger? Moritz Bleibtreu sitzt am Samstag nach Mitternacht auf seinem Platz, in der linken Hand die Zigarette, die rechte am Longdrinkglas, in dem ein Eiswürfel zu "Oh, what a night" mitwippt, und schaut in den Saal.

Bleibtreu blickt auf die Tanzfläche, er wirkt nachdenklich. Dann zieht er den linken Mundwinkel nach oben, ganz leicht, das bübische Bleibtreu-Lächeln. Vielleicht überlegt er, was das alles soll, sich in Smoking und Abendkleid an festlich gedeckte Tische zu setzen, als ginge es um eine steife Silberhochzeit, nur um dann doch einfach Party zu machen und auf selbige Tische zu steigen. Vielleicht denkt er aber auch nur an eine der kuriosen, lustigen oder bewegenden Situationen zurück. Denn davon gibt es wieder einige beim 45. Filmball.

Sieben Stunden zuvor ist draußen vor dem Bayerischen Hof der rote Teppich unter einem Plastikzelt von Heizstrahlern angewärmt, die Fotografen warten in Zenturien-Stärke hinter der Absperrung auf die ersten von etwa 1000 Gästen, da biegt schon Richard Lugner ins Foyer. Der österreichische Bauunternehmer hat seit zehn Jahren immer eine andere Frau an seiner Seite, nur heute nicht, sie ist nämlich noch nicht da. Das ist nicht das einzig Besondere, unerwartet ist auch, dass er mit der Dame, sie heißt Jasmin, noch nicht verheiratet ist und sie auch noch keinen Spitznamen hat. "Ich bin Informatikerin", sagt Jasmin, "auch wenn ich nicht so ausschaue." Sie sieht eher aus wie Lugners Verflossene namens Kolibri oder Mausi. Lugner schaut stolz an der Frau in ihrem schwarzen körperbetonten Kleid herunter und sagt: "Wir daten uns." Und schon sind zwei Drittel aller anwesenden Reporter an diesem Abend glücklich, die erste Klatschgeschichte ist im Kasten.

Draußen auf dem Teppich läuft derweil eine kleiderstangendürre Dame in einem "zartroséfarbenen Kleid" vorbei, "ein Puderton", raunt eine Designerin. Ob man mit seinem Outfit oder mit Worten auffällt, ist egal, Hauptsache, man wird wahrgenommen. Heiner Lauterbach beschreibt das Kleid seiner Frau, bei dem nur ein hauchzarter Streifen verhindert, dass es auf den Boden fällt, mit "ohne Worte". Es gibt Frauen in dunklen oder kreischfarbenen Kleidern, eine trägt eine Lederjacke mit Totenkopf darüber, eine andere eine Art schimmlig grün schillernden Samtteppich. Roben mit Glitzerstoff sind deutlich in der Mehrheit, aber auch die Männer glitzern leicht, wenn sie reinkommen.

Simon Schwarz, gerade mit "Grießnockerlaffäre" beim Filmpreis geehrt, tritt herein, die goldschimmernde Fliege sieht aus, als hätte er sie selbst gebunden, "hab ich auch!". Tom Schilling, ein paar tauende Schneeflocken auf der Schulter, die im Blitzlicht funkeln, sagt: "Man muss da jetzt den Schalter umlegen, in the zone kommen." Er lächelt. Er selbst ist schon in the zone für den Ball, leichte Ironie im Ton, leichte Vorfreude im Gesicht. Eine "leicht ängstliche Stimmung" spüre er aber bei sich, die Gefahr besteht bei ihm immer, dass er schlechte Laune bekommt. Und da Schilling ein ernsthafter Mensch ist, bekommt er bei zu viel Künstlichkeit und Spielerei schlechte Laune. In dem Moment läuft Sibel Kekilli an ihm vorbei und wird von einer Mode-Reporterin aufgehalten. "Was ist das für ein Kleid?" "Keine Ahnung, kannst du nachschauen?" Kekilli dreht der Frau den Rücken zu, die schaut aufs Schild, notiert sich die Marke und winkt Kekilli weiter. Ist das jetzt künstlich, verspielt? Schilling lächelt. Es ist wunderbarer Quatsch. Er hat jetzt Lust und macht sich auf die Suche nach seinem Tisch.

Drinnen im Saal, wo die Filmverleih-Firmen Schauspieler und Regisseure, mit denen sie gerade gedreht haben, an ihre Tische laden, stehen alle in den Gängen. Heike Makatsch sagt: "Das ist ein Abend, an dem man am Anfang denkt: Huch, ist das ein Ort für mich? Später ist es die lustigste Party des Jahres und man stürzt gediegen zusammen ab." Wobei Hannelore Elsner eher so wirkt, als habe sie fest vor, sofort zum zweiten Teil des Abends überzugehen. Sie eilt mit einem ansteckenden Dauerlächeln zum Constantin-Tisch und übersieht den Überraschungsgast, den deutschen Außenminister.

Sigmar Gabriel hat sich mit seiner Frau gerade gesetzt, als Edmund Stoiber dazu tritt. Gabriel dankt ihm für die Einladung. "Wir sind befreundet", sagt Stoiber später und erklärt, dass sie eigentlich zusammen das Spiel des FC Bayern gegen Werder Bremen am Sonntag anschauen wollten und er den Minister dann eben noch zum Ball eingeladen habe. "Sigmar ist ja Goslar- und Bremen-Anhänger, seine Frau glühender Bayern-Fan." Gabriel sagt zu Stoiber: "Eigentlich wollte ich ja morgen Bayern gegen Bremen schauen, jetzt wird es SPD gegen SPD." Statt Fußball also Sonderparteitag, da zieht es ihn schnell noch auf die Tanzfläche, ein bisschen Beschwingtheit tanken.

Dabei verpasst der Außenminister allerdings den Moment des Abends, als Elsner sich - angefeuert von Regisseurin Doris Dörrie - zunächst auf den Tisch stellt, was Max von der Groeben mit breitem Grinsen verfolgt. Regisseur Sönke Wortmann wollte gerade erzählen, dass es früher immer sehr steif zuging beim Filmball, ehe dann doch wieder jemand auf den Tisch gestiegen sei, da posiert Elsner auch schon. Sofort springt ein Dutzend Fotografen dazu. Und Von der Groeben, angestachelt von der sensationslüstern abdrückenden Fotografenschar und Dörries anfeuernden Blicken, schüttelt die Flasche Ruinart vor sich, als wäre er noch immer der ADHS-Wüstling Danger aus der Göhte-Reihe. Ehe Elsner, Wortmann und Gabriel sich versehen, spritzt der Champagner und gleicht der Constantin-Tisch einer Bayern-Meisterfeier. Die Fotografen ziehen sich blitzend zurück, champagnerklebrig und tief zufrieden über das Bild des Jahres. So langsam wird aus dem Ball eine Party im makatschen Sinne. Während Simon Schwarz mit dem Vorspeisenmesser versucht, Kollegin Lisa Maria Potthoff das Kleid zu zerschneiden, flirtet Bleibtreu mit Anna Loos, dass man meint, er hätte Starkstrom in den Augenbrauen. Und Katja Riemann, die sich draußen schon wie ein Fellvorleger vor die Göhte-Kollegen gelegt hat, liegt nun drinnen in der Disziplin Lachen und gleichzeitig Trinken uneinholbar vorne. Der verspritzte Champagner kommt nicht nur aus Von der Groebens Flasche.

Nachdem dann Lars Eidinger um Mitternacht von den Kollegen zum 42. Geburtstag besungen wurde und von da an mit roten Kussmündern auf der Backe herumläuft, Medienministerin Ilse Aigner von Oliver Pocher überredet wurde, sich fürs Erinnerungsfoto einen Jägermeisterdeckel auf die Nase zu klemmen, Tom Schilling mit Florian Henckel von Donnersmarck ins Gespräch vertieft und offenbar noch in the zone ist, sitzt Bleibtreu also an seinem Glas und denkt an all diese Momente. Oder daran, was der Sinn dieses Balles ist. Genau der, den Bleibtreu erlebt: ein paar besondere Momente, die in Erinnerung bleiben und einen beschäftigen. Das gleiche Gefühl, das man hat, wenn man nach einem guten Film aus dem Kino kommt.

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