Film:Gegen den Mainstream

Michael Hehl und Thomas Künstle bringen internationale Festivalfilme in die deutschen Kinos, wie in diesen Tagen das afrikanische Drama "Grigris' Glück". Ihre Firma Temperclayfilm ist Münchens kleinster Verleih

Von Bernhard Blöchl

An der Tür zum Badezimmer hängt das Filmplakat zu "Grigris' Glück". Eine elegante schwarze Frau ist darauf zu sehen und ein Mann mit nacktem Oberkörper. Andere hängen sich Poster von Filmen, die sie lieben, an die Wand. Michael Hehl hängt sich Poster von Filmen an die Wand, die er liebt und die er selbst ins Kino gebracht hat. Ohne den 29-Jährigen und seinen Kollegen Thomas Künstle würde es das Plakat nicht geben - sie haben es selbst entworfen -, und das afrikanisch-französische Drama aus Tschad, das vor zwei Jahren in Cannes vorgestellt wurde, würde aller Voraussicht nach in München überhaupt nicht auf großer Leinwand zu sehen sein. An diesem Donnerstag startet es im Werkstattkino und im Monopol.

Die beiden jungen Cineasten betreiben Münchens kleinsten Filmverleih. Temperclayfilm heißt ihr Unternehmen, das seinen Sitz in Hehls Wohnung in Neuhausen hat. Verleih-Firmen gibt es viele, darunter Münchner Schwergewichte wie Constantin, Concorde, Warner, Buena Vista und Paramount, oder die großen Konkurrenten in anderen Städten wie Universal, Fox oder Studiocanal, außerdem die Dutzenden kleinen. Spezialisierung ist wichtig, Mainstream machen die meisten. Hehl und Künstle konzentrieren sich auf internationale Arthouse-Filme. "Solche, die nicht so marktkonform sind und etwas Besonderes haben", wie Hehl sagt. Preisgekrönte Werke wie der von Ryan Gosling produzierte "White Shadows" über den Überlebenskampf eines Albinojungen in Tansania zum Beispiel, den das Duo im November in die deutschen Kinos holte. Oder "Heli", den mexikanischen Oscar-Beitrag von 2014. Und auch die von den Feuilletons geliebten Filme "My Dog Killer" und "Welcome To Pine Hill" hätten hierzulande wohl keine Spielstätten gefunden. Das kennt man ja: Ein Großteil der Filme, die auf Festivals wie der Berlinale oder dem Filmfest München präsentiert werden, schafft es nie ins Kino. Meist trifft es die sperrigen, abseitigen, künstlerisch wertvollen Arbeiten.

Cast member Souleymane Deme performs on the red carpet as he arrives for the screening of the film 'Grigris' in competition during the 66th Cannes Film Festival

Der Schauspieler und Tänzer Souleymane Deme bei der Filmpremiere in Cannes 2013. "Grigris' Glück" gewann den Vulkan-Preis.

(Foto: Reuters)

Wie aber kommt man darauf, Filmverleiher zu werden? Entstanden ist die Idee aus Eigenbedarf, das betonen Gründer ja häufig. Michael Hehl, Student der Theater- und Filmwissenschaft und Selfmade-Filmemacher, hat vor sechs Jahren einen No-Budget-Dokumentarfilm über Istanbul gedreht, und wie zu erwarten war, fiel es ihm schwer, einen Verleih dafür zu finden. "Wunsch und Wirklichkeit liegen weit auseinander", sagt Hehl. Also brachte er "Istanbul - Meeting Of Souls" selbst ins Kino. Im Januar 2013 erwuchs aus der Idee die Temperclayfilm Production & Distribution GbR, die Michael Hehl gemeinsam mit dem Branchenkollegen Thomas Künstle, Jahrgang 1980, betreibt.

Die Arbeit der beiden sieht so aus: "Wir sitzen hier bei Tee und Keksen und reden über Filme", sagt Künstle. Was nach WG-Spaß und Understatement klingt, ist in Wahrheit produktive Arbeit. Sie müssen frühzeitig und taktisch klug die Spielwoche festlegen, sich um Plakate und Material für die Presse kümmern, und auch die Produktion der Untertitel stemmen sie selbst. "Es geht um das authentische Gefühl", sagt Künstle, der sehr viel von Originalsprache hält - ganz abgesehen davon, dass die Kosten für die Synchronisation viel zu hoch für die kleine Firma wären. Eines ihrer Markenzeichen ist denn auch der Verleih von Originalfassungen mit deutschen Untertiteln. Hehl spricht in diesem Zusammenhang oft vom unverfälschten Gefühl - seine Doktorarbeit, an der er gerade arbeitet, trägt den Titel: "Emotionalität im unabhängigen Gegenwartskino".

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Michael Hehl hat in München Theater- und Filmwissenschaft studiert und schreibt gerade seine Doktorarbeit. Er dreht selbst Filme.

(Foto: A. Schellnegger)

Bevor sich das Duo mit der Übersetzungsarbeit für die Untertitel beschäftigen kann, muss Temperclayfilm erst einmal den Zuschlag für das Werk bekommen. Dazu klappern Hehl und Künstle Festivals ab, reisen unter anderem nach Cannes und Venedig und vernetzen sich auf dem Filmfest München. Immer auf der Suche nach ausdrucksstarken Filmen und kantigen Stoffen, gerne auch mit Laiendarstellern besetzt. "Wir sind Cineasten", sagen sie und schwärmen davon, wie einfach es gewesen sei, "Grigris' Glück" zu bekommen, den neuen Film von Mahamat-Saleh Haroun aus Tschad, der von dem jungen Grigris handelt, der nachts als Tänzer arbeitet und sich Benzinschmugglern anschließt, um Geld für seinen kranken Stiefvater aufzutreiben. "Wir haben den Film auf dem Filmfest gesehen und nahmen Kontakt zum Agenten auf, um ein Angebot für Deutschland zu machen", erzählt Thomas Künstle. Dann hätten sie ein Finanzierungsmodell gefunden, um ihre Refinanzierung zu sichern. Das Risiko liegt in der Extravaganz.

Klar: Nur wenige Kinos spielen die Filme von Temperclayfilm, obwohl deren Chefs deutschlandweit vernetzt sind. "Die Kinobetreiber haben sich daran gewöhnt, mit gewissen Filmen gewisses Geld zu verdienen", sagt Michael Hehl, der Mut und Risikobereitschaft zuweilen vermisst, vor allem bei Arthouse-Filmen im Original. München sei besonders schwierig, sagt er, betont aber auch die gute Zusammenarbeit mit dem Werkstattkino und dem Monopol.

Nicht nur die hervorragenden Filme anderer, sondern auch seine eigenen möchte Hehl in den Kinos sehen. Derzeit plant der Autodidakt, der mit seinem Kurzfilm "Karl" 2012 in Cannes zu Gast war und zuletzt mit dem Mutter-Tochter-Porträt "Hasret - Desire" auf sich aufmerksam machte, seinen ersten Spielfilm in Langform. Ein in Frankreich angesiedeltes neo-realistisches Drama soll es werden; bei der Stoffentwicklung und als Produzentin hilft ihm seine Freundin Carolina Seez. Das Praktische daran: Einen Verleih hat er schon jetzt gefunden - seinen eigenen.

Grigris' Glück, Regie: Mahamat-Saleh Haroun, OmU, täglich im Werkstattkino und Monopol

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