Nach Umsetzung auf Bühnen schreien die zwei Stoffe eigentlich nicht: Auf der einen Seite ein Herzog, der seiner Frischvermählten widerwillig eine Führung durch sein Gruselschloss gibt. Auf der anderen eine Frau am Telefon. Und doch gerät der Abend der Tiroler Festspiele Erl zur packenden Psycho-Studie, dank dem herausragenden Einsatz des dreiköpfigen Vokal-Ensembles und der schlüssigen Regie von Claus Guth.
Den Einfall, Béla Bartóks „Herzog Blaubarts Burg“ und Francis Poulencs Monodrama „La voix humaine“ an einem Abend nacheinander zu spielen, hatten schon andere. Doch bei Guth überlagern sich die Stücke, werden zum großen, rätselhaften Versuch über die Unmöglichkeit menschlicher Bindungen. Dabei möchten die Figuren doch gerade das.
Denn Blaubart ist in Florian Boeschs Interpretation kein Diktator. Zwar verfügt Boesch mit seinem raumfüllenden Bassbariton über beeindruckende stimmliche Autorität, doch legt er Wert auf differenzierende Phrasierung, auf vokale Linien von teils berührender Zartheit. Der junge Dirigent Martin Rajna unterstützt klangfarblich sensibel, macht es den Sängerinnen und dem Sänger nur an wenigen Stellen durch Lautstärke schwer.

In Christel Loetzsch hat Boesch eine ebenbürtige Mitstreiterin. Ihr runder, kontrollierter Mezzosopran bringt Wärme in das Gemäuer, noch bevor ihre Judith die erste der mysteriösen sieben Türen geöffnet hat. Wobei Guths Inszenierung darauf verzichtet, die Bildwelten des symbolistischen Librettos eins zu eins umzusetzen. Anstatt Türen aufzustoßen, setzt sich im Laufe der Handlung Blaubarts Schloss erst zusammen als eine Art 60er-Jahre-Bungalow, bürgerlich, ohne bürgerlich auszusehen, ein eleganter Käfig für Blaubarts Frauen. Je enger sich der häusliche Rahmen um Judith schließt, desto mehr findet sie sich in die ihr zugedachte Rolle, lässt sich von Blaubart ankleiden, bis auch sie aussieht wie die anderen drei in Pink gewandeten Spieldosenfiguren, die in Blaubarts Haus walten. Judith als die vierte macht das Set komplett.
Barbara Hannigan als die Namenlose aus Poulencs Stück wäre gerne Blaubarts fünfte Braut geworden
Doch hier setzt der zentrale Regie-Einfall an. Die Namenlose aus Poulencs Stück wäre gerne die fünfte Braut geworden. So tritt Barbara Hannigan schon in der allerersten Szene des Abends auf, sieht Blaubart mit Judith in seinem Haus verschwinden. Nun ruft sie ihren Liebhaber an, durchläuft dabei mannigfache Schwierigkeiten und setzt damit das Thema der Verbindungslosigkeit so konkret wie möglich um. Das alles macht Barbara Hannigan wie gewohnt als brillante Darstellerin und hochvirtuose Sängerin, mit der Beiläufigkeit, die die rezitativischen Parts brauchen und der Expressivität, nach der die lyrischen Stellen verlangen.
Der Versuch ist geglückt. Nicht, weil alle Fragen beantwortet worden wären, sondern weil Musik und Regie die Türen zu anregenden Denkräumen geöffnet haben. In diese wird das begeisterte Publikum auch nach dem Schlussapplaus spazieren.
Béla Bartóks „Herzog Blaubarts Burg“ und Francis Poulencs Monodrama „La voix humaine“, auch Sonntag, 13. Juli, und Freitag, 18. Juli, Tickets unter www.tiroler-festspiele.at
