Film:Ein Hafen für die Gestrandeten

Zweieinhalb Jahre besuchte Regisseur Till Cöster vom Schicksal gezeichnete Männer, die im Wohnheim in der Kyreinstraße leben. Sein Film "Super Friede Liebe Love" zeichnet ein Bild vom äußersten Rand der Gesellschaft

Von Anna Steinbauer

Es sind die Worte, die ihn am Leben halten. Er murmelt sie leise, wenn er durch den Gang des Männerwohnheims an der Kyreinstraße wandelt oder spricht sie laut vor sich hin, während er spazieren geht. "Super Friede Liebe Love". Ein Überlebens-Mantra, Stimmen im Kopf, Botschaften für die Außenwelt. Manchmal variiert die Reihenfolge der Wörter, ab und an kommt ein anderer Begriff dazu. Und er schreibt sie auf, mit Kreide auf die Straße oder an die Wände seines kleinen Zimmers. Immer in Großbuchstaben: "Liebe Love Friede Entschuldigung".

Der Mann, dem man ein entbehrungsreiches Leben ansieht, ist einer der Protagonisten des Dokumentarfilms "Super Friede Liebe Love" von Till Cöster. "Mir erschienen diese Worte immer als ein Geschenk", sagt der Regisseur über das Mantra des bescheidenen Wortkünstlers und Verkünders. "Sie wirken wie ein unverzichtbarer Teil der Gemeinschaft, der wie ein Herzschlag in regelmäßigen Abständen durch das Haus schallt." Das ganze Viertel kann die positiven Botschaften lesen. "Er ist sehr freigiebig damit. Friede und Liebe, das gehört allen." Der Student der Hochschule für Fernsehen und Film (HFF) hat einen bewegenden, nachdenklich stimmenden Film über die Bewohner des Kyreinstraßenhauses gedreht, der in der Nacht von Montag auf Dienstag um 0.35 Uhr im ZDF ausgestrahlt wird.

Film: Botschaften von Liebe und Entschuldigung, die an den Wänden des Zimmers zu einem Mantra des Überlebens werden.

Botschaften von Liebe und Entschuldigung, die an den Wänden des Zimmers zu einem Mantra des Überlebens werden.

(Foto: Horse&Fruits/Franz Kastner)

Das Männerwohnheim in Obersendling ist einzigartig in München. Es beherbergt Leute, die sonst keiner aufnimmt: Menschen mit psychischen Auffälligkeiten und Suchterkrankungen, die aus anderen Häusern geflogen sind oder direkt von der Straße kommen. Alkohol ist nicht verboten, die Männer können so lange bleiben wie sie wollen, sie sind größtenteils in Einzelzimmern untergebracht. Alle sind gezeichnet von existenziellen Erfahrungen des Verlustes oder des Scheiterns. Ein Netz an Betreuern steht hinter ihnen, das spürt man, obwohl sie im Film kaum auftauchen.

"Der Ort ist besonders in der Art und Weise wie man aufgenommen wird", sagt der gebürtige Hamburger Cöster. "Wo sonst findet man sonst noch so einen Hafen, wenn man Gefahr läuft, verloren zu gehen?" Bevor er sein Filmstudium begann, lebte er drei Jahre lang in Mexiko-City, wo er in einem Gästehaus eines Quäker-Friedenszentrums arbeitete - einem Ort für vagabundierende, verlorene Seelen, wie er sagt. Er lernte dort einen älteren Mann kennen, der zum Sterben in den Dschungel ging. Diese Begegnung war Jahre später der Anlass für seine filmessayistische Spurensuche "Gone Missing. Die letzte Reise des alten John", die 2014 auf dem Münchner Dokumentarfilmfestival Dokfest lief.

Film: Im Wohnheim kommen Männer zusammen, die sonst keiner mehr aufnehmen wollte. Sie suchen einen Frieden, den sie schon lange nicht mehr kennen.

Im Wohnheim kommen Männer zusammen, die sonst keiner mehr aufnehmen wollte. Sie suchen einen Frieden, den sie schon lange nicht mehr kennen.

(Foto: Horse&Fruits/Franz Kastner)

Als im selben Jahr eine Anfrage vom Männerwohnheim an die HFF gerichtet wurde, ob jemand von den Studenten ein Kurzporträt zum 25. Jubiläum drehen wolle, meldete sich Cöster. Im Haus an der Kyreinstraße stieß er auf offene Türen und er lernte einige der Männer und ihre Schicksale kennen. Nach und nach entwickelte sich die Vision eines längeren Dokumentarfilms. Insgesamt drehten er und sein Kameramann Franz Kastner dort zweieinhalb Jahre, der Film habe sich von innen heraus entwickelt, sagt Cöster. Vieles, was sich die beiden HFF-Studenten vornahmen, klappte nicht - zu unberechenbar waren die Protagonisten. Die Begegnungen mit den Männern waren sehr unterschiedlich und abhängig von deren jeweiliger Tagesform. Manchmal verbrachten sie viel Zeit miteinander, dann wieder saßen der Regisseur und sein Kameramann alleine zur verabredeten Zeit im Aufenthaltsraum. "Manche Geschichten lassen einen nicht so schnell los", sagt Cöster trotzdem. "In jedem der Beteiligten habe ich Facetten entdeckt, in denen ich mich selbst ein Stück weit wiedergefunden habe."

Egal ob es der sammelwütige Schlosser ist, der an einer Erfindung zur weltweiten, umweltfreundlichen Energieversorgung arbeitet, oder der empfindsame Halbfranzose mit der tragischen Kindheit, der so schön Gitarre spielt oder der wortgewandte Akademiker, der sein Liebesleid im Alkohol zu ertränken suchte und auf der Straße landete: Der Film rückt die einsamen Männer vom äußersten Rand der Gesellschaft in München näher ins Bewusstsein - genau dahin, wo die Empathie beginnt und man das Gefühl hat, nicht allzu weit voneinander entfernt zu sein. Natürlich gibt es in dem Obersendlinger Zufluchtsort auch Streitereien und Querelen mit der Polizei. "Das Schöne ist, dass die Eigenheiten der Bewohner schon ziemlich schräg und auffällig sind, dass aber jeder einen Umgang mit den Macken der anderen finden muss", sagt der Regisseur. Vor der Kamera zeigen sich die Männer erstaunlich vertrauensvoll und offenbaren auch Seiten von sich, die sie im täglichen Leben nur selten teilen. Es scheint, als hätten sie hier die Chance genutzt, gehört und gesehen zu werden. Als Geschenk an sich selbst und die Zuschauer.

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