Süddeutsche Zeitung

Film:Träume in Zeiten des Terrors

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Lange vor der erfolgreichen Netflix-Serie "Unorthodox" erzählte der Film "Lang ist der Weg" aus subjektiv jüdischer Perspektive. 1948 ging es dabei um die Schrecken der Shoah

Von Chris Schinke

Man spricht wieder Jiddisch. Diesen Eindruck gewinnt zumindest, wer sich in der aktuellen Film- und Serienlandschaft umsieht. Produktionen wie "Shtisel" oder "Menashe" pflegen das Idiom selbstverständlich. Auch die erfolgreiche deutsch-amerikanische Miniserie "Unorthodox", angelehnt an den gleichnamigen Roman von Deborah Feldman, erzählt von einer jüdischen Lebenswirklichkeit, zu deren Selbstverständnis gesprochenes Jiddisch gehört. Darin verschlägt es die aus einer ultraorthodoxen Familie in Brooklyn stammende Serienheldin Esty (Shira Haas) nach Berlin. Bemerkenswert daran ist aber auch, dass jüdische Perspektiven im deutschen Kino und TV seit jeher Mangelware sind. Von jiddischer Sprache einmal ganz zu schweigen. Mancherorts war daher von "Unorthodox" als erster deutscher Nachkriegsproduktion in jiddischer Sprache die Rede.

Doch gelangt man zu diesem filmhistorischen Befund nur unter einer schmerzhaften Auslassung, nämlich des Dramas "Lang ist der Weg" aus dem Jahr 1948, dessen Entstehungsgeschichte eng mit der Stadt München, dem DP-Lager Landsberg am Lech und den Filmateliers der Bavaria in Geiselgasteig verknüpft ist. Unter Aufsicht der amerikanischen Armee bahnte sich an diesem Standort nach Kriegsende eine bis dato einmalige Kinoproduktion an, aus subjektiv jüdischer Perspektive sollte von den Schrecken der Shoah erzählt werden. Dem polnisch-jüdischen Autor und Schauspieler Israel Beker war es gelungen, dem Naziterror in Osteuropa durch Flucht zu entgehen. Ohne seine künstlerische Vision wäre es zu den Dreharbeiten im Münchner Vorort Grünwald gar nicht erst gekommen.

Beker fasste früh schon ein Leben als Bühnenmensch ins Auge. Waren es anfangs noch wundersame Artisten, Seiltänzer, Bärenführer und Straßensänger seines Heimatortes Białystok, die den Jungen fesselten, begeisterte sich der Heranwachsende bald für das jiddische Theater. Dieses sollte ihn auch nach München führen. Zunächst aber verwirklichte Israel Beker sich auf den Bühnen Lublins und in Warschau, als Schauspieler, als Dramaturg und als Schriftsteller. Sein künstlerischer Fixstern war stets der jüdische Dichter Scholem Alejchem. Auf seiner Flucht vor den Nationalsozialisten geriet Beker in die Schlüsselszene seines Lebens - sie arbeitete er für den Film "Lang ist der Weg" um. Während einer Zugfahrt drohte er in die Fänge der SS zu geraten. Ein Sprung aus dem fahrenden Wagon rettete ihn vor deren Zugriff. Im Film wird es eine Fahrt ins Vernichtungslager Auschwitz sein, von der dem Protagonisten David Jelin - verkörpert von Beker selbst - die Flucht gelingt.

Im wahren Leben verlor Beker seine gesamte Familie in den Vernichtungslagern. Kraft der Fiktion wird die Mutter im Film überleben. "Lang ist der Weg" erzählt die Geschichte der Suche des Sohnes nach der Verschollenen. Er findet sie wieder, im DP-Camp in Landsberg, wohin es 1946 nach polnischen Pogromen auch Israel Beker samt einer Gruppe polnisch-jüdischer Theaterleute verschlug. Viele der untergebrachten jüdischen Flüchtlinge warteten dort auf ihre Ausreise in die USA sowie ins damalige Palästina. So auch die zionistisch gestimmte Theaterbande unter der Regie Israel Bekers. Mit ersten Vorführungen in den Lagern war die Gruppe bemüht, Leichtigkeit in den von Traumatisierungen und Entbehrung geprägten Lageralltag der Insassen zu bringen. Bald folgten Auftritte unter dem Namen "Minkhener Yidisher Teater" in der Landeshauptstadt und in der Geflüchteten-Unterkunft in Feldafing.

Jene Verbindung gab schließlich auch den Impuls für die Verwirklichung eines Kinofilms, der die autobiografischen Erlebnisse der Gruppe zum Gegenstand haben sollte. An der Kraft, ihre Geschichte zu erzählen, mangelte es den Heimatlosgewordenen nicht, sehr wohl aber am filmischen Know-how, um ihre Idee für die Leinwand zu verwirklichen. Als die Dreharbeiten auf dem Gelände der Bavaria begannen, war das jüdische Filmteam auf die Mitarbeit einheimischer Filmkräfte angewiesen. Viele davon waren vor Kriegsende bei der Ufa angestellt, hatten wie der Regisseur Herbert B. Fredersdorf und Karl-Georg Külb, der Israel Bekers erste Drehbuchfassung umschrieb, klassische Mitläuferkarrieren hinter sich. Am Set führte dies zu Spannungen, die sich auch im fertigen Film zeigen. Eine stringent jüdische Perspektive wurde von den Deutschen unterlaufen, immer wieder wird im Film deutsches mit jüdischem Leid gleichgesetzt. Der künstlerischen Vision des Films konnten die Interventionen nichts anhaben. "Lang ist der Weg" fand von Juni 1948 an trotz aller Beschwernisse den Weg auch in die Münchner Kinos. Nur ein paar Wochen zuvor, am 14. Mai, war der unabhängige Staat Israel ausgerufen worden. Beker befand sich zu dem Zeitpunkt bereits dort. Sein Film wird für immer den Traum dieser neuen Heimat weiterträumen.

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SZ vom 21.04.2020
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